TV-Kritik: Maybrit Illner:Wenn der Euro herzkrank macht

Lesezeit: 4 min

Drei Finanzminister und ein Oberlehrer dröseln bei Maybrit Illner den Finanzbedarf Irlands auf. Blutdruck-Tendenz: stark steigend.

Melanie Ahlemeier

Guido Westerwelle - Außenminister, Vizekanzler und FDP-Parteivorsitzender - übt schon mal. Finanzminister. Mit unüberhörbarer Arroganz in der Stimme verteidigt er die europäische Gemeinschaftswährung - und zwar ganz so, als sei sie seine Erfindung.

Bundestag

FDP-Politiker Guido Westerwelle: Außenminister im Amt, Finanzminister im Geiste.

(Foto: dapd)

Der Euro sei in Wahrheit eine große Erfolgsgeschichte. Skeptikern nimmt der einst als "Leichtmatrose" gescholtene Westerwelle den Wind aus den Segeln. "Der Euro", besserwissert der überzeugte Liberale, "ist absolut stabil." Seine Botschaft an diesem TV-Abend: "Wir Deutsche sollten für einen harten Euro kämpfen."

Nach fast jedem Westerwelle-Satz weht ein bisschen Schröder'sche Basta-Tonalität über die Mattscheibe. Weil Schwarzseher nach dem SOS aus Dublin die bereits angezählten Länder Portugal und Spanien als Nächstes fallen sehen, geizt Westerwelle nicht mit Verachtung. "Es geht nicht, dass wir ein anständiges Land nach dem anderen schlechtreden", kanzelt er Kritiker ab.

Möchtegernfinanzminister Westerwelle schwadroniert, raumfüllend - weil in bester Merkel-Mentalität. Seine Hände? Sind im Fernsehstudio von ZDF-Talklady Maybrit Illner an diesem späten Donnerstagabend ständig in Bewegung. Es sind ausufernde Gesten. Und sie unterstreichen seine verbale Kernbotschaft: "Ich habe eine Verantwortung wahrzunehmen. Für Deutschland, für Europa." Punkt!

"Deutschland, Zahlmeister Europas - geht unser Geld jetzt kaputt?", wollte Illner angesichts der am vergangenen Wochenende eskalierten Finanznot Irlands wissen. Und was macht Westerwelle? Er redet und redet - und redet sich in Rage. Sein Blutdruck: steigend.

"Der Euro ist nix für Sprüche", schulmeistert Westerwelle. Der Liberale giftet damit vor allem gegen den früheren Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine. Der ehemals überzeugte Sozi ist schon vor Jahren bei den Linken angekommen. Kernige Thesen, ja, die kann Lafontaine. Und die gefallen - gemessen am Applaus - auch dem Publikum im Berliner Fernsehstudio.

Schuld an der miserablen Lage Irlands sei nicht der Euro, "sondern das völlig verrückt gewordene Bankensystem", weiß der Mann aus dem Saarland. Leider hat DJ Lafontaine an diesem Abend nur eine einzige Platte dabei. "Das verrücktgewordene Geldsystem", ist so ein Dauer-Hit, und: die Banken seien "außer Rand und Band". Viel mehr fällt dem früheren Sozialdemokraten nicht ein.

Wortgewaltig, das ist Lafontaine noch immer. Und zwischendurch packt er auch gerne mal die ganz große verbale Keule aus. "Eigentlich gehören sie alle eingesperrt", lästert der Parteien-Grenzgänger über die Banker und ihr krudes System. Viel mehr allerdings kommt nicht. Dennoch: begeisterter Applaus im Publikum. Lafontaines Blutdruck: steigend.

Wer haut nun den Euro kaputt? Die Iren? Oder die Portugiesen? Die Finanzmärkte handeln Lissabon zwar bereits als nächsten Pleitekandidaten; richtig brenzlig wird es für den gigantischen 750-Milliarden-Euro-Rettungsschirm aber wohl erst, wenn Madrid um Hilfe bitten sollte. "Wir haben eine Staatsschuldenkrise, keine Frage. Und wir haben in den Märkten eine Menge Leute, denen der Euro nicht passt", weiß Hans Eichel, der zweite ehemalige Bundesfinanzminister in der illustren Illner-Runde, zu berichten.

Von Selbstkritik will der "Eiserne Hans" aus dem Kabinett Schröder aber auf Nachfrage Illners nichts wissen, im Gegenteil. Ob er im Rückblick auf Griechenlands getunten Beitritt zum Euro nicht "Selbstkritik" üben wolle, bohrt die Moderatorin. Doch Eichel schleudert ihr ein völlig entgeistertes "Warum?" entgegen.

Eichels Pulsfrequenz galoppiert vor allem in jenen Momenten schneller, in denen er sich mit dem vierten prominenten Gast der späten Fernsehrunde zofft. Hans-Olaf Henkel - früher Euro-Befürworter, heute -Kritiker, aber immer noch Talkshow-Dauerbewohner - treibt Eichel die Galle hoch.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema