TV-Kritik: Maybrit Illner:Ist ja süß

Bei seinem ersten Auftritt in einer Polit-Talkshow wird von Gesundheitsminister Philipp Rösler ganz viel gefunden - nur kein Mittel.

Thorsten Denkler

"Sagten Sie 'süß'?", fragt Maybrit Illner und schaut Philipp Rösler, dem deutschen Gesundheitsminister, ungläubig in die Augen.

Pk Rösler

Zu Gast in der Talksendung bei Maybrit Illner: FDP-Gesundheitsminister Philipp Rösler.

(Foto: dpa)

Süß, das Wort gehört nun nicht gerade zum Standardwortschatz ihrer Gäste im Berliner ZDF-Studio im Zollernhof. Es ist vielleicht ein Wort, das allenfalls zu Rösler selber einfallen mag: Das knabenhafte Gesicht, die exquisiten Umgangsformen, der aufrechte Rücken, wenn er auf einem Stuhl sitzt. Rösler wirkt wie ein College boy bei seinem ersten Bewerbungsgespräch.

Rösler sitzt auch an diesem Donnerstagabend aufrecht, aber zum ersten Mal in seiner Funktion als Gesundheitsminister in einer Polit-Talkshow. Illner scheint darüber verzückt zu sein und hebt den Umstand am Anfang der Sendung deutlich hervor.

Rösler hatte in den ersten neun Monaten seiner Amtszeit wohl auch nichts Talkshow-Wesentliches mitzuteilen. So lange bekriegen sich die schwarz-gelben Koalitionäre ja schon hinter verschlossenen Türen. Es mussten erst eine Wahl in Nordrhein-Westfalen und die eines Bundespräsidenten überstanden werden, bis sie die Kraft zur Einigung fanden.

Was dabei herauskam, sollte nun also Thema der Sendung sein. "Lizenz zum Abkassieren - Wie gerecht ist Ihre Gesundheitsreform, Herr Rösler?", so der Titel.

Die Rollen sind klar verteilt. Mit dabei sind neben Rösler (super gerecht und super gut für die Versicherten) der SPD-Medizinmann Karl Lauterbach (super ungerecht und super schlecht für die Versicherten), der Ärztefunktionär Frank Ulrich Montgomery (super gut erst mal, aber es muss noch was kommen), die Krankenkassenfunktionärin Doris Pfeiffer (alles eher doof, weil falscher Ansatz) und der SZ-Medizin-Redakteur Werner Bartens (alles total doof, weil grundlegend falscher Ansatz).

Worum es geht: Im kommenden Jahr fehlen elf Milliarden Euro im Gesundheitssystem. Die müssen nun irgendwoher kommen.

Weil neun Monate Verhandlung nicht reichten, kommt jetzt eine Reform, die, so sagt Lauterbach, jeder hätte machen können: Krankenkassenbeiträge rauf von 14,9 auf 15,5 Prozent plus unbegrenzte Zusatzbeiträge der Kassen. Zu zahlen ist das allein von den Versicherten, aber versehen mit Sozialschutzschirm. Was über zwei Prozent des Monatseinkommens geht, zahlt die Gemeinschaft der Steuerzahler.

Wie das mit dem Sozialausgleich funktionieren soll, weiß eigentlich keiner so richtig. Rösler versucht auch nicht einmal, es zu erklären. Ist ja alles ganz einfach weil "automatisch", sagt er. Nach dem Motto: Wen interessiert schon, wie ein Motor funktioniert. Hauptsache, die Karre springt an. So kann man das sehen. Im Publikum gibt es dafür Gelächter.

Zunächst aber erzeugen die Anwesenden Zahlenwirrwarr. Rösler sagt, drei bis sieben Euro wird es teurer, also im Schnitt fünf. Lauterbach nennt Zahlen von 20 bis 25 Euro oder auch 30, aber wohl eher doch 25 Euro mehr pro Monat.

Herausfiltern lässt sich immerhin so viel: Die mittleren Einkommen werden durch die Beitragserhöhung besonders stark belastet. Was Rösler nicht so schlimm findet, weil es das beste Gesundheitssystem der Welt eben nicht zum Nulltarif gebe - was allerdings auch keiner behauptet hat.

"Hunderttausend Euro für eine Krebsbehandlung", das führt Rösler als Beispiel an, da sind fünf Euro mehr doch nun wirklich nicht zu viel. "Wem es das nicht wert ist, der soll es heute sagen oder für immer schweigen", fügt er noch an. Spätestens da dürfte jedem klar sein: Rösler, das ist ja der von der FDP.

Geschwiegen wurde natürlich nicht, ist ja eine Talkshow. Hier ist Schweigen Silber und Reden Gold. Ärztefunktionär Montgomery nutzt seinen Redeanteil, um es schön zu finden, dass jetzt endlich genug Geld im System ist. Damit sei erst mal "Ruhe an der Front".

Illner zuckt kurz zusammen, als hätte gerade jemand wieder was von "innerem Reichsparteitag" gefaselt.

Montgomery wollte aber nur sagen, dass es eben jetzt genug Luft für eine Strukturdebatte gebe, bei der auch die Ausgabenseite angegangen werden müsse.

Montgomery hat gut reden. Die Ärzte haben in dem Kompromiss- und Sparpaket lustigerweise ein Plus von 1,5 Milliarden Euro für sich entdeckt. Weil ihnen ursprünglich mal drei Milliarden zugesagt wurden, können sie jetzt mit Fug und Recht behaupten, auch etwas zum Sparen beigetragen zu haben.

Krankenkassenfrau Doris Pfeiffer findet dagegen das Signal schlimm, dass die Ausgaben gar nicht angegangen werden und Kostensteigerungen jetzt auf die Versicherten allein abgewälzt werden.

SZ-Redakteur Bartens findet die ganze Debatte nicht grundsätzlich genug. Wieder werde nur über Strukturen, nicht über Inhalte geredet. Es könne schon viel Geld gespart werden, wenn nicht jeder Psychosomatiker in die teure Labordiagnostik geschickt werde. Montgomery guckt Bartens an, als habe er das schon mindestens hundertmal zu oft in seinem Leben gehört.

Und Rösler? Der findet gerade eben echt "süß", dass der Herr neben ihm, Karl Lauerbach, ein Plädoyer für mehr Wettbewerb unter den Krankenkassen hält. Denn rhetorische Feier vor Wettbewerb, das ist ja sonst seine Domäne.

Na ja, seine Domäne als FDP-Mann wäre es auch, Systeme einfacher und transparenter zu machen. Vor allem aber billiger. Mehr Netto vom Brutto, solche Lebensvereinfachungen hat doch die FDP erfunden (glaubt sie zumindest). Dummerweise müssen jetzt genau die Leute die Kosten tragen, "die sich auf ihre Steuersenkung gefreut haben, die nicht kommt", stichelt Lauterbach vergnügt.

Der SPD-Mann bringt dann noch den Begriff "Wahllüge" in einer Ecke der Sendung unter, womit er seine Schuldigkeit getan hat. Und Rösler darf erklären: "Gewonnen haben Versicherte, Patientinnen und Patienten." Nicht, weil die jetzt alle mehr zahlen müssen für dieselbe Leistung. Sondern, weil Rösler im Grunde quasi im Alleingang das Gesundheitssystem mit seiner Reform vor dem sicheren Zusammenbruch bewahrt hat. Wer das nicht einsehen will, der möge für immer schweigen.

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