Süddeutsche Zeitung

TV-Kritik:Mein böser Nachbar

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Ein ZDF-Film nach Dirk Kurbjuweits Buch "Angst" erzählt von einer Familie, die Stalking-Opfer wird. Der Film ist gut besetzt und baut Spannung auf, will aber leider auch ein Plädoyer sein.

Von Christine Dössel

"Die Angst vor der Hölle ist doch schon die Hölle", wird am Ende Frau Tiefenthaler vor Gericht sagen. Da ist ihre Familie dann schon durch genau diese Hölle gegangen. Die Hölle, das sind natürlich immer die anderen. In diesem Fall: ein obskurer Nachbar mit Heimkind-Vergangenheit, der in der frisch bezogenen Gründerzeitvilla der Tiefenthalers im Souterrain haust, wo er ein Wohnrecht auf Lebenszeit hat. Der Film Angst - Der Feind in meinem Haus erzählt, wie dieser Nachbar zum bedrohlichen Stalker wird, wie er die Familie beobachtet, belästigt, zur Verzweiflung treibt.

Anfangs erscheint Dieter Tiberius, der seinen Nachbarn ständig Kuchen vor die Tür stellt, als ein alter Kauz. Udo Samel spielt ihn mit vorgeschobenem Schmerbauch und braunen Mausäuglein wie ein großes, scheues Kind - ein vereinsamtes, neugieriges, kurzatmiges. Vielleicht will er mit seinen kleinen Aufmerksamkeiten ja nur Aufmerksamkeit? Erscheint die Familie beladen am Gartentor, drückt er schon den elektronischen Türöffner. Er zeigt den Kindern seine Eisenbahn, legt Briefchen vor die Tür. "Auf gute Nachbarschaft!", steht da. Oder: "Sie sind so eine schöne Familie ..." Die Familie findet das von vornherein schon so übergriffig und gruselig, wie es dann im Verlauf des Filmes noch wird. Etwa wenn Tiberius Rebeccas Slip auf der Wäscheleine anstarrt oder des nachts an der Fensterscheibe klebt. Schließlich zeigt er die Tiefenthalers sogar an: wegen sexuellen Missbrauchs ihrer zwei Kinder.

Man fragt sich, ob Randolph und Rebecca Tiefenthaler, sehr unterkühlt gespielt von Heino Ferch und Anja Kling, sich nicht einfach mal bei ihrem Nachbarn hätten vorstellen und ein Gespräch anfangen sollen - und alles wäre womöglich anders gelaufen. Aber die Tiefenthalers, eine gutbürgerliche Familie mit Geld und Geschmack, sind sehr auf Distinktion bedacht. Sie wollen, was man ja auch verstehen kann, in Ruhe ihre Schöner-wohnen-Welt genießen. Einen wie Tiberius gibt es in ihrem Umfeld nicht. Der hat noch gar nichts gemacht, da findet ihn Randolph schon "irgendwie seltsam": so klein und dick. Und als Rebecca bei einem Essen mit Freunden ihn "unseren Untermenschen" nennt (weil er im Tiefparterre wohnt), eskaliert das Dinner aufgrund dieses von den Gästen empört zurückgewiesenen "Nazijargons". Diesen Aspekt nimmt der Film ebenso pflichtschuldig mit rein, wie er nebenher halbherzig einen Vater-Sohn-Konflikt zwischen Randolph Tiefenthaler und seinem waffengläubigen Vater (Dietrich Hollinderbäumer) miterzählt oder Eheprobleme andeutet.

Der Film will nicht nur Thriller sein, sondern auch Plädoyer

Der Film (Regie: Thomas Berger) ist gut besetzt und baut viel Spannung auf, bleibt aber schablonenhaft und psychologisch oberflächlich. Er beruht auf dem zum Teil autobiografischen Roman Angst des stellvertretenden Spiegel-Chefredakteurs Dirk Kurbjuweit, von dem auch das Drehbuch stammt. Dieses hat nur zum Teil das Zeug zum Psychothriller, es will vor allem auch Plädoyer sein und den Rechtsstaat anklagen, weil der Stalking-Opfer wie die Tiefenthalers im Stich lässt. Es gibt in solchen Fällen "keine Handhabe". Was also tun? Der Film wirft die Frage nach Selbstjustiz auf und nimmt dafür am Ende zwei sehr scharfe Kurven.

Angst - Der Feind in meinem Haus , ZDF, 20.15 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 16.10.2017
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