TV-Kritik: "Allgemeinwissensquiz":Das ultimative Fremdschämen

Quiz- und Castingshows sind auf dem absteigenden Ast. Johannes B. Kerner versucht bei Sat 1 nun eine Kreuzung aus beidem. Und unsere Autorin war eine der Kandidatinnen. Sie weiß nun: Die wahren Kämpfe werden hinter den Kulissen ausgetragen. Eine kleine Nachtkritik aus Betroffenen-Perspektive.

Michaela Förster

"Mutti, ich bin im Fernsehen" - in diesem Moment wünsche ich mir, ich hätte diesen Satz nie ausgesprochen. Johannes B. Kerner hat eine neue Sendung auf Sat 1 und ich bin mitten drin. Die neue Show des Multifunktions-Moderators trägt den Titel Das große Allgemeinwissensquiz und fragt: "Wer ist Deutschlands klügster Kopf?" So viel vorab: Ich bin es nicht.

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Quizonkel Johannes B. Kerner befragt in seiner neuen Sat 1 - Sendung Kandidaten zu Pamela Anderson und königlichen Zwillingen.

(Foto: dpa)

Aber der 24-jährige Geographiestudent Henry ist nahe dran: Der Basketball-Fan aus Berlin hatte sich in der ersten Folge am vergangenen Mittwoch bis auf 50.000 Euro hochgezockt und drei Kontrahenten auf die Plätze verwiesen. Diese Woche musste er nun entscheiden, ob er den Gewinn mit nach Hause nimmt oder beim Spiel um 75.000 Euro riskiert, auf 10.000 Euro zurückzufallen. In jeder Runde tritt der Champion gegen einen neuen, augenscheinlich direkt von der Straße weg gecasteten Herausforderer an. Setzt der Titelverteidiger sich gegen sieben Gegner durch, winken ihm auf der letzten Gewinnstufe 500.000 Euro. Auf dem Weg dorthin stehen den Kandidaten prominente Joker zur Seite. In Folge zwei durften an diesem Mittwoch nun die Kandidaten auf das geballte Wissen von Komiker und Sat-1-Kollege Oliver Pocher und Literaturkritiker Hellmuth Karasek hoffen.

Durchmarsch bis zum Höchstgewinn

Das Konzept klingt nicht wirklich neu, soll Kerner aber trotzdem aus dem Quotentief retten. Die Idee zu der Show wurde von seiner Produktionsfirma JBK TV Produktion entwickelt und basiert auf einer Mischung aus Castingshow und Wissenssendung. In den schnell geschnittenen Einspielern jagt der quirlige Reporter Ulf - hier tragen alle Vornamen - Passanten durch die Fußgängerzonen der Republik. Mit kniffligen Fragen bringt er ahnungslose Spontan-Kandidaten aus der Fassung und liefert Stoff für Lacher. Weiß doch schließlich jeder, wo Hessen liegt!

Die Einspieler sollen das Eis zwischen Kandidat und Zuschauer brechen: Gönne ich dem schlauen Ex-Stuckateur eine Aufbesserung der Rente oder drücke ich lieber der werdenden Mutter die Daumen? Während die Zuschauer noch schwanken, haben die Kandidaten backstage bereits ihre Favoriten gewählt - und ihre Erzfeinde. Denn vor der Aufzeichnung bleibt ausreichend Zeit, sich gegenseitig zu sondieren. Jeder Einzelne rechnet sich die echte Chance auf den Durchmarsch bis zum Höchstgewinn aus.

Schließlich hat man ja Quizshow-Erfahrung satt und sowieso immer alles besser gewusst. Doch nur die wenigsten Quizshow-Teilnehmer nehmen ihre Coolness von der heimischen Couch mit in die Show. Im grellen Scheinwerferlicht des Fernsehstudios, beobachtet von 300 Augenpaaren und im Fokus mehrerer Kameras, überfällt einen plötzlich die Angst, sich ganz furchtbar zu blamieren.

Prinz Pocher beim Mitleids-Pläuschchen

Als guter Quizonkel führt Kerner seine Kandidaten durch den Spießrutenlauf. So geschmeidig wie Johannes B. Kerner die Fernsehanstalten wechselt, fügt er sich auch in neue TV-Formate ein. Hinter der Bühne ist er der galante Gastgeber. In kurzer Hose und Poloshirt, sonnengebräunt, begrüßt er alle mit Handschlag - und versichert, er sei ja selbst so aufgeregt. Auch Schenkelklopfer-Prinz Pocher, der in der Sendung zunächst distanziert und wenig amüsiert wirkt, taut am zweiten Aufzeichnungstag auf, und lässt sich zu einem Mitleids-Pläuschchen herab. "Ich bin froh, dass Sie selbst noch zwei Antworten versaut haben und wir als Joker nicht schuld daran sind." Willkommen in der Welt des Fernsehens!

Natürlich springen die Kandidaten nicht, wie in der Sendung suggeriert, von der Straße direkt hinter das Ratepult. Zwischen dem Erstkontakt mit dem Reporter und der Aufzeichnung liegen eine weitere Fragerunde am Telefon und mehrere Tage des Wartens. Der Sender lädt die Kandidaten per Flug nach Köln - und aus Spaß wird Ernst. Die Anspannung steigt, während man auf das Produktionsgelände fährt, wo immer noch Big Brother gedreht wird und wo wenige Stunden zuvor ein gewisser Pietro Lombardi von Dieter Bohlen zu Deutschlands neuem Superstar gekrönt wurde. Ob dies das richtige Umfeld ist, um mit dem eigenen Köpfchen das große Geld zu machen?

Bin ich abgezockter als der bärtige Professor neben mir?

In kleinen Gruppen warten die Kandidaten Stunden, in meinem Fall zwei Tage, auf den Beginn der Aufzeichnung. Zwischen Maske, Garderobe, Catering und noch mehr Catering bleibt sehr viel Zeit, Informationen über den Spielablauf zu sammeln und sich selbst als den starken Spieler zu verkaufen, der man vielleicht gar nicht ist. Aber das weiß man ja noch nicht. Wie clever ist die schweigsame Geschichtsstudentin wirklich? Bin ich abgezockter als der bärtige Professor neben mir? Wer in dieser Situation noch kein Nervenflattern hat, der bekommt es spätestens, wenn er das für die Show neu designte XXL-Studio betritt. Und ab hier dauert es immer noch eine halbe Ewigkeit, bis es endlich losgeht.

Der große Sieger der ersten und zweiten Show jedenfalls hat alles richtig gemacht: Er stieg aus, bevor der Druck zu groß wurde. Leider spielte er zuvor noch gegen mich.

Wie in einem schlechten Horrorfilm

Denn nach der endlosen Wartezeit hinter den Kulissen tritt man als Kandidatin in solch einer Show in erster Linie nicht gegen seinen Kontrahenten an, sondern gegen seine eigene Courage. Da die Fragen nicht zu schwer sein dürfen, um dem Zuschauer das "Hätte ich auch gewusst"-Gefühl zu vermitteln, kommt es hier fast nur noch auf Nervenstärke und Intuition an. Leider ist auch mein gesunder Menschenverstand in der Kandidatenlounge sitzen geblieben. Sich selbst in solch einer hilflosen Situation später im Fernsehen zu beobachten - das, liebe Kinder!, das ist die ultimative Form des Fremdschämens.

Es ist egal, wie Pamela Anderson bei Baywatch heißt

Wie in einem schlechten Horrorfilm: Die ganz schlimmen Szenen hätte man am liebsten nie gesehen - und ansonsten möchte man eingreifen und das Opfer davon abhalten, immer genau das Falsche zu tun. Nachdem erwiesen war, dass ich nicht Deutschlands klügster Kopf bin, klammerte ich mich vor der Ausstrahlung noch an die Illusion, wenigstens eine sehenswerte Show abgeliefert zu haben.

Auch diese Seifenblase sollte platzen: Noch während der Sendung riefen mich Menschen an, um mir von weiteren Aktionen vor der Kamera abzuraten - ich käme im Fernsehen "nicht ganz so gut" rüber. Dafür wurde mein Facebook-Profil von virtuellen Daumendrückern bevölkert und die Zahl meiner Kontaktanfragen auf Xing erreichte in den Minuten meines Auftritts einen absoluten Höchststand - trotz lückenhaften Quizshow-Wissens. Schließlich hatte ich vor der Kamera verraten, dass ich gerade offen für neue Jobs bin.

Und letztlich ist es natürlich egal, wie Pamela Anderson in Baywatch heißt, welches Königspaar kürzlich Zwillinge gebar oder was eine "Kalte Muschi" ist. (Kerner erläuterte, selbst über die Frage stolpernd, das sei eine Mischung aus Rotwein und Cola.) Das wahre Duell spielte sich am Mittwochabend nicht im Studio zwischen den Quiz-Kandidaten ab.

Pilawa gegen Kerner

Die eigentliche Millionenfrage lautet doch: Braucht Deutschland wirklich eine weitere Quizshow? Im Quotenkampf tritt Kerner direkt gegen Jörg Pilawas Rettet die Million im ZDF an. Die erste Runde am vergangenen Mittwoch ging deutlich an Pilawa - mit durchschnittlich 3,92 Millionen Zuschauern und 14,4 Prozent Marktanteil. Kerner konnte gerade einmal 2,45 Millionen Zuschauer für sein Großes Allgemeinwissenquiz begeistern und lag mit einem Marktanteil von 11,1 Prozent nur knapp über dem Senderschnitt von Sat1. Diese Woche kämpfte Pilawa nun mit noch härteren Bandagen: Er schickte ein Promi-Special gegen Kerners Quiz - ein echter Knockout in jener Welt, selbst wenn Kerner in der werberelevanten Zielgruppe von 14-49-Jährigen auch dieses Mal vorne lag.

Der Ausgang des Kampfes ist noch ungewiss, denn Kerners neues Format ist zunächst auf nur zwei Sendungen ausgerichtet und befindet sich damit noch in der Pilotphase. Er selbst zeigte sich von seinem Spielkonzept natürlich überzeugt: "Ich habe das Gefühl, die neue Show hat das Potential, länger zu laufen."

Außer lustigen Clips, ein bisschen Castingshow-Charakter und Aktionsspielen zur Auflockerung hat die Sendung dem Zuschauer allerdings wenig Neues zu bieten. Quizshows gab es in Deutschland schon mehr als 50 - und Castingformate wie Deutschland sucht den Superstar und Germany's Next Topmodel kämpfen immer wieder gegen den Absturz in den Quotenkeller. Falls Kerner am Ende trotzdem siegt und falls Sie irgendwann neben ihm im Studio stehen sollten, trösten Sie sich! Manchmal ist dabei sein wirklich alles.

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