TV-Kritik "Maischberger":Schnelldurchlauf der Dinge, die Griechenland nicht auf die Reihe bringt

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Wo Varoufakis draufsteht, gibt es Quote: der frühere Finanzminister Griechenlands bei Sandra Maischberger. (Foto: WDR/Max Kohr)

Sandra Maischberger will mit Ex-Finanzminister Varoufakis über die Frage "Wieder Ärger mit Griechenland?" diskutieren. Die Auflösung: Es war gar keine Frage - und die Sendung ein Elternsprechtag.

TV-Kritik von Deniz Aykanat

Das letzte Mal, als Yanis Varoufakis bei einem Auftritt in einer deutschen Talkshow so richtig für Wirbel sorgte, wurde er - um es mit den Worten von Jan Böhmermann zu sagen - "am Stinkefinger durchs Studio gezogen." Das war bei Jauch. Aber Jauch gibt es nicht mehr, zumindest nicht als Talkshow. Und auch Varoufakis gibt es als griechischen Finanzminister nicht mehr.

Seit "Stinkefinger-Gate" ist viel passiert. Varoufakis ist zurückgetreten, der Grexit wurde abgewendet. Aber, so lautet eine Weisheit, die Summe der Probleme bleibt konstant. Und so wirken die nächtelangen Verhandlungsrunden zwischen Troika und Griechenland im Frühjahr und Sommer fast wie eine lockere Aufwärmphase.

Dabei ist die griechische Finanzkrise mitnichten beruhigt, geschweige denn gelöst. Sie wurde nur von einem anderen Thema überschattet: Flüchtlinge. Viele. An den Küsten Griechenlands, auf griechischen Inseln, in griechischen Wäldern, an der Grenze zu Mazedonien. Um Flüchtlinge wird es dann aber die überwiegende Sendezeit bei Maischberger gar nicht gehen.

Wieder Ärger mit Griechenland? Der Titel der Sendung kommt etwas billig daher. So, als ginge es um den Lausbuben einer Schulklasse, der es einfach nicht lassen kann und dem Mathelehrer schon wieder Streiche gespielt hat. Nun ist also Elternsprechtag und auf Lausbube Griechenland wartet eine Standpauke. Ein Rundumschlag.

Doch der Lausbub ist nicht nur Prügelknabe sondern eigentlich auch Stargast. So muss sich das die Redaktion wohl gedacht haben. So kommt es dann aber nicht. Zunächst sitzt Varoufakis nicht in der Runde mit den anderen Gästen. Die da wären: EU-Abgeordneter Elmar Brok von der CDU, Linken-Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht, FDP-Chef Christian Lindner und der stellvertretende Bild-Chefredakteur Nikolaus Blome.

Wieder so ein Stinkefinger-Moment

Varoufakis bekommt eine Sonderbehandlung und wird von Sandra Maischberger zunächst am Tresen neben der Diskussionsrunde befragt. Und dann kommt wieder so ein Stinkefinger-Moment. Maischberger spricht Varoufakis auf seine frisch gegründete, linke europäische Bewegung "DiEM 25" an, mit der er die EU redemokratisieren möchte. Er stellte sie am Dienstag in Berlin vor. "Ihrer Meinung nach dem Zentrum allen Übels", sagt Maischberger in Richtung Varoufakis. Der protestiert prompt: "Das habe ich nie gesagt."

Wer sagt die Wahrheit? Maischberger? Varoufakis? Das weiß vermutlich nur Jan Böhmermann.

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Dann geht es noch kurz um Varoufakis' Beziehung zu Schäuble ("Wir respektieren uns") und dem seiner Ansicht nach "größten Kredit der Menschheitsgeschichte" ("Nicht zu stemmen"). Dann ist das Tête-à-tête am Tresen auch schon wieder vorbei und Varoufakis wird in die Runde gepflanzt, wo er schon bald untergehen wird.

Das schwammige Thema der Sendung - offenbar ein Rundumschlag zu allen Dingen, die Griechenland nicht auf die Reihe kriegt - lässt die Vermutung aufkommen, dass da die Öffentlich-Rechtlichen einfach mal wieder vom Glamour des Yanis Varoufakis profitieren wollten. Wo er doch gerade in der Stadt ist.

Der erste Einspieler erhärtet den Verdacht. Da ist er wieder gleich in der ersten Einstellung zu sehen: der Motorrad-Minister, der Polit-Rockstar, das griechische Enfant terrible. Als was der damalige Finanzminister nicht alles tituliert wurde. Varoufakis mit Motorrad vor dem griechischen Parlament, Varoufakis wie er agil den Helm abnimmt, Varoufakis wie er mit seiner Frau auf dem Rücksitz vor den Fotografen davonrauscht.

"Wenn du pleite bist, kannst du halt nicht zahlen", startet Varoufakis die Runde und ruft damit gleich Bild-Mann Blome auf den Plan. "Die Griechen wollen nicht!", Blome versucht, mit Pleite-Griechen-Parolen dazwischenzugrätschen, die sein Blatt erfunden hat.

Wir konnten Griechenland damals nicht in den Abgrund stürzen lassen, verteidigt FDP-Chef Lindner das erste Rettungspaket. "Griechenland war auf einem guten Weg. Bis Syriza kam." Er muss sich sehr zurückhalten, nicht zu sagen, was die FDP, damals noch in Regierungsverantwortung, nicht alles zur Bewältigung der Finanzkrise beitrug. Dass er es sich verkniff, muss man ihm anrechnen.

Nicht die Schuldenlast sei das Problem, sondern die Weigerung der Griechen, Reformen umzusetzen, sagt EU-Urgestein Elmar Brok. "Das sind Strukturveränderungen, wie sie auch Portugal und Irland durchlaufen."

Die oft bemühte Erfolgsgeschichte der Portugiesen und Iren bringt Linken-Fraktionsvorsitzende Wagenknecht auf die Palme: "Der Großteil der Bevölkerung hat doch überhaupt nichts von dem Aufschwung. Die meisten Menschen sind ärmer als zuvor, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 60 Prozent."

Schon mal gehört?

Man wird auch bei fortgeschrittener Sendung das Gefühl nicht los, dass diese Sendung auch exakt so schon im Sommer 2015 hätte laufen können. Bis auf die paar Minuten zur Flüchtlingskrise drehen sich die Gäste im Grexit-Kreis.

Varoufakis sollte Farbe in die Runde bringen. Ihm diese Rolle zu verpassen, ist legitim, er kann sie normalerweise ausfüllen. Dumm nur, dass seine sonst so geschliffenen politischen Ausführungen und Plaudereien aus dem Nähkästchen der Brüsseler Verhandlungsrunden in einem Wirrwarr aus Stimmen, Synchronübersetzungen und Maischbergers Versuchen, Ordnung in die Runde reinzubringen, untergehen.

Die Runde spricht über den Grexit, ein bisschen über Hotspots, oder besser deren Nichtexistenz. Darüber, dass die EU Griechenland rügt, sich die Staaten aber untereinander nicht einmal auf Kontingente zur Verteilung der Flüchtlinge einigen können. Über die widersprüchliche Forderung der EU an die Türkei, ihre Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen und sie gleichzeitig von den griechischen Küsten fernzuhalten.

All das steht unbestreitbar in engem Zusammenhang. Und doch schafft es die Sendung nicht, Orientierung zu geben, geschweige denn Lösungswege aufzuzeigen. Nur Elmar Brok liefert einen winzigen Ansatz in die richtige Richtung, als er das Europa der zwei Geschwindigkeiten und die Koalition der Willigen erwähnt. Brok weiß wovon er spricht, er sitzt in der Verhandlungsdelegation über den drohenden Austritt Großbritanniens aus der EU.

Maischberger schließt also mit dem treffenden Satz: "Wir stimmen darin überein, nicht übereinzustimmen." An diesem neuen Dauerzustand der EU kann auch Stargast Varoufakis mit seiner neuen Bewegung - noch - nicht rütteln.

Man wollte Varoufakis als Verhandlungspartner lächerlich und untragbar machen

Als Varoufakis seinen legendären Auftritt in Günther Jauchs Talkshow hatte, war er Mittelpunkt der Verhandlungen zwischen der Troika und Griechenland. Der Filmausschnitt, in dem Varoufakis den Stinkefinger zeigt, diente vielen dazu, den Finanzminister endgültig als "Lügen-Griechen" abzustempeln.

Jauchs Sendung versuchte, ihn als Verhandlungspartner lächerlich und untragbar zu machen. Wenn Tsipras und Varoufakis zu Beginn ihrer Amtszeit sagten, sie wollten den Griechen ihre Würde zurückgeben, dann waren das nicht bloß leere Worte. Die legendäre Jauch-Sendung stand symbolisch für die Überheblichkeit Brüssels, die nicht nur das griechische Volk in den vergangenen Jahren zu spüren bekam.

Diese Überheblichkeit spiegelt sich schon gleich im Titel der Sendung wider. Man hätte sie auch "Griechenland baut schon wieder Mist: Was sagt Deutschlands Lieblings-Hass-Grieche dazu?" nennen können.

Die Deutschen hegen eine seltsame Faszination für Varoufakis, die sich zwischen Geschrei über "Pleite-Griechen" und Anerkennung für den coolen aufmüpfigen Linken in Lederjacke bewegt. Varoufakis mit seiner nonchalanten Art steht exemplarisch für einen neuen Politikstil.

Maischberger wollte Varoufakis sicherlich nicht wieder wie die Sau durchs Dorf treiben. Dafür ist Varoufakis auch nicht mehr wichtig genug. Aber warum dann diese Sendung mit ihm?

Wo Varoufakis draufsteht, gibt es Quote, die Menschen wollen ihn hören, sie wollen ihn sehen. Und es mangelt in diesen Zeiten sicher auch nicht an dringlichen Anlässen, um in öffentlicher Runde über Griechenland zu sprechen.

Doch gestern Abend hätte man besser konkret darüber diskutieren sollen, wie man vermeiden kann, dass die EU in den kommenden Jahren den Bach runtergeht. Und sei es anhand von Varoufakis' neuer Bewegung, die nach seinen Worten der "geteilte Albtraum" aller Brüsseler Bürokraten werden soll. Das wäre allemal besser gewesen, als dieses deprimierende, schon so oft gehörte Bashing.

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