TV-Kritik: "hart aber fair":Wie Erdoğan-Anhänger in Deutschland ticken

Demo von Erdogan-Anhängern in Köln

Demo von Erdoğan-Anhängern in Köln

(Foto: dpa)

Sind Deutschtürken nur Bürger zweiter Klasse? War der Doppelpass ein "gut gemeinter Fehler"? Bei "hart aber fair" wird versucht zu ergründen, was der Militärputsch in der Türkei für Deutschland heißt.

TV-Kritik von Hakan Tanriverdi

In der Türkei wird seit Wochen über einen Mann geredet: Fethullah Gülen. Der einstige enge Freund und mittlerweile in der Ferne (im US-Bundesstaat Pennsylvania) lebende Feind des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan wird seit Mitte Juli täglich erwähnt und vor allem beschuldigt, zentrale Instanz hinter dem Putsch zu sein. Wer verstehen will, was zurzeit in der Türkei passiert, muss über Gülen reden.

Suspendierungen, Entlassungen, Ausnahmezustand, Rufe nach einer Wiedereinführung der Todesstrafe, Millionen Demonstranten auf öffentlichen Plätzen: All das hängt auch mit dem islamischen Prediger zusammen. Der türkische Journalist Bülent Mumay schreibt in einem Gastbeitrag bei der FAZ zum Beispiel, dass in der Türkei nun für alle Ereignisse in jüngerer Vergangenheit die Fethullah-Gülen-Organisation als schuldige Partei herhalten muss. Doch welche Rolle spielt Gülen tatsächlich?

In der ersten Sendung nach der Sommerpause diskutiert Frank Plasberg in seiner Sendung hart aber fair mit fünf Gästen über die Türkei. "Halbmond über Deutschland - Wie viel Erdoğan verträgt unser Land?" Die Idee: Die Gäste diskutieren erst über die Situation in der Türkei und, wenn alles klappt, verstehen die Zuschauer am Ende auch, wie sich Teile der türkischen Bevölkerung in Deutschland fühlen, die diesen Mann gut finden. Wie sie ticken und wie sie zu Erdoğan stehen, und welche Rolle eine doppelte Staatsbürgerschaft spielt.

Warum eine Schauspielerin?

Doch über Gülen wird nicht geredet. Weder die Gäste diskutieren über ihn, noch gibt es Einspieler seitens der Redaktion, um die Person zu erklären. Bereits nach fünf Minuten wird klar, dass die Idee der Redaktion zwar gut ist, aber die falschen Gäste diskutieren.

Geladen sind drei Politiker, ein Journalist und eine Schauspielerin. Warum eine Schauspielerin? Wilma Elles hat in der Türkei Millionen Fans, einer davon ist Erdoğan. Das ist anscheinend der alleinige Grund, denn inhaltlich trägt sie wenig zur Diskussion bei. Dass Erdoğan innerhalb von wenigen Tagen Tausende Menschen verhaften ließ, kommentiert sie unter anderem damit, dass die Gefangenen in "guten Bedingungen verhaftet (werden), also nicht zu schlimm". Es gebe niemanden, der mehr arbeite als Erdoğan: "Er ist jeden Tag auf fünf Veranstaltungen."

Ein Satz, den Mustafa Yeneroğlu wohl unterschreiben würde. Er ist in Deutschland aufgewachsen, hat in Köln studiert und sitzt seit 2015 als AKP-Mitglied im türkischen Parlament. Yeneroğlu beklagt sich über eine "extreme" und "verzerrte" Berichterstattung über die Türkei in Deutschland.

Vorwurf: Deutsche bekommen "einseitige Informationen"

"Wenn wir permanent mit einseitigen Informationen auf die deutsche Gesellschaft in dieser Form zugehen, dann werden wir natürlich auch nicht verhindern können, dass hier der Rechtspopulismus steigt", sagt er. Ironischerweise sitzt Yeneroğlu häufiger zu Türkei-Themen in Talkshows. Er hätte also eine Möglichkeit, andere Informationen zu liefern, wie der CDU-Politiker Jens Spahn anmerkt.

Eine solche Information wäre zum Beispiel gewesen, dass der erste Anruf, der Erdoğan nach dem Putschversuch erreichte, aus Russland kam - während die ersten Reaktionen aus dem Westen sehr zurückhaltend waren. Ein Punkt, über den auch Intellektuelle und Liberale in der Türkei wütend sind, die unter AKP-Regierung und Gülen-Netzwerk gelitten haben, wie die Zeit anmerkt.

Doch es gibt Momente, in denen Yeneroğlu spannende Antworten zumindest andeutet. Christoph Schwennicke, Journalist des Magazins Cicero, weist darauf hin, dass die Verhaftungen nach dem Putsch sehr schnell stattgefunden haben. Wie geht das? Antwort Yeneroğlu: "Geheimdienste."

Seit Wochen wird darüber gerätselt, was der Geheimdienst MIT wusste. Nach einem Bericht des Wall Street Journal hatte dieser Zugriff auf Chat-Protokolle und Namen von insgesamt 40 000 Gülen-Anhängern. Wäre doch spannend, wenn man bei Yeneroğlu nach Details fragen würde: Wurden diese Listen genutzt? Doch von Plasberg kommt nichts und Schwennicke sagt einfach nur "ja" - und redet weiter.

Viele Meinungen, wenig Fakten

Auch im zweiten Teil der Sendung, nun geht es vor allem um den Doppelpass, fällt Schwennicke auf: "Der Doppelpass war ein gut gemeinter Fehler", sagt er. Dessen Ziel sei es gewesen, Integration zu befördern. Doch ob der Pass diese Funktion auch erfüllt, das bezweifelt er. Und fügt dann nebenbei an, dass er "jetzt hier empirische Belege" nicht liefern könne.

Jens Spahn findet ebenfalls, dass der Doppelpass ein Integrationshindernis sei und zu einer "gespaltenen Loyalität" führe. Ein Beispiel dafür ist Spahn zufolge die Demonstration der Erdoğan-Anhänger in Köln. "Es gefällt mir nicht, und ich finde es auch nicht gut, dass es einem ausländischen Staatsoberhaupt erstmal gelingt, solche Veranstaltungen mit so einem nationalistischen Einschlag hier bei uns mit so viel Zuspruch stattfinden zu lassen."

Doch unter den Gästen ist niemand, der diese Meinungen um Fakten ergänzt. Zwar erwähnt Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, eine Studie der Universität Münster und sagt: "Da wurde sehr, sehr deutlich, dass gerade jüngere Türken das Gefühl haben, dass sie hier Bürger zweiter Klasse sind." Dass Erdoğan gut ankomme, hänge auch damit zusammen. Doch das geht unter - auch aus Zeitgründen, da Plasberg auch noch über die Rolle von Ditib reden will, den größten islamischen Verband in Deutschland.

Inhaltlich beliebig

Fehlte im ersten Teil eine Person, die über Gülen redet, fehlte nun eine Person, die über diese Studie redet oder allgemein über die doppelte Staatsbürgerschaft und wie wichtig ein Pass dabei ist, wenn man sich einem Land zugehörig fühlen will.

Dadurch wird die Runde inhaltlich beliebig, zumal die Gäste zu sehr darauf bedacht sind, ihre zwei bis drei politischen Punkte durchzudrücken. Politisch unerfahren ist hier nur die Schauspielerin, die sich an einer Stelle sogar meldet, in der Hoffnung, dass sie aufgerufen wird und auch zu Wort kommt.

Gegen Ende zitiert auch Plasberg aus der Studie der Universität Münster. Aus ihr ist ebenfalls hervorgegangen, dass 47 Prozent der 1200 Befragten Deutschtürken ihre Religion über das Grundgesetz stellen. "Die Befolgung der Gebote meiner Religion ist für mich wichtiger als die Gesetze des Staates, in dem ich lebe." Eine Aussage, über die sich diskutieren ließe.

Dreyer nennt die 47 Prozent erschreckend. Spahn versucht, plötzlich über die Armenien-Resolution zu reden. Plasberg erteilt Yeneroğlu das finale Wort, verknüpft mit einer Frage: "Sie haben 45 Sekunden. Schaffen Sie das, etwas zu diesen 47 Prozent zu sagen, außer die Methodik zu bezweifeln?" Er schafft es nicht.

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