Süddeutsche Zeitung

TV-Kritik:Leistungskurs Sternenkunde

Nicht nur die Klingonen haben sich verändert, seit zum letzten Mal ein "Star Trek"-Raumschiff durch unendliche Weiten flog. Jetzt zeigt Netflix die neue Serie "Discovery".

Von Kathleen Hildebrand

Es beginnt, wie es beginnen muss. Mit sphärischen Pling-Tönen und erhabenen Fanfaren. Während technische Zeichnungen von Phasern, Kommunikatoren und Raumanzügen auf pergamentgelbem Hintergrund erscheinen, schwillt die Titelmusik an. Dann, am Ende des Intros, ist sie da: die Tonfolge, auf die Star Trek-Fans mehr als zehn Jahre gewartet haben, eigentlich aber noch viel länger. Denn im Vorspann der bislang letzten Serie Enterprise kam sie zugunsten eines kitschigen Popsongs überhaupt nicht vor. Aber jetzt, endlich: Taatataaa-tatatatatata!

Mit Star Trek: Discovery ist am Sonntag bei dem US-Sender CBS die siebte Fernsehserie aus dem Science-Fiction-Franchise angelaufen, das Gene Roddenberry vor 51 Jahren begründet hat, in Deutschland zeigt Netflix jede Woche eine neue Folge. 1966 brachen Kirk und Spock in unendliche Weiten auf. Es folgten die Kapitäne Picard, Sisko, Janeway und Archer. Jede Neuauflage dieser utopischen Großerzählung über die Sternenerkunderei hatte das gleiche Problem: Sie musste Star Trek bleiben und trotzdem ein neues Star Trek werden.

Die Pilotfolge von Discovery manövriert sich so souverän durch die Fallstricke eines solchen Neuanfangs wie ihre Hauptfigur Michael Burnham zu Beginn kollisionsfrei durch ein Asteroidenfeld zischt: Es funktioniert, aber es bleibt zu wenig Zeit, um die Aussicht zu genießen.

Zuerst einmal: Michael Burnham ist eine Frau, gespielt von Sonequa Martin-Green aus der Zombie-Serie The Walking Dead. Warum sie einen, zumindest im 21. Jahrhundert, traditionell männlichen Vornamen trägt, bleibt in der ersten Folge charmanterweise unkommentiert. Überhaupt ist Burnham eine Ausnahme. Als erster Mensch hat sie als Kind die vulkanische Elite-Ausbildung absolviert. Sie ist die Adoptivtochter von Spocks Vater. Es wird angedeutet, dass ihre Eltern bei einem Angriff der Klingonen ums Leben kamen. Burnham ist also nicht nur ein Kind zweier Kulturen, sondern auch schwer traumatisiert.

Wer bei "Star Trek" immer die philosophischen Folgen mochte, könnte zunächst enttäuscht sein

Die Handlung von Discovery beginnt im Jahr 2256, neun Jahre bevor Captain Kirk zu seiner Mission aufbricht - und lange bevor die Klingonen ein Friedensabkommen mit der Föderation geschlossen haben. Der Ur-Antagonist des Star Trek-Universums ist also zurück und die Pilotfolge zelebriert das ausgiebig in komplett auf Klingonisch gefilmten, untertitelten Szenen. Anders als in früheren Serien sind die Klingonen nun nicht mehr nur an der Stirn, sondern offenbar am ganzen Körper mit martialischen Knochenwülsten bedeckt. Wenn einer der Ihren stirbt, kleben sie seinen Sarg außen an die Raumschiffhülle.

Und sie stehen für neue, realweltliche Feinde. Ihr Anführer T'Kuvma spricht wie ein radikaler Identitärer. Der Erstkontakt-Spruch der Sternenflottler, "Wir kommen in Frieden", ist T'Kuvma verhasst. Er will die Reinheit seines kriegerischen Volks bewahren vor der Misch-Zivilisation der Vereinigten Planetenföderation. Wie ginge das besser als mit einem gewaltigen Krieg?

Mit welch visuellen Bombast die erste Schlacht dieses Kriegs inszeniert ist, zeigt, was sich in der Serienlandschaft verändert hat, seit das letzte Star Trek-Schiff losgeflogen ist. Ein neues Format kann es sich nicht mehr leisten, in der Pilotfolge schön gemächlich Figuren vorzustellen, die sich auf eine Forschungsmission freuen. Selbst eine neue Star Trek-Serie ist inmitten einer unüberschaubaren Menge an Serien-Neustarts nicht mehr zwangsläufig ein Großevent. Deshalb muss es sofort knallen und zwar richtig. Es ist kein Wunder, dass in den aufwendig animierten Kampfszenen vieles an die Star Trek-Kinofilme von J. J. Abrams erinnert, die seit 2009 zu einer Wiederbelebung des Franchises geführt haben: angeschrägte Kameraperspektiven, Linsenreflexionen und satte, brillante Farben.

Wer an Star Trek immer lieber die philosophischen Episoden mochte, in denen die Crew einer neuen Spezies begegnet, die mit ihrer Biologie oder Kultur irgendeinen Aspekt des Menschseins infrage stellt, der könnte von dieser ersten Folge enttäuscht sein. Wenn auch nicht sehr. Es gibt ein paar hübsche Szenen, in denen diese Stärke von Star Trek anklingt: Als Burnham bezweifelt, dass man den Klingonen anders begegnen könne als mit einem Angriff - aufgrund ihrer "Natur" -, wundert sich ein Admiral, dass gerade sie, ein Mensch mit quasi-vulkanischem Gehirn, so spreche.

Die Frage, was an Gesellschaft und Individuum Natur ist und was Kultur, war neben dem ethisch korrekten Umgang mit Verschiedenheit schon immer eins der großen Star Trek-Themen. In der Pilotfolge von Discovery geht diese Frage zwischen gewaltigen Explosionen ein wenig unter. Aber das Versprechen, dass sie intensiv gestellt werden wird, das ist da.

Star Trek: Discovery, bei Netflix, jeden Montag eine neue Folge.

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SZ vom 27.09.2017
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