Der Moderator schien nicht wirklich daran interessiert zu sein, was Marcy Borders zu berichten hatte. Unter normalen Umständen wäre das unangenehm, aber vielleicht entschuldbar: Die 9/11-Berichterstattung hat in den vergangenen Tagen und Wochen so viel Raum in den Medien eingenommen, dass dem ein oder anderen Berichterstatter - bei aller Dringlichkeit - eine gewisse Überdrüssigkeit nicht unbedingt übelzunehmen wäre.
Doch Günther Jauch ist nicht irgendein Journalist und der Sendeplatz nach dem "Tatort" in der ARD am zehnten Jahrestag von 9/11 für die Medienwelt kein beliebiger Schauplatz. Es geht um nichts Geringeres als den nicht unbedingt nötigen aber doch dringend gewollten Wechsel von Moderatorin Anne Will zu Talkmaster Günther Jauch, den sich das Öffentlich-Rechtliche einiges hat kosten lassen. Und der in Zukunft mit Politikern und Gästen über Deutschlands Probleme diskutieren soll, damit die Menschen in diesem Land die Politik besser verstehen, und die Politiker vielleicht auch ein bisschen besser die Probleme der Menschen realisieren, die sie vertreten. Es geht also um viel Geld, den großen Auftritt, die großen Themen, ernste Fragen und immer auch ein bisschen um die Tatsache, dass das Publikum diese großen Auftritte mitfinanziert.
Was also mag Jauch bewogen haben, ausgerechnet an seinem ersten Abend in der ARD so lustlos zu wirken? War es die Lustlosigkeit daran, den großen Erwartungen gerecht zu werden? Schließlich hatte er schon vor Wochen betont, man dürfe nicht zu viel von ihm erwarten, er werde das Rad nicht neu erfinden, werde anfangs Fehler machen und der "übernatürlichen Erwartungshaltung" nicht genügen können.
War es der Wechsel von der stets charmant lächelnden Anne Will, die den Moderationsstil von Günther Jauch im direkten Vergleich hölzern und geradezu unbeholfen wirken lässt? Oder wollte der Moderator einfach, dem Thema angemessen, im Vergleich zu seinem anderen Job als Quizmaster bloß nicht zu leichtgewichtig wirken und hat deshalb jede Heiterkeit, aber auch jegliche Verbindlichkeit abgelegt, weil man den zehnten Jahrestag von 9/11 nun mal nicht locker flockig abmoderiert haben möchte?
Warum auch immer: Als Jauch seinen extra aus den USA eingeflogenen Gast befragte, die aus den Medien bekannte "Dust Lady", die für ihn zum ersten Mal seit dem 11. September 2001 in ein Flugzeug gestiegen war, da wirkte er nicht sonderlich motiviert für seine neue Aufgabe. Weder waren die Fragen überzeugend, noch wurde nachgehakt, stattdessen ihr Auftritt schnell durchgehechelt und während der Antworten angestrengt auf die Moderationskarten geschielt.
Dafür, dass Marcy Borders am 11. September 2001 von einem Kopierer im Nord-Tower des World Trade Centers anderthalb Stunden lang die Treppen hinunter gerannt ist, um mit verängstigten Augen in Bürokostüm, über und über mit Staub bedeckt, zufällig abgelichtet von Fotograf Stan Honda, zum Sinnbild der Terror-Angst zu werden, und nun wieder in der Lage ist, sich in ein Flugzeug zu setzen, um für eine Talkshow nach Deutschland zu fliegen: Dafür hätte man von Seiten des Moderators schon ein wenig mehr Gesprächsbereitschaft oder auch Einfühlungsvermögen erwartet.
Harald Schmidt sagt man nicht ab
Auch die übrigen Gäste, unter denen Elke Heidenreich und Jürgen Todenhöfer sich erwartungsgemäß gegen den Afghanistan-Krieg, Mathias Döpfner und Peter Struck sich hingegen genauso erwartungsgemäß für den Einsatz auch deutscher Truppen am Hindukusch aussprachen und Jürgen Klinsmann wegen seines Wohnsitzes als Kenner der amerikanischen Seele verkauft wurde, hätten vielleicht noch Interessantes zum Thema beisteuern können - wenn denn ein richtiges Gespräch zustande gekommen wäre. Doch sie wurden von Jauch teilweise so ungeschickt an- und abmoderiert - vor allem die Überleitungen von einem zum anderen Gast gerieten sinnfrei -, dass die Runde wegen ihrer bisweilen unfreiwilligen Komik fast an einen Loriot-Sketch erinnerte. Als Elke Heidenreich lebhaft davon erzählte, wie sie am 11. September eigentlich zu einer Harald-Schmidt-Show geladen war ("Und einem Harald Schmidt sagt man nicht ab") sorgte sie bei Jauch für geradezu weinerliche Züge.
Es wurde auch nicht besser, als der Moderator der Mutter eines in Afghanistan erschossenen jungen Soldaten, Tanja Menz, die hochemotionale Frage stellte, wie es sein könne, dass sie über ihr Schicksal und das ihres Sohnes "nicht einfach von Schmerz zerrissen" werde - die Moderation blieb bis zum Ende eine schräge Nummer.
Es wirkte fast, als sei das Thema zu gewichtig, als dass der Moderator sich hätte in den Vordergrund spielen mögen. Vielleicht deshalb die traurige Miene. Es ist zwar nicht gerade die Aufgabe eines Moderators, sich selbst zu inszenieren, nicht mal in der ersten Ausgabe einer neuen Sendung. Sich an den Gästen zu orientieren, Interesse zu zeigen, einen Gesprächsfluss in Gang zu bringen, der die unterschiedlichen Standpunkte herauskitzelt, das hätte man aber schon gerne gehabt.
So war es eher Elke Heidenreich zu verdanken, dass überhaupt ein paar klare Gedanken geäußert wurden, die über das tausendfach bereits Gesagte hinauswiesen ("Es passierte ja nicht umsonst, dass diese Türme in die Luft gesprengt wurden - so grausam das auch ist."). Afghanistan-Experte Jürgen Todenhöfer hatte einmal mehr zu sagen, dass man Terrorismus nicht mit Krieg bekämpfen könne, sondern mit Spezialkommandos zur Strecke bringen müsse, weil man sich ansonsten nur noch mehr Terrorismus heranzüchte.
Mathias Döpfner bekannte, dass er einst Pazifist gewesen sei, der 11. September diese Haltung aber verändert habe, und sorgte mit populistischen Äußerungen für viel Publikumsapplaus - weil man im Saal froh war, dass in der Runde überhaupt jemand publikumsgerecht agierte. Da wurde auch schon mal für einen Satz geklatscht, der eigentlich ganz anders gemeint war, nur weil er sich im ersten Moment so schön friedfertig anhörte. Allerdings war die Akkustik im Berliner Gasometer auch nicht gerade Talkshow-optimiert. Und Peter Struck als ehemaliger Verteidigungsminister fand es ungerecht, die Dinge aus der Rückschau zu beurteilen, nun, da man wisse, wie die USA sich im Krieg gegen den Terror verheddert habe - getreu der bahnbrechenden Devise: Nachher ist man immer schlauer.
Für Jauchs erste Sendung war das ein erstaunlich schwacher Auftritt, den am Ende noch Peter Struck zu verteidigen versuchte: "Ich finde, Sie haben das aber gut gemacht", probierte er gönnerhaft, die Runde zu retten. Da konnte Jauch nur noch säuerlich lächeln ob so viel onkelhaften Schulterklopfens. Wie für einen schwächelnden Schuljungen, der in Mathe endlich mal eine Vier plus mit nach Hause gebracht hat.
Fürs nächste Mal wünschte man sich einen motivierteren Moderator. Jauch hat übrigens schon angekündigt, zehn, 20 oder 30 Sendungen zu benötigen, um in die neue Aufgabe hineinzuwachsen.