Süddeutsche Zeitung

TV-Kritik: Sarrazin bei Maischberger:Alte graue Herren

Thilo Sarrazin war wieder da. Zusammen mit einem "Euro-Sarrazin" nimmt er Maischbergers Talkshow in Geiselhaft. Alle mussten zuhören, auch RTL-Moderatorin Nazan Eckes.

Lena Jakat

Hans-Olaf Henkel ist sauer. Das sieht man an den Wangen des früheren Vorsitzenden des Arbeitgeberverbands BDI. Innerhalb der 75 Minuten in Sandra Maischbergers Studio zeigen sie ein immer tieferes Rot. Der Ton ist unwirsch.

Dieser Mann gehört zur Man-wird-ja-noch-einmal-sagen-dürfen-Fraktion. Und so ist Henkel wütend darüber, dass ihm keiner zuhört, dass er nicht mehr sagen darf und vor allem: dass er aus Prinzip missverstanden wird. Er ist so einer wie Thilo Sarrazin, und der sitzt auch bei Maischberger in der ARD.

Die Talkshow feiert 100 Tage des Sarrazin-Buches Deutschland schafft sich ab und übernimmt sich mit dem Versuch einer Bilanz der Integrationsdebatte. Henkel verteidigt den ehemaligen Bundesbanker. Er hat in seinem Buch Rettet unser Geld! ja selbst ketzerische Thesen über eine Teilung der Eurozone aufgestellt, und sich selbst als "Euro-Sarrazin" bezeichnet.

Der Selbstversuch als Paria dient als Buchmarketing. Er habe zwei Talkshows mit Sarrazin gesehen und sei nun selbst in einer zu Gast, sagt Henkel, und stets sei es das gleiche Prinzip: "Die Mehrheit der Gäste wird eingeladen, um Herrn Sarrazin fertigzumachen. "Und in allen Sendungen gibt es ein Beispiel für eine wunderbar integrierte, gutaussehende Türkin."

Diesmal schafft es der angeblich so verfolgte Bestsellerautor Thilo Sarrazin mit tatkräftiger Unterstützung Henkels, den Rest der Runde in Grund und Boden zu reden.

Eine junge, attraktive und vorbildlich integrierte Türkin ist tatsächlich anwesend: RTL-Moderatorin Nazan Eckes (Let's Dance). Auch sie hat inzwischen ein Buch geschrieben: Guten Morgen, Abendland. Man muss inzwischen in Deutschland schon Autor sein, um über Integration reden zu dürfen.

Nazan Eckes trägt eine fast tantenhafte Bluse und hat ihre Lockenmähne in einen Dutt gepresst. Sie wollte gute, richtige Fragen stellen zu Ausländerproblemen in Deutschland. "Wollen wir die benachteiligten muslimischen Migrantenkinder aufgeben, sie in die Arme von Islamisten treiben?", fragt Eckes in Richtung Sarrazin und Henkel. "Warum hat man es bislang nicht geschafft, diese Jugendlichen zu erreichen?"

Ein Sarrazin kennt keine Angst

Doch das ist zu differenziert für dieses Duo. Die beiden hören da schon längst nicht mehr richtig hin. Bei jeder Gelegenheit, die sich ihm bietet - und auch dann, wenn es keine gibt -, verbeißt sich Sarrazin in die Verteidigung des statistischen Materials seines Buchs. Und Geistesbruder Henkel wiederholt, der Islam vertrage sich schlecht mit Menschenrechten. Er zeigt missionarischen Eifer.

Dabei hatte doch alles recht trocken angefangen: Aufgeräumt spricht die Runde über Henkels Vorschlag zum geteilten Euro-Europa und lässt den Erfolg und die Aufregung rund um Sarrazins Bestseller Revue passieren. Keiner hätte diese nüchterne Perspektive besser repräsentieren können als WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn. Im Stil seiner Wahlabend-Statistik-Show mahnt er zur Vorsicht bei der Betrachtung von Statistiken und Stimmungen. "Ein großer Teil Ihres Erfolgs hat mit dem eigentlichen Thema nichts zu tun", bescheinigt der ARD-Mann dem Provokateur Sarrazin. Angst sei derzeit ein bestimmendes Gefühl in der Gesellschaft, "Ventile werden dankbar angenommen".

Der angesprochene Gast und der Euro-Sarrazin an seiner Seite beeilen sich zu versichern, keine Angst zu haben. Die sachliche Stimmung kippt mit Christian Pfeiffer, dem Kriminologen, der häufig in Talkshows und Gastkommentaren präsent ist und der auch mal selbst mit restriktiven Forderungen auffällt, etwa nach einer Promillegrenze für Buspassagiere oder nach dem Verbot von Ballerspielen.

Diesmal ist es ausgerechnet eine Relativierung, mit der der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachen für Erregung sorgt. "Wir haben kein Islamproblem, sondern ein Imamproblem", sagt Pfeiffer. Da ist für Hans-Olaf Henkel, den Choleriker, das Fass übervoll.

Der Wirtschaftswissenschaftler kennt sich aus mit Jazz. Auf einem Berliner Sender moderiert er jeden Sonntag seine eigene Sendung. Weniger bekannt war Henkel bislang für seine Expertise beim Thema Islam. Umso energischer verkündet er nun, dass 54 von 57 islamischen Staaten die Menschenrechte mit Füßen träten. Das zeige doch, dass das Problem beim Islam und nirgendwo anders liege. "Da behandelt man die Frauen nicht so, wie es sich gehört - wie bei uns."

Egal, ob die anderen Studiogäste das hören wollen oder nicht, ob sie widersprechen oder bekräftigen wollen, Henkel wiederholt seine These gern.

Dahin ist alle Sachlichkeit, sind alle Differenzierungen und Einordnungen. Thilo Sarrazin scheint es zu freuen. Der Ökonom wendet sich dem Kinderkriegen zu. Im Hinblick auf seinen Vorschlag, Akademikerinnen eine Geburtsprämie auszubezahlen, sagt Sarrazin, es käme darauf an, dass die "richtigen Frauen" zur "richtigen Zeit" Kinder bekämen. Bevor sie 30 Jahre alt werden.

Nazan Eckes, 34 Jahre alt und kinderlos, hat da für den Hobby-Bevölkerungspolitiker nur ein trockenes "Sie sind ein älterer Deutscher und ich bin eine moderne Türkin" übrig. Die 44-jährige Mutter Maischberger kämpft dagegen tapfer gegen den geballten Eifer der ergrauten Wortführer - vergeblich. Der Moderatorin gelingt es nur einmal, den aufgebrachten Henkel zu bremsen ("Auch wenn Sie mich jetzt wahrscheinlich schlachten"), doch insgesamt lassen sich der Ex-Banker und der Ex-Manager nicht beirren. Die reden einfach weiter. Hier, im Fernsehstudio, müssen sie sich nicht integrieren. Sie müssen ja Bücher promoten.

Wenn alle nur noch einem zuhören müssen, kann das ziemlich wütend machen oder frustrieren. Sandra Maischberger konnte einen gewissen Ärger jedenfalls nicht verbergen. Nach der Abspannmusik und dem Schlusswort zu Menschen bei Maischberger ist ihr tiefer Seufzer deutlich zu hören.

Es könnte auf einen Wunsch deuten: Herr, verschone mich und uns mit solchen Gästen!

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