TV-Kritik: "Mädchen-Gang":Bis eine weint

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Was ist schöner am wohlverdienten Feierabend als ein paar gescheiterte Existenzen? RTL 2 hat ein halbes Dutzend zusammengesucht und als Mädchen-Gang in die Provinz geschickt.

Katharina Riehl

Meistens ist Carina echt scheiße drauf. Carina ist 19, kommt aus Stuttgart, verbringt ihre Tage am dortigen Hauptbahnhof - und wenn ihr die Leute nicht richtig zuhören, dann schlägt sie ihnen das Gesicht zu Brei. Ein versuchter Totschlag steht in ihrem Strafregister, ihre kleine Schwester hat sie schon mal krankenhausreif geprügelt. Und als ob das an sich nicht schon schlimm genug wäre, kommt jetzt auch noch das Fernsehen.

Das Prinzip: Man bringe ein paar junge Menschen zusammen, setze sie schwierigen Situationen aus und warte einfach mal ab, welche als erste weint. (Foto: Foto: RTL 2)

Wie es scheint, ist der deutsche Fernsehzuschauer einfach gerne dabei, wenn Halbwüchsige am Leben scheitern - weshalb RTL 2 die Chance gibt, Carina und ihre ebenso kampfbereiten Freundinnen von nun regelmäßig im eigenen Wohnzimmer zu empfangen. Und was ist schöner am wohlverdienten Feierabend, als ein paar verzweifelte Mütter, die in die Kamera schluchzen und ein halbes Dutzend unzähmbare junge Frauen, die sich gegenseitig stolz ihr Vorstrafenregister vortragen. Räuberische Erpressung? Ja, Standard halt.

Klar, die Mädchen-Gang ist schön gruselig, die Geschichten der jungen Frauen zum Fürchten, ihre Ausdrucksweisen erschreckend - Senderschwester RTL hat das Quotenpotenzial gescheiterter Existenzen unter 20 für das Hauptabendprogramm ja bereits in mehreren Staffeln der Sendung Teenager außer Kontrolle vorgeführt.

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Doch während diese Jugendlichen für ihre seelische Läuterung in die amerikanische Wüste geschickt werden, setzt RTL 2 - ob aus Budgetgründen oder wegen des pädagogischen Ansatzes ist nicht überliefert - seine Schäfchen in der deutschen Provinz aus. Die sechs Straftäterinnen beziehen für ein paar Wochen ein gemeinsames Haus, alles selbstverständlich nur zur Rettung und zum Wohle der jungen Frauen.

Eindruck schinden mit gebrochenem Kiefer

Ihnen zur Seite gestellt sind eine Psychologin mit einer Menge Sorgenfalten im Gesicht und ganz viel Einfühlungsvermögen im Gepäck und ein Herr mit vielen Tattoos. Der Ralf sei "Anti-Gewalt-Coach", erklärt die freundliche Stimme aus dem Off, er selbst gibt seinen neuen Klientinnen gerne noch ein paar explizitere Erläuterungen: "Hey Ladies, hier ist die Borderline, ich zeig' euch, wo die Eier hängen" - man soll die jungen Leute schließlich immer da abholen, wo sie gerade sind.

Und trotz aller deutlichen Unterschiede erinnert diese Mädchen-WG letztlich doch an ein gewisses Haus, das seit ein paar Jahren wiederholt im Mittelpunkt einer sehr erfolgreichen Pro-Sieben-Sendung steht: Zwar versuchen die Teilnehmerinnen von Germany's next Topmodel sich eher darin zu überbieten, wer am längsten den Bauch einziehen kann, ohne dabei über die eigenen Stöckelschuhe zu fallen, während Kiki, die schlagkräftige Russin, mit einem dreifach gebrochenen Kiefer Eindruck schinden kann.

Ansonsten ist alles wie gehabt: Man bringe ein paar junge Menschen zusammen, setze sie schwierigen Situationen aus und warte einfach mal ab, welche als erste weint.

Als das erledigt ist, ist die erste von zehn ausgestrahlten Therapiesitzungen eigentlich schon vorbei. Und Carina ist immer noch ziemlich scheiße drauf.

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