TV-Kritik: Maybrit Illner:Schema F im Super-GAU

Wer gehofft hat, Fukushima werde die deutsche Atomdebatte verändern, wird in diesen Tagen bitter enttäuscht. In den TV-Talks wird so permanent wie penetrant über die Katastrophe diskutiert - mit frustrierenden Ergebnissen.

Marlene Weiss

Seit Tagen wird in Fernseh-Talkrunden über nichts anderes geredet als die nukleare Zeitenwende namens Fukushima-1 - aber haben sich die Argumente verändert? Sind die Fronten im ewigen Streit über die Atomenergie aufgeweicht? Hat die deutsche Debatte über ein altes deutsches Spaltthema einen anderen Ton bekommen?

Im Gegenteil. So zu besichtigen in Maybrit Illners Runde am Donnerstagabend.

Einen kurzen Moment zu Beginn dreht sich die Runde um Japan. Pia-Tomoko Meid, Chefin der Deutsch-Japanischen Gesellschaft in Düsseldorf, soll erklären, warum die Japaner die Katastrophe anscheinend so bewundernswert gelassen ertragen, statt sich wie die Deutschen mit Jodtabletten und Geigerzählern einzudecken.

Tja, wieso nur?

Die Zahl der Toten ist zu diesem Zeitpunkt auf 5600 gestiegen, 9500 Menschen werden vermisst. Es gibt täglich Stromausfälle, in vielen Gebieten des Landes sind Trinkwasser und Lebensmittel knapp. Kaum einer kann sich in diesen Tagen den Luxus erlauben, wegen des Kaufs von Geigerzählern und Jodtabletten in Panik zu geraten - aber ja, vielleicht hat es auch etwas mit dem Shintoismus zu tun, was die Deutsch-Japanerin Meid andeutet.

Damit ist das Thema Japan erledigt. Illner schwenkt über zum liebsten Talkshow-Thema: die Deutschen und ihre Befindlichkeiten, gerne "Debatte" tituliert. In diesem Fall: Atomdebatte. Und alle Gäste füllen ihre Rollen erwartungsgemäß aus.

Der Atomboss findet alles sicher - erwartungsgemäß

Eon-Chef Johannes Teyssen beharrt darauf, deutsche Kernkraftwerke seien sicher. Nicht ein bisschen oder sehr oder fast, sondern sicher, Punktum! - diskutieren könne man allein über die "Sicherheitsreserve", sagt Teyssen. Es geht also nicht um 95 oder 99 Prozent Sicherheit, sondern offenbar eher um 101 oder 105. Teyssen findet das von der Bundesregierung verordnete dreimonatige Moratorium damit "sicherheitstechnisch nicht begründbar". Dazu muss man wissen: Zwei der sechs Eon-Atommeiler sind wegen des Moratoriums vorläufig abgeschaltet, Isar 1 und Unterweser. Beide gehören zur ältesten Generation der Atomkraftwerke in Deutschland, bei der durchaus Zweifel an der Sicherheitsreserve aufkommen könnten.

Der Gedanke liegt nahe, dass die schönste Sicherheitsreserve nichts nützt, wenn sich die Umstände ungünstig verketten. Das sagt Teyssen nicht, und Illner fragt nicht nach. So bleibt der Eindruck, dass der Eon-Chef zwar vielleicht innehalten, prüfen, nachdenken will - nur das Ergebnis der Prüfung kennt er offenbar schon jetzt.

"Es muss schneller gehen"

Auch BDI-Präsident Hans-Peter Keitel fordert jetzt Zeit - zum Nachdenken, ergebnisoffen, versteht sich: "Für mich ist die Tatsache, dass etwas passiert ist, was außerhalb der Auslegungsfälle liegt, ein neuer Tatbestand." Als hätte sich die Statistik einer Straftat schuldig gemacht, indem sie sich nicht an die Annahmen der Ingenieure gehalten hat, und müsse jetzt mit besonderer Strenge wieder auf den rechten Weg geführt werden. Weil ja nicht passieren kann, was nicht passieren darf. In Japan nicht und in Deutschland erst recht nicht.

Leider ist es nun mal doch passiert.

Den Menschen sei mittlerweile klargeworden, dass auch ein Restrisiko ein Risiko ist, sagt Grünen-Chefin Renate Künast dazu. Wozu also drei Monate Moratorium, bevor man wieder einsteigt in den Ausstieg? Auch sie kennt das Ergebnis der Prüfung schon, für ihre Seite der Atomdebattenfront: "Es muss schneller gehen." Für ernsthafte Sicherheitstests seien drei Monate ohnehin zu kurz.

Bundesumweltminister Norbert Röttgen kontert, man brauche Zeit und einen Prozess, in dem eine Debatte geführt wird. Eine Zäsur sei Fukushima, sagt er noch - und wird nie konkreter. Als Illner am Ende ihre Gäste um ein Datum bittet, zu dem der Ausstieg geschafft sein soll, will er sich wie Teyssen und Keitel nicht festlegen.

Künast und der Umwelt-Denker Andreas Kraemer, Geschäftsführer des Berliner Think-Tanks Ecologic Institut, preschen dagegen vor. Künast peilt das Ende der nächsten Legislaturperiode an; Kraemer will bis 2035 auf erneuerbare Energien umgestellt haben, am besten europaweit.

So viel scheint sich also doch nicht geändert zu haben seit Fukushima: Der Atomausstieg bleibt eine zähe Übung, geprägt von Rückschlägen und Streiterei um Restlaufzeiten, Restrisiko und Restsicherheit. Und dem Gefühl, dass all das vor einem Vierteljahrhundert schon einmal da war, als das Unglück in Tschernobyl Europa in Panik versetzte. Alles erwartbar. Womit sich die Frage stellt, was von einem solchen Talk überhaupt bleibt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: