Süddeutsche Zeitung

TV-Kritik: Jahresrückblick auf RTL:Der Kartenableser

Günther Jauch moderiert den großen Jahresrückblick "Menschen, Bilder, Emotionen" auf RTL - und blickt dabei vor allem auf das RTL-Jahr. Die Nabelschau langweilt sogar den Moderator.

Hans Hoff

So mancher Verantwortliche der ARD mag den RTL-Jahresrückblick mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt haben. Schließlich bot sich am langen Sonntagabend eine ausgiebige Chance, just jenen Mann zu besichtigen, dem man von kommendem Herbst Anne Wills Sonntagabendtalkplatz übereignen will.

Zu bestaunen war beispielsweise, wie Günther Jauch mit Außenminister Guido Westerwelle und mit Ex-Bundesbanker Thilo Sarrazin jeweils um die acht Minuten parlierte und nicht den Hauch von Neuigkeit aus den beiden herauskitzelte. Zudem bestritt er einen Großteil des Programms mit sendereigenen Themen und qualifizierte sich als leicht gelangweilter Das-haben-wir-auch-noch-für-Sie-Ansager.

Natürlich darf ein Sender, wenn er auf das Jahr zurückblicken lässt, durchaus auch mal an sich selbst denken und hier und da ein Thema setzen, das mit dem eigenen Programm zu tun hat. Bei RTL übertreibt man es indes ein wenig mit der Nabelschau. Es wirkt, als brauche der Sender die Welt da draußen nicht mehr. Spätestens in ein paar Jahren wird sich der Jahresrückblick ausschließlich mit hauseigenem Personal bestreiten lassen.

Einen Vorgeschmack gab der Moderator schon zum Start der Dreieinhalbstundenstrecke. Erst lud er einen Kandidaten ein, der in Jauchs Wer wird Millionär-Sendung kürzlich eine Million Euro abgeräumt hatte. Direkt danach trat ein Jurymitglied der RTL-Supertalent-Suche zum Gespräch an. Zwar ging es im Talk mit Sylvie van der Vaart vordergründig um deren überstandene Brustkrebs-Erkrankung. Doch so wie der Gastgeber das Thema abhandelte, klang es mehr nach Plausch beim Friseur als nach echter Problematisierung.

Später kam Daniela Katzenberger, die Hausblondine des RTL-Tochtersenders Vox vorbei, und dann durfte der RTL-Restauranttester Christian Rach von seinem sozialen Engagement auf dem Sender schwärmen. Als es um das Thema Missbrauch in der Kirche ging, wurde der Einführungsfilm zum Gespräch mit einem Bischof natürlich mit hauseigenen Nachrichten illustriert.

Ein Jauch moderiert das eine so lässig weg wie das andere. Selten ist ihm so etwas wie Engagement anzumerken. Seine oft gerühmte Fähigkeit, immer hochinteressiert an seinem gerade aktuellen Thema zu wirken, scheint ihm zunehmend abhandenzukommen. Selbst bei den Fußballer-Gesprächen mit Lukas Podolski, Philipp Lahm, Manuel Neuer und Thomas Müller transpiriert er Unlust. Immer häufiger umschwirrt ihn der Ruch von Ist-mir-doch-egal.

Dass er zudem nicht der große Frager ist, für den ihn manche halten, zeigt sich bei eher politisch angelegten Interviews. Jauch liest eine Frage von seinen Kärtchen ab, und sobald das Gegenüber was gesagt hat, liest er ungeachtet etwaiger Unstimmigkeiten in der Antwort die nächste Frage vor. So bietet er Westerwelle eine wunderbare Bühne zur Eigeninszenierung als starker Ich-steh-das-durch-Typ. Keine einzige Frage geht annähernd an irgendeine Substanz. Unbeteiligt wirkt Jauch. Leben kommt erst in ihn, als er vom Außenminister wissen will, wo der denn Weihnachten verbringen wird. Als der nicht wunschgemäß antworten will, lässt es Jauch rasch gut sein. Ihm doch egal.

Genauso geht es beim Interview mit Thilo Sarrazin. Keine Sekunde bringt er den in Bedrängnis. Als Sarrazin behauptet, seine Darstellungen im Erfolgsbuch würden in den Fakten von keinem bestritten, nimmt Jauch das widerspruchslos hin. Er ist viel interessierter an einer Indiskretion. Was Sarrazin denn wählen würde, wenn Wahl wäre, fragt er. Als Sarrazin auf das Wahlgeheimnis pocht, lässt Jauch ausnahmsweise mal nicht locker und wiederholt die Frage. "Wäre aber schön", unterstreicht er sein Antwortbegehren, doch der Beplauschte bleibt hart.

Kein ARD-Verbesserer

Da greift Jauch in die Trickkiste und holt seine finale Knallerfrage raus. "Kennen Sie eigentlich Daniela Katzenberger?", fragt er. "Nein", sagt Sarrazin. Sie sei aber bekannter als Wanderers Nachtlied, wendet Jauch ein. "Man kann nicht alles kennen. Man muss sich konzentrieren", kontert Sarrazin, und fast wirkt er sympathisch. Man möchte sich nicht ausmalen, was einem ARD-Gewaltigen in solchen Momenten durch den Kopf geht. Vielleicht: Wo ist der Vertrag mit Jauch? Kann man den noch zurückrufen? Da ist ja Kerner bissiger.

Da hat der Herr Jauch noch dies für seine Zuschauer. Viel Schicksal, viel Skurriles. Ein Kumpel aus Chile wird im Dunkeln befragt, zwei Loveparade-Geschädigte kommen ebenso zu Wort wie Zwillinge, die im Flugzeug einen Zuckerkranken gerettet haben. Dazu noch zwei Menschen, die sich Autoschlüssel durch die Hand gestochen haben, und auch der Mann, der bei den Stuttgart-21-Protesten durch Wasserwerfereinsatz fast erblindete, darf sein Leid schildern.

Jauch nimmt das alles entgegen, rattert seine Beiträge runter, weil sie halt weg müssen. So aber qualifiziert er sich nicht als großer ARD-Verbesserer, allenfalls in Anlehnung an den größten der Alleswegmoderierer als Germany's Next Oliver Geissen.

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