TV-Kritik: Maybrit Illner:Ausgegoogelt

In 60 Minuten Fernsehtalk das Internet erklären - Maybrit Illner scheiterte im ZDF mit platten Thesen und grotesker Gästeliste.

Johannes Kuhn

Frank Schirrmacher hat Visionen: Der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen befürchtet, dass unser Leben in einigen Jahren von Algorithmen beherrscht wird, die unser Verhalten bis ins kleinste Detail voraussagen. Solcher Algorithmen hätte es am Donnerstagabend gar nicht bedurft: Gesunder Menschenverstand hätte genügt, um zu prophezeien, dass Maybrit Illners Talkrunde zum Internet grandios scheitern würde.

"Wie gefährlich ist das Internet?" lautete das Thema im ZDF, und Illners Redaktion schien sich alle Mühe gegeben zu haben, die gefährlich platte Fragestellung mit einer vogelwilden Teilnehmerauswahl zu kombinieren: Die ich-erschöpfte Netz-Kassandra Schirrmacher, die Internetaktivistin und FAZ-Kolumnistin Constanze Kurz, der smarte Google-Sprecher Kay Oberbeck, die Facebook-Kritikerin und Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) sowie ZDF-Fernsehgarten-Moderatorin Andrea Kiewel hatten sich im Studio versammelt - um aneinander vorbei zu reden.

Vor allem auf die Frage, für welche Rolle das stets gut gelaunte Unterhaltungs-Knallbonbon Kiewel vorgesehen war, dürfte selbst das Internet keine Antwort wissen: Immerhin weiß das ZDF-Publikum nun, dass Kiewels jüngstes Kind ohne Handy in die Waldorfschule geht, es eine schlimme Sache ist, dass im Netz "Gerüchte gebloggt" werden und dass Google-Mann Oberbeck seiner zehnjährigen Tochter besser die Möglichkeiten der mobilen Kommunikation verwehrt hätte (Kiewel, ausnahmsweise entrüstet: "Wieso braucht die denn ein Handy?").

Doch auch der Rest der Runde trug kaum etwas zu einer tiefgründigen Debatte bei: Ministerin Aigner wiederholte ihre Facebook-Kritik und versuchte, Google-Mann Oberbeck in die Defensive zu drängen. "Sie speichern Suchanfragen anderthalb Jahre, ob ich nach einem Buch, Medikament oder einer Beratungsstelle suche, alles wird gespeichert, jeder Schritt", klagte sie und prangerte die Datengier des Fotodienstes Google-Street-View und die Datenschutzprobleme des Schnatterprogramms Google Buzz an. Es hätte ein spannender Schlagabtausch werden können, einzig fehlte es der CSU-Ministerin an Detailwissen, um den PR-Profi Oberbeck wirklich in Bedrängnis zu bringen.

Zwang zum Multitasking

Der wiederum gab den Bescheidenen: Das Google-Buch sei erst ungefähr beim "dritten Kapitel" - und bevor das Publikum das Gefühl bekommen konnte, dies sei als Drohung zu verstehen, ergänzte er flink: "Die Weltherrschaft ist nicht unser Ziel." Bei genauerem Hinsehen entpuppte sich so manches Argument dann jedoch als routinierte PR - die Datenkontrolle über den Google-Dienst Dashboard, die Sprecher Oberbeck in den höchsten Tönen pries, gilt beispielsweise längst als Alibi-Funktion.

So blieb es Constanze Kurz überlassen, die aktuellen Diskussionen über Internetsperren und den Schutz der Bürger vor Datenkraken kompakt zusammenzufassen: Das Bewusstsein über grundlegende Funktionsweisen des Internets fehle derzeit in Teilen von Bevölkerung und Politik, so der Tenor der Sprecherin des Chaos Computer Clubs. Weil sie in ihren Ausführungen nur selten über das Ziel hinaus schoss - wie bei der Behauptung, bei Google handele es sich um einen Monopolisten - trug sie als eine der wenigen Teilnehmer zur Erhellung bei.

Neben ihr saß Frank Schirrmacher, beklagte den Zwang zum Multitasking und die Macht der Algorithmen, forderte eine Lehre des Denkens sowie Meditationskurse in der Schule und fragte sich wahrscheinlich insgeheim, warum ihn sein gesunder Menschenverstand nicht davor gewarnt hatte, heute Abend komplett fehl am Platz zu sein.

Dieses Gefühl hatte er wahrscheinlich mit den meisten Zuschauern gemein, die nach den 60 Minuten zu Datenschutz, Internetfreiheit, digitalen Supermächten und digitaler Medienkompetenz nicht mehr als einige Schlagworte behalten haben dürften.

Immerhin, für eine Google-Suche dürfte das reichen.

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