TV-Kritik: Maybrit Illner:Unterwegs im Transpirapid

Zu heiß, zu kalt? Maybrit Illner sprang auf den Zug mit der kaputten Klimaanlage auf. Statt hitziger Wortgefechte gab es jedoch nur lauwarmes Geplänkel.

Antje Hildebrandt

Die Klimaanlage im ZDF-Hauptstadtstudio geriet an ihre Grenze, als Maybrit Illner zu später Stunde gewohnt kampflustig vermintes Terrain betrat: "Zu heiß, zu kalt, zu teuer, zu spät - Dauerchaos bei der Bahn?", so lautete der Titel ihrer Talkshow. Schon nach kurzer Zeit wischte sich der eine oder andere Gast den Schweiß von der Stirn. Nur einer blieb verdammt cool: Ulrich Homburg.

Homburg verantwortet als Vorstand der Bahn AG den Bereich Personenverkehr. Es ist ein Job, um den ihn dieser Tage keiner beneidet. Der Manager muss seinen Kopf dafür herhalten, dass am vergangenen Wochenende reihenweise Bahngäste in ICE-Zügen mit Kreislaufproblemen kollabierten. Schuld daran war die Klimaanlage, die bei Außentemperaturen von bis zu 36 Grad Celsius schlappgemacht hat. Die Hochgeschwindigkeitszüge der Bahn, sie verwandelten sich in rollende Brutkästen.

Einzelfälle, hieß es zunächst bei der Bahn, doch schnell stellte sich heraus, dass die Klima-Probleme einer ganzen ICE-Baureihe der Bahn schon lange bekannt sind. Jetzt rollt eine Klagewelle auf den privatisierten Staatskonzern zu. Sogar einen politischen Untersuchungsausschuss soll es geben. Ein PR-Desaster. Und ein Aufregerthema in der ganzen Republik. Kein Wunder also, dass Maybrit Illner über die Sauna-Bahn diskutieren ließ.

Nehmen wir es gleich vorweg: Es war ein ebenso vorhersehbarer wie matter Schlagaustausch, der sich da im ZDF-Studio entfaltete. Was wohl nicht nur an der Hitze lag. Irgendwie wurde man das Gefühl nicht los, die Redaktion habe bei der Auswahl ihrer Gäste mit der zweiten Garnitur vorliebnehmen müssen. So hätte man nur zu gerne aus erster Hand erfahren, wie die Gymnasiasten einer 10. Klasse aus dem nordrhein-westfälischen Willich ihre Heimreise im "Transpirapid" von einer Klassenfahrt nach Berlin erlebt hatten. Für fünf von ihnen endete sie vorübergehend im Krankenhaus.

Doch entweder sitzt den Teenagern der Schock noch so tief in den Gliedern, dass sich keiner traute, mit der Bahn zurück nach Berlin zu kommen. Oder die Redaktion erachtete das nicht für wichtig. Jedenfalls saß statt der Augenzeugen nur der Vater einer betroffenen Schülerin im Studio.

Er erzählte, dass die Klasse in Hannover nach dem Ausfall der Klimaanlage in einem ersten ICE in einen zweiten, völlig überfüllten "Hitzezug" umsteigen musste. Hilfe von Zugbegleitern habe es keine gegeben. "Das Personal war überfordert." Statt am nächsten Bahnhof zu halten, sei der ICE bis nach Bielefeld weitergefahren. Bis dahin sei die Temperatur auf über 50 Grad gestiegen. "Als die Schüler ausstiegen, fielen sie auf den Bahnsteig."

Peter Ramsauer (CSU), dem Bundesverkehrsminister, hätte diese Geschichte wohl die Röte ins Gesicht getrieben - ob vor Scham oder wegen der Hitze im ZDF-Studi, wäre interpretationsfähig gewesen. Hatte er doch reflexartig davor gewarnt, die Pannenserie zu "dramatisieren." Statt seiner sollte/musste Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) die Bundesregierung vertreten, doch für sie sprang Staatssekretärin Julia Klöckner (CDU) ein. Angeblich war die Ministerin in letzter Minute erkrankt. Klöckner konnte die Wut des Vaters nachvollziehen. Ihr eigener Freund hatte in einem der betroffenen Züge gesessen, erzählte sie. Auch er hatte sich über das Personal beschwert.

"Angst vor Maßreglung"

Mochte der Bundesvorsitzende des Fahrgastverbandes Pro Bahn, Hans-Peter Naumann, auch um Verständnis für die Zugbegleiter werben: "Die haben Angst vor Maßregelung, wenn sie eigene Entscheidungen treffen" - Klöckner blieb dabei: Nicht einmal etwas zu trinken habe ihr Freund bekommen.

Ehrlich empört, geißelte die CDU-Frau, die in Rheinland-Pfalz Ministerpräsidentin werden will, die Bahn für ihre Salami-Taktik beim Krisen-Management. "Erst hieß es, es sei nur ein Zug betroffen gewesen, dann zwei - und jetzt weiß man immer noch nicht, wie viele es tatsächlich waren." Mit der Bahn, bilanzierte sie resigniert, sei es eben ein bisschen wie mit einem Überraschungsei. "Man weiß nie, was man bekommt."

Mit triumphierendem Lächeln überreichte sie Maybrit Illner anschließend eine Checkliste mit den wichtigsten Reiserechten. Ihr Ministerium hatte sie rechtzeitig zum Beginn der Sommerferien herausgegeben und nach ihren Worten auch kostenlos in Zügen der Bahn verteilt. So viel PR in eigener Sache musste sein.

Das grüne Gewissen der Nation kam in Gestalt des Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer. Er zollte dem erst seit einem Jahr amtierenden Bahn-Chef Rüdiger Grube Respekt dafür, dass dieser sich bereits einen Tag nach dem Vorfall im ICE von Hannover nach Bielefeld bei der Lehrerin der Zehntklässler persönlich in einem Telefonat für die Panne entschuldigt hatte. Ja, er nahm den Manager sogar persönlich gegen Anfeindungen in Schutz. "Der Grube sitzt in der Grube, die ihm der Mehdorn gegraben hat."

Erwartungsgemäß nutzte er die Gelegenheit auch, um andererseits vor den verhängnisvollen Folgen der "Renditeoptimierung" des privatisierten Staatsunternehmens zu warnen. Die, echauffierte sich der Bahnfahrer, bekomme er regelmäßig am eigenen Leib zu spüren. "Was ich im letzten Jahr gefroren, geschwitzt und gewartet habe, das ist zu viel."

Bahn-Vorstand Homburg verfolgte die Vorwürfe mit schockgefrorener Miene. Wie Rüdiger Grube ist auch er erst seit einem Jahr im Amt.

Krisen pflasterten von Anfang an seinen Weg. Mit dem S-Bahn-Chaos in Berlin fing es an. Jetzt muss er neben dem seriellen Ausfall der Klimaanlage in den ICE-2-Zügen auch noch das PR-Desaster verantworten, in das die eigene Pressestelle den Monopolisten Bahn manövriert haben. Wie zum Beweis spielte die Redaktion einen Filmausschnitt ein. Da hatte ein Sprecher noch behauptet, die Klimaanlagen hätten nur in drei von 1400 Zügen schlappgemacht.

Der Konzern habe kein Interesse daran, das Problem zu verharmlosen, wiederholte Homburg gebetsmühlenhaft. Und nein, keineswegs habe die Bahn an der Wartung der Züge gespart. Verantwortlich für den Ausfall der Klimaanlagen machte er die Hersteller.

Nach einer EU-Richtlinie müssen sie eigentlich gewährleisten, dass die Innentemperatur im Zug auch bei einer Außentemperatur von 32 Grad Celsius nicht über 24 Grad Celsius steigt. In den ICE-2-Zügen sei das jedoch nicht garantiert, wie die Vorfälle am Wochenende gezeigt hätten, sagte Homburg. Infolge von Überlastung hätten sich sowohl die Lüftung als auch die Klimaanlage abgeschaltet. Nur so viel räumte der Manager ein: Die Bahn hätte die defekte Technik schon ihrerseits viel früher beanstanden müssen.

Ob nur noch Tote gefehlt hätten, fragte Maybrit Illner den Flugunternehmer Hans Rudolf Wöhrl. "Na ja", befand er diplomatisch. Und weiter: "Wenn man bei 50 Grad Celsius eingesperrt ist, ist es für die Leute eine Tortur." Für längere Entfernungen, warb Wöhrl, sei das Flugzeug eben besser geeignet.

Das konnte Ulrich Homburg natürlich so nicht stehen lassen. Vollmundig kündigte an, die Bahn werde fünf Milliarden Euro in die Nachrüstung der betroffenen ICE-Züge investieren. "Es ist die größte Investition, die wir je vorgenommen haben." Zu guter Letzt bedankte er sich noch einmal persönlich bei den Zehntklässlern aus Willich. Als ausgebildete Rettungssanitäter hatten einige von ihnen noch anderen Passagieren in dem "Transpirapid" geholfen.

Die Bahn will ihnen jetzt unter dem öffentlichen Druck 150 Prozent des Ticketpreises zurückerstatten. Dem Vater der kollabierten Schülerin reicht das nicht. Vorstand Homburg kann sich schon mal darauf einrichten, dass ihn die Öffentlichkeit auch nach dem Ende der Hitzeperiode nicht aus dem Schwitzkasten entlässt. Auch die Eltern der Zehntklässler wollen die Bahn verklagen.

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