Süddeutsche Zeitung

TV-Kritik: Hart aber fair:Unter dem parteipolitischen Fleischklopfer

Krieg in Libyen? Atomkatastrophe in Japan? Bei Frank Plasberg werden Menschheitsfragen auf Wahlkampfgröße geschrumpft. Das Ergebnis: erstaunliche Koalitionen und atemberaubende Pirouetten.

Sebastian Gierke

Wie ein Raubtier, das sich seiner Beute sicher ist - und deshalb zu früh zuckt. Wie ein Sprinter, der im sicheren Gefühl der Überlegenheit einen Fehlstart hinlegt. So wirkt Cem Özdemir als er von Frank Plasberg zum ersten Mal angesprochen wird. Strotzend vor Selbstvertrauen hält der Parteichef der Grünen eine verfrühte Siegesrede: "Es ist keineswegs so, dass wir das auf die leichte Schulter nehmen, was möglicherweise auf uns zukommt. Das ist eine immense Verantwortung, wenn man regiert, und wenn man möglicherweise nicht nur regiert, sondern den Ministerpräsidenten stellt."

Als ob die Grünen schon gewonnen hätten in Baden-Württemberg. Als gäbe es dort bereits den ersten grünen Ministerpräsidenten Deutschlands.

Tatsächlich besteht ja die Möglichkeit, dass nach fast 58 Jahren christdemokratischer Regentschaft die CDU-Bastion im Südwesten der Republik fällt. Das darf Özdemir an dieser Stelle zugutegehalten werden. Doch danach hatte Moderator Plasberg gar nicht gefragt.

Er wollte lediglich wissen, wann Özdemir das letzte Mal eine ihm gestellte Frage beantworten musste, ohne dass er sich zuvor eine abschließende, eine fundierte Meinung hat bilden können. Er meint Fragen von fundamentaler Bedeutung, Fragen, wie sie die Atomkatastrophe in Japan, wie sie die Militäraktionen gegen Libyen aufwerfen. Große Menschheitsfragen eben.

Özdemir aber antwortet lieber auf eine Frage, die niemand gestellt hat. Plasberg versucht es bei Birgit Homburger, der FDP-Fraktionsvorsitzenden. Wann hat sie zum letzten Mal Zeit gehabt, über Grundlegendes, über Elementares nachzudenken? Homburger sagt: "Das machen sie immer wieder."

Wie bitte? Wer macht das? Erst nach ein paar Sekunden wird klar, dass Homburger von sich als denkendem Menschen in der dritten Person spricht. Sie distanziert sich schon mit der Art der Antwort von sich selbst. Das kann ja nicht gutgehen.

Plasberg gibt nicht auf, fragt auch die anderen Diskutanten in seiner Runde: Volker Kauder (CDU), Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Gregor Gysi (Die Linke), allesamt Fraktionsvorsitzende im Bundestag. Doch auch sie wollen Plasberg nicht richtig antworten. Sie scheinen keine Lust zu haben auf Reflexion, auf Nachdenklichkeit. Am Sonntag wird in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg gewählt. Da schalten alle fünf lieber sofort in den Wahlkampfmodus.

Sie glauben offenbar, dass beim Wähler nur die ganz einfachen Gewissheiten ankommen. Und so werden die härtesten Fakten so lange mit dem eigenen parteipolitischen Fleischklopfer bearbeitet, bis sie zart und mundgerecht serviert werden können.

Dabei steht noch lange nicht fest, ob zum Beispiel der Union ihr waghalsiges Wendemanöver beim Thema Atomkraft nicht sogar mehr schadet, als es ein Beharren auf der Laufzeitverlängerung getan hätte. Werden die Landtagswahlen am Sonntag zur Abstimmung über die Bundespolitik, will Plasberg angesichts der Ereignisse in Japan und Libyen wissen. Und trifft die Regierung ihre Entscheidungen mit Blick auf die große Welt, oder hat sie nur das kleine Ländle im Sinn?

Die Debatte darüber wird, überraschenderweise, ziemlich emotionslos geführt. Das liegt sicherlich daran, dass mit Steinmeier und Kauder zwei Politmanager, zwei Strategen in der Runde sitzen, die zumindest an diesem Abend nur selten die Contenance verlieren. CDU-Mann Kauder aber wirkt nur scheinbar gelassen, eher eingeschüchtert von der politischen Virilität, die Özdemir und Gysi ausstrahlen. Sie wähnen sich mit ihren Themen im Wahlkampf mehr denn je auf der Gewinnerseite. So wie eine Maus, die ihrem ärgsten Feind ins Angesicht schaut und mit extremer Schnelligkeit versucht, sich ein Schlupfloch zu suchen.

Die CDU-Maus hat es wahrlich nicht leicht in diesem Moment. Wie in Kafkas Kleine Fabel wird ihre Welt enger mit jedem Tag. Sie läuft in eine Sackgasse, an deren Ende, dort im Winkel, die Atomfalle steht. "Du musst nur die Laufrichtung ändern," sagt das Raubtier - und frisst sie. Kauder sagt: "Wir haben uns die Themen nicht ausgesucht." Es klingt nicht wütend, es klingt resigniert. Jede Bewegung scheint die Regierung im Moment näher an den Abgrund zu bringen, jeder Rettungsversuch scheint zum Scheitern verurteilt.

Homburger, ebenfalls aus Baden-Württemberg, versucht deshalb, die morschen Wände ihrer politischen Wohnung mit bunten Farben zu übertünchen. Geradezu schröderesk versucht sie, mit dem selbsternannten Friedensminister Westerwelle zu punkten. Denn: "Der Einsatz in Libyen ist nicht durchdacht." Die Enthaltung bei der Abstimmung im Sicherheitsrat über die UN-Resolution sei die richtige Entscheidung gewesen.

Kauder stellt sich weniger geschickt an und verkauft mit atemberaubender Pirouette die verlorene Illusion von der Sicherheit der Atomkraft als gewonnene Erfahrung. Und schon schallt es ihm entgegen: Heuchler, Umfaller! Die Diskussion läuft jetzt von ganz allein, jeder ist der Stichwortgeber des anderen. Überraschend ist einzig die gelb-dunkelrote Koalition, die sich da ergibt. Gysi stimmt Homburger eifrig nickend zu, als diese über Libyen spricht. Özdemir wundert sich.

Unterdessen versucht Frank-Walter Steinmeier sich im Eiertanz, allerdings mit staatsmännischem Gestus. Das kann nur schiefgehen. Die Entscheidung für den Militäreinsatz in Libyen ist aus seiner Sicht vor allem zu schnell getroffen worden. Doch auch die Enthaltung ist ein Fehler, glaubt Steinmeier. "Die Bundesregierung hat den Anschluss verloren an die Positionsbestimmung der Amerikaner", schwurbelt er. Was der ehemalige Außenminister meint: Zusammen mit den USA hätten die vorpreschenden Franzosen beim Libyen-Einsatz noch gebremst werden können.

Den Eindruck, dass Menschheitsfragen gerade auf Wahlkampfgröße geschrumpft werden, kann keiner der Anwesenden zerstreuen. Frank Plasberg hat sicherlich in dieser Runde auch nichts anderes erwartet. Der Moderator schaut sich das Ganze seltsam zufrieden an, greift kaum ein, konzentriert sich auf einen bruchlosen Übergang zu den Einspielfilmchen. Für einen dieser Filme hat seine Redaktion Angela Merkel in einen Anti-Atom-Aufkleber kopiert und in der Fußgängerzone von Münster einen fiktiven CDU-Stand aufgebaut, an dem jetzt gegen Atomkraft agitiert wird. Sogar ein Mitglied der Jungen Union hält das für real.

Plasberg fragt, wo für die Union die Grenze liegt, welche wichtige christdemokratische Position die Partei vor Wahlen nicht schnell räumen würde, wenn es die äußeren Umstände opportun erscheinen lassen. "Wir nehmen keine Rücksicht auf Wahlkämpfe", zieht Kauder noch ein letztes Mal den Kopf ein und blickt hinüber zu Özdemir. Der setzt da gerne wieder zum Sprung an. Er sollte aufpassen, am Sonntag nicht als der vielzitierte Bettvorleger zu landen.

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