TV-Kritik: Menschen bei Maischberger:Ansichten über einen mordenden Clown

Wenn Fernsehen nahegeht: Selbst revolutionserfahrene TV-Konsumenten werden von den Erlebnissen Jürgen Todenhöfers in Libyen wachgerüttelt. Der Rest der Sendung mit Scholl-Latour und Co.? Geht in üblicher Talkshow-Manier unter.

Lilith Volkert

Eine Katastrophe reicht völlig aus. Anders als ihre Kollegin Anne Will am Sonntag beschränkte sich Sandra Maischberger in ihrer Talkshow auf den Krieg in Libyen. Das "Japan in Not" flog kurz vor der Sendung aus dem Titel, es blieb bei "Bomben auf Gaddafi: Welt aus den Fugen?"

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"Bomben auf Gaddafi: Welt aus den Fugen?" fragte ARD-Moderatorin Sandra Maischberger ihre Gäste - und beschränkte sich dabei anders als Moderationskollegin Anne Will nur auf ein großes Thema.

(Foto: WDR/Max Kohr)

Wie sehr zumindest das Leben in Libyen aus den Fugen ist, möchte Maischberger ihren Zuschauern vermitteln - diesen Menschen, die wohl inzwischen routiniert kleine Fähnchen auf die Weltkarte an der Wand pinnen, wenn wieder ein nordafrikanisches Regime oder auch nur eine libysche Stadt gefallen ist. Die aber auch vergessen haben, was diese Ereignisse für den einzelnen Menschen bedeuten.

Die erste halbe Stunde widmet sich Sandra Maischberger ausschließlich dem Buchautor, Weltenbummler und ehemaligen Burda-Manager Jürgen Todenhöfer, der gerade aus Libyen zurückgekommen ist. Er hat Bilder von unterirdischen Gefängnissen, alten Gaddafi-Palästen und dem Rebellenführer Mustafa Abd al-Dschalil gedreht - und durch Zufall auch einen Raketenangriff auf den eigenen Wagen gefilmt.

Gerade einmal eine Woche ist es her, dass Todenhöfer auf dem Weg von Bengasi nach Brega unter Beschuss geriet, verwackelte Filmaufnahmen zeugen davon. Todenhöfers libyscher Dolmetscher und Führer starb bei dem Angriff, er selbst und eine Kamerafrau haben nur mit Glück überlebt. Hätte sie nach einem stundenlangen Nachtmarsch kein zufällig vorbeikommendes Fahrzeug mitgenommen, hätten Gaddafi-treue Truppen, die in dieselbe Richtung unterwegs waren, die beiden Deutschen eingeholt und wohl nicht am Leben gelassen.

Was Todenhöfer erzählt, ruft einem zumindest einen Moment lang in Erinnerung: Ja, das ist ein Krieg, und in einem Krieg sterben Menschen, die eine Geschichte, eine Familie und Freunde haben. Selbst wenn man das als revolutionserfahrener TV-Konsument ab und zu vergisst. Der offensichtlich traumatisierte Mann im schwarzen Rollkragenpullover, der gebannt auf seine eigenen Bilder starrt, scheint zeitweise nur körperlich im Studio anwesend zu sein.

Trotz seiner Erfahrungen ist Jürgen Todenhöfer nicht für die Luftangriffe, die am Freitag vom Weltsicherheitsrat erlaubt wurden, sondern glaubt weiter unerschütterlich an die Macht der Diplomatie: Warum eigentlich hat sich der UN-Generalsekretär Ban Ki Moon nicht in Bengasi blicken lassen, fragt er, und warum ist Nicolas Sarkozy nicht einfach nach Tripolis geflogen, um mit Muammar al-Gaddafi zu reden? Der Militäreinsatz der Europäer und Amerikaner sei doch nur "ein Feigenblatt für 40 Jahre Feigheit gegenüber diesem mordenden Clown". Noch 2007 hatte der französische Präsident Nicolas Sarkozy den libyschen Diktator mit allen Ehren in Paris empfangen.

Der Rest in üblicher Talkshow-Manier

Mit einem kurzen Einspielfilm wird alle Betroffenheit beiseitegewischt, Jürgen Todenhöfer darf zurück in die Kulisse. Die verbleibenden 45 Minuten geht es in bekannter Talkshow-Manier um die bekannten Fragen: War die UN-Resolution gegen Libyen richtig und Deutschlands Enthaltung bei der Abstimmung im Weltsicherheitsrat falsch? Wie kommt es eigentlich, dass jene Politiker am lautesten nach Bomben schreien, die Gaddafi noch vor Monaten Waffen und Atomkraftzubehör geliefert haben? Und: Wird Libyen in Sachen militärisches Engagement des Westens das neue Afghanistan?

Der deutsch-ägyptische Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad spricht optimistisch von einem "kurzen Feuerwehreinsatz" in Libyen, der den Konflikt zwischen langjährigem Machthaber und Rebellen löschen und dann schnell wieder verschwinden kann.

Die deutsche Journalistin Yasmina Al-Gannabi, die bis Ende Februar in Tripolis lebte, warnt jedoch davor, dass auch libysche Jugendliche inzwischen bis an die Zähne bewaffnet sind und ein Bürgerkrieg länger dauern könnte.

Welterklärer und Resolutions-Befürworter Peter Scholl-Latour hat einige griffige Argumente für die deutsche Enthaltung bei der Hand ("Die Deutschen haben immer Angst") und lehnt sich, wenn ihm diese zu komplex erscheinen, mit historischen Vergleichen aus dem Fenster ("Das Attentat auf Hitler entsprach auch nicht dem Völkerrecht").

Mit Verve widerspricht ihm der Journalist und Friedensaktivist Franz Alt, dessen pazifistische Thesen stets in einem seltsamen Kontrast stehen zu dem aggressiven Ton, in dem er sie vorträgt. "Gewalt gegen Gewalt erzeugt doch immer noch mehr Gewalt", schimpft er.

Für den ehemaligen deutschen Nato-General Egon Ramms, der ruhig von "Zeitplanung" und "Schadensanalyse" spricht, läuft die Aktion in Libyen "aus militärischer Sicht ganz gut". Warum sich die "Koalition der Willigen" gegen Gaddafi weder auf ein konkretes Einsatzziel noch auf eine einheitliche militärische Führung einigen kann, sagt er nicht - er wird allerdings auch nicht danach gefragt.

Gut möglich, dass sich die Moderatorin gerade für einen Moment an den toten Dolmetscher von Jürgen Todenhöfer erinnerte.

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