TV-Kritik: Maybrit Illner:Religion als Privatsache?

Integrieren, assimilieren, vereinigen - oder doch aneinander vorbeireden? Bei Illner diskutieren Wowereit, Broder und Dobrindt über Kruzifixe, Kopftücher und türkische Ministerinnen.

Rupert Sommer

Selten hat es sich weniger gelohnt, bei einer Talkrunde auf das von einer wortspielverliebten Redaktion eigentlich vorgegebene Ausgangsthema zurückzukommen als in der hitzigen, aber viel zu sprunghaften Runde von Maybrit Illner.

Klaus Wowereit, Maybrit Illner, Foto: dpa

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit zu Gast bei Maybrit Illner.

(Foto: Foto: dpa)

Mit dem platten Motto "Kruzitürken" konnte mitten im Berliner Hauptstadtstudio am ehesten noch der christsoziale Spree-Bayer Alexander Dobrindt, Anwalt der freistaatlichen Schul-Kruzifixe, etwas anfangen. "Unsere christlichen Symbole sollten wir nicht verstecken", mahnte er eifrig an. Die im Titel nachgeschobene Frage "Sind wir offen für muslimische Minister?", die sich auf die Vereidigung der niedersächsischen CDU-Sozialministerin Aygül Özkan bezog, nahmen die Anwesenden zum Anlass über vieles, vor allem aber über ihre Lieblingsthemen zu reden.

Nicht in die Betten hineinregieren

Für die Frauenrechtlerin Seyran Ates, die schon häufiger bei Illner zu Gast war, lief die Frage letztlich auf ihre wiederholt gestellte Forderung nach einer sexuellen Revolution in den islamischen Gesellschaften hinaus. Nur wenn nicht unter dem Vorwand einer Religion in die Betten hineinregiert werde, könnten auch Auswüchse wie Zwangsverheiratungen in Parallelgesellschaften verhindert werden - und Sex unter muslimischen Jugendlichen zur selbstbestimmten Selbstverständlichkeit werden.

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit nutzte die Gelegenheit, recht pauschal mit allen auch in Berlin vertretenen intoleranten Glaubensgemeinschaften ins Gericht zu gehen und etwa das Frauenbild orthodoxer Juden ebenso zu rüffeln wie die Haltung von Erzkatholiken gegenüber homosexuellen Lebensgemeinschaften. Dass in Dobrindts CSU-Heimat Bayern trotz eines nicht ganz unumstrittenen Verfassungsurteils die Kreuze weiterhin hängen, quittierte er mit Spott und warf der CSU vor, "dauernd zum Verfassungsaufbruch" aufzurufen. "Der Freistaat hat die Klage verloren", blaffte er den Generalsekretär an. "Nehmen Sie doch mal als Demokrat zur Kenntnis, dass Sie eine schallende Ohrfeige erhalten haben."

Überraschung: Broder explodiert nicht

Ali Kizilkaya, Vorsitzender des Islamrats für die Bundesrepublik Deutschland, kritisierte die "Doppelmoral" in der Debatte. "Ich als Muslim fühle mich von Kruzifixen nicht gestört", erklärte er freimütig. Politiker, die Özkans ursprüngliche Kritik an christlichen Symbolen in staatlichen Schulen beklagten, machten sich gleichzeitig für eine Einhaltung des Kopftuchverbots stark. So weit, so verworren.

Die einzige Überraschung: Henryk M. Broder explodierte nicht. Dem wortgewandten Provokateur traut man eigentlich die Rolle des Zündlers zu. Wenigstens zu Beginn einer zunehmend verfahrenen Diskussion hielt er sich merklich zurück, gab sich fast staatsmännisch milde. "Die Menschheit hat schon Schlimmeres erlebt", sagte er zur Debatte um die erste muslimische Ministerin und erwähnte in einem Atemzug den ersten schwarzen Präsidenten Obama, die "Ossi-Frau" als Kanzlerin und den "offen homosexuellen Außenminister". Mit Statements wie "Migranten sind in der Pflicht, sich um ihre Integration zu kümmern" goss er sogar Wasser auf die Mühlen des CSU-Manns Dobrindt.

Lesen Sie weiter, wie die Comedy-Einlage des "Integrators" alle Anwesenden im Studio verwirrte.

"Eine schöne Rede für den Bezirksparteitag"

Dann begann Broder doch ein wenig zu provozieren - etwa als er den Unterschied zwischen dem eher "kulturellen" Symbol des Kreuzes und der muslimischen Verschleierung herausstrich. "Das Kopftuch symbolisiert Unterwerfung und Gehorsam", schimpfte er. Dennoch mäanderte das Gespräch abenteuerlich weiter. Es kam von der Frage, auf welchen Gott sich die gescholtene Ministerin bei ihrem Amtseid eigentlich berufen hat (den altväterlichen der drei Weltreligionen, mutmaßte Illner; selbstverständlich den christlichen, meinte Dobrindt), über Mohammed-Karikaturen, Ehrenmorde, Gebetsräume an Schulen letztlich sogar zur Bewerbungsnachteilen mit türkisch klingenden Nachnamen.

Erst am Tiefpunkt angekommen, zündete Broder seine breit ausstreuende Polemik-Bombe: Er kritisierte die fortschreitende desaströse "Konfessionialisierung des öffentlichen Lebens". "Die katholische Kirche steigt hierbei fröhlich mit ein", schob er hinterher. Dennoch attackierte er den vermeintlichen Integrationsunwillen bei Islam-Gläubigen scharf. "Wenn wir von Problemen bei der Integration sprechen", so Broder, "dann reden wir zu 99 Prozent von den Muslimen."

Und die verachteten angeblich sogar die Kultur ihres Gastlandes. Während es sowohl in der christlichen als auch in der jüdischen Tradition eine Aufklärung gegeben hätte, vermisst er diese bei seinen muslimischen Mitbürgern. "Der letzte Jude, der exkommuniziert wurde", versuchte sich Broder zu erinnern, "war Baruch Spinoza". Von Maybrit Illner nachgefragt, erläuterte er, dass er von einem aufgeklärtem Muslim erwarte, dass er "aus seiner Religion kein Aufhebens" mache, sie als "Privatsache" betrachte.

Eine ganz private Dimension auf über weite Strecken viel zu unpräzise geführte Debatte ("eine schöne Rede für den nächsten Bezirksparteitag", frotzelte Broder über Wowereits Plädoyer für allgemeine Toleranz) hätte als Abrundung eigentlich noch der deutsch-türkische Kabarettist Alparslan Marx einbringen sollen. Der Mann, der sich in seiner bemüht anspielungsreichen Stand-up-Einlage der "Integrator" nannte, ließ das anwesende Studiopublikum die Zähne aufeinander beißen. Mit seinem offenbar überzeugungsernsten Aufruf, alle Ethnien innerhalb Deutschlands zu vereinigen und für das Staatengebilde auch noch einen neuen neutralen Namen zu finden, stieß er bei keinem der Diskussionsteilnehmer auf Gegenliebe - und beim Publikum auf Ratlosigkeit.

Nur Talkmasterin Illner fand das offenbar nicht. Sie beschloss die in die Zeitüberziehung ausgefranste Debatte mit den beschwörenden Worten: "Eine rasante, sehr lehrreiche Sendung."

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