TV-Kritik: Kerner Spezial - Die Grenze:Wie schön war die DDR!

Nostalgie bei Kerner. Der Talker erhofft sich rund um den Sat-1-Film Die Grenze Quoten wie im ZDF, die Gäste gedenken der DDR.

Patrizia Barbera

Die Gefahr lauert überall. Für Johannes B. Kerner heißt sie: niedrige Einschaltquoten. Für die deutsche Demokratie: politische Radikalisierung. Und so kämpft der TV-Moderator in seinem Spezial zum Sat-1-Zweiteiler Die Grenze mit Feuereifer gegen beide Gefahren an.

Die schlechten Quoten des ehrgeizigen Entertainers seit seinem Wechsel vom ZDF zu Sat 1 werden seit Wochen in der Presse diskutiert. Gerettet werden konnte am Dienstagabend vermutlich weder die Demokratie noch die Wirtschaftlichkeit von Sat 1. Dafür allerdings: der Ruf der DDR.

Der Fernseh-Zweiteiler Die Grenze zeichnet ein düsteres Zukunftsszenario: Deutschlands Wirtschaft liegt nach einem Terroranschlag am Boden und radikale Parteien gehen auf Wählerfang. Die alten Volksparteien haben nichts mehr zu melden - die bevorstehende Wahl in Mecklenburg-Vorpommern machen je eine radikale Partei von links und von rechts unter sich aus. Beide wollen ein unabhängiges Mecklenburg-Vorpommern - mal sozialistisch, mal rechtsradikal.

Die Gefahr in Die Grenze kommt von rechts. Der polarisierende rechte Parteichef Maximilian Schnell (gespielt von Thomas Kretschmann) muss gestoppt werden. Die Bundesregierung beschließt, dass die radikale Linkspartei das kleinere Übel ist und unterstützt sie.

Die Linken als das kleinere Übel? Nicht bei Johannes B. Kerner. Seine ganze Sendung auf Sat 1 dreht sich um die Frage, was in der DDR besser oder schlechter war.

Auch die Frage nach einer Mauer in den Köpfen zwischen Ossis und Wessis wärmt der Moderator betont halbherzig auf - und erhält verwirrende Antworten aus allen Richtungen. Als "Experten" hat Kerner den Staatsrechtler Ulrich Battis, die Schauspieler Marie Bäumer und Jürgen Heinrich aus dem zuvor gelaufenen Sat-1-Eventfilm Die Grenze sowie, für die persönliche Komponente der deutsch-deutschen Geschichte, den Boxstar Axel Schulz und einen ehemaligen Neonazi ins Studio gebeten.

"Ewig-Gestrige"- Gefahr für die Demokratie?

Die eigentliche Fragestellung des Fernsehfilms Die Grenze ist brisant und realitätsnah: Ist es vorstellbar, dass eine anhaltende Wirtschaftskrise und wachsende Arbeitslosigkeit zur politischen Radikalisierung in Deutschland führen?

Moderator Kerner konzentriert sich allerdings lieber auf den möglichen Wiederaufbau der DDR und spielte ein verwackeltes You-Tube-Video von der "Ewig-Gestrigen" Margot Honecker ein, so als ob die Greisin aus Chile die Proletarierrevolution an der Spree plane. "Eine Gefahr für die Demokratie?", fragte Kerner mit ernster Miene am Thema vorbei. Und erhielt schwammige Antworten.

Anekdoten statt Tiefgang

Der Ex-Neonazi Manuel Bauer erzählt von altbekannten Kober-Techniken der rechtsradikalen Parteien (CDs auf Schulhöfen verteilen), Jurist Battis erklärt die Aufhebung der Gehaltsgrenze zwischen Jugendlichen in Ost und West, Faustkämpfer Schulz berichtet triumphierend, wie er seine Frau "in den Osten rübergeholt" hat und Schauspielerin Marie Bäumer schließlich schwärmt von guten alten DDR-Gepflogenheiten ("Da herrschte noch Zwischenmenschlichkeit und Gemeinschaftssinn").

Kurzum: Dieser Sendung fehlt ein Konzept. Sie gibt es nur, weil Die Grenze vorher lief. Gereicht werden Facebook- und You-Tube-Anekdoten statt tiefgehender Diskussion.

Da kann selbst Meister Kerner nicht helfen, der es bei seinem vormaligen Arbeitgeber ZDF geschafft hat, kleine Skandälchen zu inszenieren oder große Politiker menscheln zu lassen. Hier aber wirkt er gehetzt und angestrengt beim Versuch, eine lockere Sat-1-Unterhaltungssendung mit einer politisch fundierten Debatte zu mischen. Auch wenn alles so ist wie früher beim ZDF, Kerner also hinter einem Arbeitsmöbel thront und die Gäste aufgereiht wie Untertanen dasitzen und aufgerufen werden.

Als Marie Bäumer zur deutschen Vergangenheitsbewältigung gerührt feststellt: "Ich habe mich damit abgefunden, dass mich dieser Schmerz und diese Trauer der deutschen Vergangenheit ein Leben lang begleiten wird", da sind sich alle Gäste einig, dass die historischen Grausamkeiten nicht vergessen werden dürfen. Gastgeber Kerner erzählt daraufhin schnell eine Anekdote über eine italienische Facebook-Seite, die vor wenigen Wochen dazu aufforderte, an Menschen mit Down-Syndrom Experimente wie bei Tierversuchen durchzuführen.

Das Beispiel will nicht ganz in die Diskussion passen. Facebook und You-Tube passen jedoch offenbar zum neuen Kerner-Zielpublikum. Es soll eben alles etwas jünger beim Privatsender Sat 1 sein als bei der Bildungsanstalt ZDF!

Am Ende der Show kann der Kerner-Kreis folgendes Resümee ziehen: Die DDR hatte auch gute Seiten, die oft vergessen werden (Zwischenmenschlichkeit!). Axel Schulz fühlt sich nicht nur als boxender Ossi, sondern hat Forderungen an die Politik (Aufpassen!); Margot Honecker trauert der DDR erwartungsgemäß noch immer nach, ist aber vermutlich ungefährlich für die deutsche Demokratie (Chile!) und Johannes B. Kerner wird wohl auch in Zukunft bei Events den großen Zampano spielen dürfen.

Wer hier an Deutschland dachte in der Nacht, wurde nicht um seinen Schlaf gebracht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: