TV-Kritik: Maischberger zum Fall Kachelmann:Das letzte Fernsehgericht

Wahrheit und Talk-Wahnsinn: Bei ARD-Moderatorin Maischberger hält Kachelmann-Kritikerin Alice Schwarzer ihr persönliches Schlussplädoyer - und treibt den anwesenden Richter in die Verzweiflung.

Johanna Bruckner

Es ist eine unangenehme Angewohnheit von Talkshowmoderatoren, Fragen auf die Agenda zu setzen, die am Ende unbeantwortet bleiben müssen. ARD-Talkerin Sandra Maischberger hat sich am gestrigen Dienstagabend nach dem Freispruch für ihren einstigen ARD-Kollegen Jörg Kachelmann eine ganz besonders ambitionierte auf ihre Moderationskärtchen geschrieben: "Das Kachelmann-Urteil: Hat die Wahrheit gesiegt?" Wo das Mannheimer Gericht "in dubio pro reo", im Zweifel für den Angeklagten entschieden hat, sollen offenbar die geladenen Fernsehschöffen Farbe bekennen. Grautöne sind schlecht für die Quote.

Alice Schwarzer

Alice Schwarzer, Frauenrechtlerin, Journalistin und Prozessbeobachterin im Fall Kachelmann: Bei Maischberger hielt sie ihr persönliches Schlussplädoyer.

(Foto: dpa)

Dazu braucht es freilich Gäste, die es auch nach neun Monaten Prozessdauer inklusive korrigierter Zeugenaussagen, Beweisen mit mangelnder Beweiskraft, Gutachterschlacht und Medienzirkus noch wagen, eine solch fundamentale Frage zu beantworten. Dazu braucht es jemanden wie Alice Schwarzer.

Die Frauenrechtlerin hat den Fall "Kachelmann" längst in ihrem Sinne zum Politikum gemacht: In der Bild-Zeitung kommentierte die 68-Jährige das Prozessgeschehen - und Maischbergers Talkrunde zum Thema ist nicht die erste, in der sich die Herausgeberin der Emma die Ehre gibt.

Sie nehme dem Gericht den "ernsthaften und verzweifelten Versuch, die Wahrheit zu finden", ab, sagt Schwarzer. Dass sich die Wahrheit am Ende im Urteil widerspiegelt, bezweifle sie aber: Es habe "enormen Druck" auf die Richter gegeben - vor allem von Seiten des Verteidigers Johann Schwenn. Der habe eine Drohkulisse aufgebaut, immer wieder von Revision gesprochen.

Dem Anwalt, der im Rahmen seiner aggressiven Verteidigungsstrategie nicht zuletzt auch Schwarzer in den Zeugenstand rufen ließ - er warf der Journalistin einen "öffentlichen Feldzug" gegen seinen Mandanten vor - hätte Schwarzer sicherlich noch einiges zu sagen gehabt. Doch Schwenn hatte die Einladung in Maischbergers TV-Studio ausgeschlagen. Gemeinsam mit Spiegel-Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen, die sich ebenfalls schon öffentlich mit Schwarzer kabbelte, saß er fast zeitgleich bei Markus Lanz im ZDF. Vom quotenträchtigen Kachelmann-Kuchen will schließlich jeder etwas haben.

"Freispruch zweiter Klasse"

Doch auch bei Maischberger findet die streitlustige Feministin an diesem Abend einen Konterpart - in einem Richter. Es sei nicht Aufgabe des Gerichts, die Wahrheit zu erforschen, sagt Heinrich Gehrke, sondern zu prüfen, "ob die Beweise für eine Verurteilung ausreichen". Weil dies offensichtlich nicht der Fall gewesen sei, habe man Kachelmann freigesprochen. "Damit sollten wir leben", sagt Gehrke in Richtung Schwarzer - und in Richtung der Medien. Die werteten das Urteil fälschlicherweise zu einem "Freispruch zweiter Klasse" ab und behafteten den Freigesprochenen mit einem Makel.

Schwarzer kontert: Auch der Vorsitzende Richter habe bei der Urteilsverkündung die Möglichkeit eingeräumt, dass der TV-Meterologe die ihm vorgeworfene Vergewaltigung doch begangen haben könnte. "Das Gericht hat seine Befugnisse überschritten", entgegnet Gehrke. Es sei nicht üblich, nach einem Freispruch so "nachzukarten". Er findet harsche Worte für die Prozessführung der Mannheimer Kollegen: Als "Kollaps der Strafjustiz" und "größten anzunehmenden Unfall" bezeichnet er den Fall Kachelmann.

Der Richter scheint mit der Absicht in die Runde gestoßen zu sein, zur Ehrrettung seines Berufstandes Sachlichkeit in die öffentliche Diskussion zu bringen. Doch das will ihm nicht so recht gelingen. Immer wieder rollt er daher mit den Augen (wenn Schwarzer spricht), hängt gelangweilt im Sofa und sitzt am Ende mit verschränktem Armen und konsterniertem Blick da.

Es ist aber nicht allein Alice Schwarzer, die eine differenzierte Diskussion verhindert, indem sie immer wieder verbal ins Populistische abgleitet ("öffentliche Hinrichtung der Frau"/ "menschenverachtende Manipulation von Frauen"). Sandra Maischberger fliegt von einer Frage zur nächsten: Ist das Urteil gerecht? Wer war im Prozessverlauf glaubwürdiger - und wie stellt man beziehungsweise frau Glaubwürdigkeit unter Beweis? Welche Rolle haben die Medien gespielt? Braucht es Gutachter und wenn ja: wie viele? Und: Werden nach dem Freispruch weniger Frauen den Mut haben, eine Vergewaltigung anzuzeigen? Dabei wird die erfahrene Talklady weder den einzelnen Aspekten noch ihren Gästen gerecht.

Roger Schawinski, Schweizer TV-Moderator und Ex-Chef eines großen deutschen Privatsenders, ist als Kachelmann-Kenner einbestellt. Als solcher wartet er mit erstaunlichen Ansichten auf: Der Prozess sei für seinen Landsmann eine "super Publicity", meint Schawinski. "Er ist aus der Nummer rausgekommen, er ist happy." Das mag die Gastgeberin nicht so recht glauben, doch ihr Gegenüber ist sich sicher: "Manche Prominente zählen nur die Titelseiten."

Fatale Wirkung?

Diskussionswürdig wäre sicher auch Schawinskis These gewesen, Gerechtigkeit lasse sich mit Geld kaufen. Im vorliegenden Fall habe der Angeklagte die finanziellen Mittel gehabt, sich Gutachter und den "lautesten Anwalt" zu leisten. "Wäre es nicht Kachelmann gewesen, wäre das Urteil anders ausgefallen?", fragt der einstige Sat1-Geschäftsführer in die Runde. Doch die ist längst weiter.

Der Maischberger'sche Moderationsexpress rollt und hat mit Alice Schwarzer eine Passagierin an Board, gegen die sich so mancher nicht durchzusetzen vermag: So gehen die Ausführungen des ARD-Rechtsexperten Karl-Dieter Möller genauso unter wie die durchaus wichtigen Beiträge von Staatsanwältin Gabriela Piontkowski, die in Bremen das Sonderdezernat "Gewalt gegen Frauen" leitet.

Nur einmal hält die Moderatorin inne - und das, obwohl Ingrid Steeger die Stimme kaum erhebt: Die Klimbim-Darstellerin ist als junge Frau selbst Opfer sexueller Gewalt geworden - und das gleich mehrmals. In jüngster Zeit komme die Vergangenheit "automatisch wieder hoch", sagt sie. Sie selbst hat zu ihren Vergewaltigungen geschwiegen: "Ich habe zu keiner Zeit den Impuls gehabt, zur Polizei zu gehen." Sie sei anders erzogen wurden, in dem Bewusstsein, dass der Mann immer recht hat. "Es ist gut, dass man das heute anzeigen kann", sagt Steeger.

Selbst den mittlerweile tief ins Sofa gesunkenen Richter rütteln die betroffen machenden Schilderungen der Schauspielerin noch einmal auf. An der anschließenden Diskussion über die möglicherweise fatale Wirkung des Kachelmann-Prozesses und -Urteils auf andere Vergewaltigungsopfer beteiligt er sich wieder. "Fälle, die so abgehandelt werden, sind die absolute Ausnahme", betont Gehrke.

Der mitklingende Appell, sexuelle Übergriffe anzuzeigen, dürfte am Ende auch Alice Schwarzer versöhnlich gestimmt haben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: