TV-Kritik:Knechte aus Brüssel

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Fieser Kapitalismus und menschenmordende Produkte: Die ARD erklärt TTIP in einem sehr meinungsstarken Spielfilm mit Katja Riemann und Nina Kunzendorf.

Von Alexander Hagelüken

Vom Tatort ist der Zuschauer gewohnt, dass sich die Figur des Fabrikanten zuverlässig als Fiesling erweist. Er versaut den Fluss, linkt seine Arbeiter oder terrorisiert zumindest die rehäugige Gattin. Andererseits ist das halt ein Tatort. Der Zuschauer schaltet nicht ein, um eine faire Darstellung des Kapitalismus zu sehen. Wenn sich die ARD für einen Spielfilm dagegen explizit das Handelsabkommen TTIP vornimmt, liegen die Dinge anders.

Es zeigt ja Courage, den Samstagabend für das komplexe Thema herauszurücken, das so viele Deutsche bewegt. Der Sender beauftragte damit Sherry Hormann, von der ein Film über Natascha Kampusch stammt und Komödien wie Frauen sind was Wunderbares. Hormann siedelt die Geschichte zwischen einem investigativen Magazin und einem fiesen Agrarkonzern an, zwischen Reporterin (Nina Kunzendorf) und Fabrikantin (Katja Riemann). Damit jeder merkt, wie ernst das Ganze ist, schickt sie zu Drama-Musik einen Whistleblower durch Brüssel, der Riemanns Sauereien enttarnt. Der Zuschauer ist bald irritiert. Vom holprigen Plot, in dem die Reporterin den Whistleblower mitten im bahnbrechenden Geständnis im Hotelzimmer sitzen lässt, nur weil ihre Chefredakteurin anruft. Und von der Konsequenz, mit der einer brillanten Schauspielerin wie Kunzendorf steife Dialoge aufgezwungen werden. Als ein weniger brillanter Mitspieler von seinen Kindern erzählt, schaut er in die Kamera, als verschlucke er einen Frosch.

Nach einer Weile gewinnt Kunzendorf mit ihrer Lässigkeit Kontrolle über die Geschichte und treibt sie voran. In manchen Momenten, etwa den Ausbrüchen der dauerverkaterten Chefredakteurin (Anke Engelke), wirkt das ganze wie ein guter Film. Aber dann handeln die Akteure wieder zu unlogisch. Dann ist ein Essen "in Brooklyn der neueste Schrei" und ein Sohn fragt nach dem Tod seiner Mutter: "Wie geht Beerdigung?"

Was das Niveau der Auseinandersetzung mit dem Freihandelsabkommen TTIP angeht, ist der Zuschauer früh gewarnt. Ein Akteur darf das Abkommen unwidersprochen so zusammenfassen, Europa handele sich Hormonfleisch und Genfood ein, um etwas Läppisches wie einheitliche Autoblinker zu bekommen. Die Pointe raubt einem trotzdem den Atem: TTIP wird extra so konstruiert, dass die fiese Kapitalistin menschenmordende Produkte verkaufen kann. Und die Verhandler in Brüssel sind ihre Knechte, was sonst.

Das Drehbuch zu dieser Verschwörungstheorie basiert laut Sender auf "detailreichen Recherchen". Dabei listet der Film zwei Anti-TTIP-Aktivistinnen und einen TTIP-Gegner der Grünen als "Fachberater" auf. Beim Tatort behaupten sie wenigstens nicht, sie hätten Fachberater.

Tödliche Geheimnisse , ARD, Samstag, 20.15 Uhr.

© SZ vom 04.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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