TV-Kritik: Maybrit Illner:Sauerland braucht Hilfe - oder den Rücktritt?

Tage nach dem Inferno von Duisburg fragt auch Maybrit Illner im ZDF nach den Gründen für die Katastrophe. DJ Paul van Dyk wundert sich, Ruhr-Förderer Pleitgen relativiert.

Ralph Pfister

"Wie kann es sein, dass so was passiert, wie kann man ein so kleines Gelände auswählen, das einzäunen und auch nur durch einen Tunnel zugänglich machen?", fragt Manuel Lippka, Augenzeuge der Katastrophe auf der Duisburger Loveparade. Zu diesem Zeitpunkt sind in Maybrit Illners ZDF-Talkshow schon 50 Minuten vergangen. Dass die Frage nun kommt, zeigt, wie wenig näher die Runde der Antwort auf die im Titel gestellte Frage gekommen ist: "Tanz in den Tod - Warum wurde die Loveparade zur Katastrophe?"

Maybrit Illner spricht sich fuer Journalistenkodex aus

"Tanz in den Tod: Warum wurde die Loveparade zur Katastrophe?" - zu diesem Thema diskutierte Maybrit Illner mit ihren Gästen, unter anderen Wolfgang Bosbach und Fritz Pleitgen.

(Foto: ddp)

Zu greifen bekommen die Moderatorin und ihre Gäste das Warum nicht. Lippka, der Augenzeuge, darf ganz zu Beginn schildern, wie er das Gedränge im Tunnel erlebt hat. Er tut es ruhig, mit bedachten Worten - denn Angst hatte er, wie er sagt, nicht, er stand mittendrin, hat aber gar nicht recht mitbekommen, was weiter vorne geschah.

Auch in der Gesprächsrunde ist er mittendrin, aber erst ganz zum Schluss wieder dabei. Bis dahin verschwindet er zwischen Fritz Pleitgen, der als Geschäftführer von Ruhr 2010 ehrlich betroffen wirkt, Rainer Wendt, der als Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in bester Funktionärsmanier die Flagge der Sicherheitskräfte hochhält, und Wolfgang Bosbach (CDU), der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, der gemeinsam mit DJ Paul van Dyk die klarste Entrüstung zeigt.

Pleitgen, der frühere WDR-Intendant, hat in die Sendung gefunden, weil er als Einziger im weiteren Kreis um die Veranstaltung von Verantwortung sprach. Er fühlt sich moralisch mitverantwortlich. Die Loveparade war Teil des Programms von Ruhr 2010, Pleitgen erlebte den Beginn direkt vor Ort. Später, als ihn die Meldungen zu den Toten und Verletzten erreichten, fuhr er zurück nach Duisburg und erlebte die Arbeit des Krisenstabs hautnah. Bei Illner merkt man Pleitgen die tiefe Betroffenheit an, den anderen Gästen lauscht er mit gezeichneter, meist starrer Miene.

Schnelle Schuldzuweisungen sind seine Sache nicht. Er redet eher davon, dass wohl nicht alles bedacht worden sei, kann sich aber nicht vorstellen, dass Sicherheitsbedenken keine Rolle bei den Verantwortlichen gespielt hätten. Von Bedenken im Vorfeld habe er nie gehört.

Einfach mal so weggewischt

Das wollen weder Politiker Bosbach (CDU) noch Polizeigewerkschafts-Chef Wendt so stehen lassen. Bosbach spricht von "massiven Sicherheitsbedenken", Wendt zählt auf "das Duisburger Polizeipräsidium, ich habe es gesagt, alles stand in der Zeitung ...". Auf Pleitgens gemurmeltes "Das möchte ich sehen" schiebt Wendt ein bissiges "Aber gerne!" hinterher - samt der Offerte, Pleitgen die Artikel zuzuschicken. Der Ex-WDR-Chef kennt sich normalerweise in der Medienlandschaft gut aus.

Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland trage die politische Verantwortung und "hafte" damit auch politisch für mögliche Fehler seiner Mitarbeiter, erklärt Bosbach noch: "Ob ich eine Verfügung unterschrieben habe oder nicht, ist völlig zweitrangig". Zwar könne er verstehen, dass Sauerland nicht mit einem Rücktritt den Eindruck eines möglicherweise sogar strafrechtlich relevanten Schuldeingeständnisses erwecken wolle. Ein solches Amt sei aber "nicht nur mit Würde, sondern gelegentlich auch mit einer Bürde verbunden".

Neun Stunden nach Maybrit Illner hat dann auch Pleitgen die Sinne geschärft und fordert Radikales von den Verantwortlichen: "Das, was gegenwärtig passiert, das schürt die Verzweiflung der Menschen und die Empörung und das sollte tunlichst bald beendet werden", sagte er im ZDF-Morgenmagazin. "Man muss sich jedenfalls der Öffentlichkeit stellen, muss versuchen, die Fragen, die man wirklich beantworten kann, dann auch zu beantworten, damit die Menschen wissen, da ist jemand bereit, die Verantwortung zu tragen." Dies gelte vor allem für Oberbürgermeister Sauerland.

Pleitgen wörtlich. "Der Oberbürgermeister Sauerland ist ein sehr beliebter Oberbürgermeister gewesen, aber offensichtlich jetzt nicht der Situation gewachsen. Und er braucht dringend Hilfe."

Am Abend zuvor im ZDF wirkt es so, als brauche auch Pleitgen gelegentlich Hilfe. DJ Paul van Dyk reibt sich besonders an dessen Einschätzung, die Loveparade sei ein erprobtes Format gewesen. So seien die Veranstalter der Loveparade nach der Übernahme 2006 "letztendlich eine Fitnesskette, die mit Großveranstaltung wenig zu tun haben" - und nicht die tatsächlich erfahrenen früheren Organisatoren, so Paul van Djk. Die Neuen seien "Leute, die diese Verantwortung nicht übernehmen können, weil sie nicht wissen, wie es geht". Zum anderen sei es ihm "ein Riesenrätsel", wie es sein könne, dass das Fachwissen von Polizei und Feuerwehr vor Ort "von einem geltungssüchtigen Politiker einfach mal so weggewischt wird".

Das trägt van Dyk den ersten Publikumsapplaus ein.

Die Diskussion danach dreht sich um Verantwortlichkeiten und Abläufe bei den Genehmigungen und dem Sicherheitskonzept. Am Pult befragt die ZDF-Moderatorin den Sicherheitsspezialisten Carsten Simon nach Schwachstellen im Konzept ("ganz klar der Tunnel") und der Verantwortung ("ganz klar der Veranstalter").

CDU-Politiker Bosbach erzürnen vor allem zwei Dinge. Das eine ist die Organisation, bei der Duisburg drei Jahre Zeit gehabt hätte, "und dann ging alles in den letzten Tagen hopplahopp". Man hätte sich viel mehr mit dem Thema Sicherheit beschäftigen müssen - besonders, nachdem Bochum die Loveparade im Vorjahr deshalb abgesagt hatte. Das andere ist das Schweigen der Verantwortlichen. "Was mich so betroffen macht, ist, dass danach jeder sagt, 'Das Ergebnis ist fürchterlich, aber ich, ich hab nichts unterschrieben, ich war nicht zuständig'", erklärt der Bundestagspolitiker.

Stattdessen zeige jeder auf den anderen. "Wir haben 21 Tote zu beklagen, wir haben 500 Verletzte, Angehörige und Hinterbliebene trauern und erwarten Antworten", redet sich der CDU-Mann in Rage. "Da kann man nicht sagen, die Staatsanwaltschaft ermittelt, bleibt entspannt, das dauert eben seine Zeit!" Die Menschen hätten ein Recht darauf, dass die Politik ehrlich Auskunft erteilt.

Antworten sind Loveparade-Veranstalter Rainer Schaller und die Spitzen der Stadt Duisburg nicht nur in ihrer Pressekonferenz am vergangenen Sonntag schuldig geblieben. Illners Redaktion hatte offenbar alle angefragt - keiner kam.

Also diskutierten andere darüber, ob die Schuld Veranstalter Rainer Schaller, Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland, diverse Dezernenten und Verwaltungsangestellte oder alle zusammen tragen. Wendt sorgte mit seinem Erscheinen wohl dafür, dass die Polizei aus der Schulddiskussion verschwindet. Der Sicherheitsexperte wie Augenzeuge Lippka bescheinigen ihr gute Arbeit, Paul van Dyk lobt das britische Beispiel: "Die Polizei hat dort die letzte Entscheidungsgewalt, ob ein Event durchgeführt wird oder nicht." Das fehlt Wendt in Deutschland.

Simple Selbstverständlichkeit

Neben der Frage nach den Schuldigen gibt es noch eine andere. "Warum hat keiner die Notbremse gezogen?", bringt es Illner auf den Punkt. Beackert wird dieses Feld dann jedoch von Pleitgen. Mit Verweis auf den breiten Chor von Stimmen, der jetzt sein "Ich habe es euch gesagt" anstimmt, von Bedenken erzählt, interne Papiere vorzeigt, verweist er auf den langen Vorlauf des Projekts, es habe sogar eine öffentliche Begehung gegeben. "Danach habe ich keine Berichte gesehen, in denen gesagt wird, das ist eine Todesfalle."

Wenn das alles so gewesen sei, müsse es doch von Rechts wegen eine Notbremse geben und hätten sich doch die, die mit ihrer Kritik auf taube Ohren stießen, an die Öffentlichkeit wenden müssen. Warum das keiner offensiv genug getan hat, warum Bedenken zumindest überregional nicht in den Medien stattfanden, das bleibt in der Folge leider außen vor.

In gewisser Weise stellen Wendts Forderung nach dem Einverständnis der Polizei für Großevents oder Bosbachs Vorschlag für zentrale Landesstellen, die bei Massenveranstaltungen mit an Bord geholt werden müssen, Ansätze derartiger Notbremsen dar.

Van Dyk hat eine einfachere Sicht. Ihn entsetzt besonders die Schaffung neuer Behörden: "Wir diskutieren hier tatsächlich darum, etwas einzurichten, das letztendlich dafür sorgt, dass Politiker nicht einfach über die klaren Sicherheitsinteressen, die die Fachleute auf den Tisch legen bei einem Event, hinweggehen. Das finde ich absurd." Sein Vorschlag: Auf die Fachleute vor Ort hören, nicht über deren Bedenken hinwegsetzen. Zum Schluss stößt das in der Runde auf breite Zustimmung.

Die Tragik liegt darin, dass es für diese Selbstverständlichkeit nicht nur 60 Minuten Talkshow brauchte. Sondern 21 Tote und 500 Verletzte.

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