TV-Kritik: Hart aber fair:Löcher oder Staat

Große Löcher in Straßen und Kassen: Bei Frank Plasberg reden Spitzenpolitiker sich und Zuschauer schwindelig - und gelangen dann doch zu einer ganz grundsätzlichen Frage.

Lilith Volkert

Deutschland hat ein Problem mit Löchern. Im Bundeshaushalt, in den Gemeindekassen, neuerdings auch im Straßenbelag. Ein langer Winter, und schon rumpelt man auf vielen deutschen Straßen in Schrittgeschwindigkeit durch kratertiefe Schlaglöcher. Geld zur Reparatur ist - wegen der finanziellen Löcher - selten da. Manche bringt das auf kreative Geschäftsmodelle: Die Gemeinde Niederzimmern in Thüringen verkauft Schlaglöcher übers Internet, für 50 Euro gibt es einen Batzen Teer und eine Plakette mit dem Wunschtext des edlen Spenders. Alle anderen holpern eben weiter.

Frank Plasberg hat sich in der ARD der Lochproblematik angenommen und mit einer Runde aus Generalsekretären (Gröhe/CDU, Lindner/FDP, Nahles/SPD) und Fraktionsvorsitzenden (Trittin/Grüne, Gysi/Linke) diskutiert. Soll man in solchen Zeiten - Deutschland steht quasi kurz davor zu einem zweiten Griechenland zu werden - auch noch die Steuern senken?

Dass die FDP ihre vor der Wahl versprochenen Steuersenkungspläne am Tag zuvor deutlich aufgeweicht hat, mag die Erregung von Christian Lindner erklären. Nach viereinhalb Minuten ist das Wasserglas des FDP-Generalsekretärs bereits halb leer. "Halb voll!!" hätte er wohl geschnaubt, schließlich sieht er auch im Bundeshaushalt eher das, was da ist, als das, was fehlt. Ach, und diese Neuverschuldung von 80 Milliarden Euro ließe sich doch durch Subventionsabbau gut in den Griff kriegen.

Auch Hermann Gröhe (CDU) verficht mit Verve die Lieblingslüge der Koalition: "Wir müssen Entlastung und Sparkurs zusammenbringen, das ist machbar." Dabei ist die Behauptung, Steuersenkungen und Haushaltskonsolidierung ließen sich miteinander vereinbaren genauso unsinnig wie das Versprechen einer großen Elektromarktkette, Geiz ließe sich am besten beim Geldausgeben zelebrieren.

Andrea Nahles (SPD) brandmarkt die Vorschläge der FDP zur Gegenfinanzierung als "Luftbuchungen" und prophezeit steigende Krankenkassenbeiträge und Müllgebühren, Jürgen Trittin (Grüne) ätzt angesichts der aktuellen Krise, Griechenland habe schon umgesetzt, was die FDP für Deutschland fordert.

Gregor Gysi (Die Linke) hat das Thema der Sendung nicht mitbekommen und schwadroniert immer wieder über die unverschämten Banker. Als Moderator Frank Plasberg ihn sanft ermahnt, fallen ihm noch die von der Linkspartei angestrebte Millionärssteuer, ein gesunkener Reallohn und dann noch mal die Bankenabgabe ein. In der Opposition zu sein, hat in schwierigen Zeiten nicht nur Nachteile.

Als angenehm ruhender Pol sitzt Gabor Steingart, der seit kurzem als Chefredakteur neuen Schwung in das Handelsblatt bringt, zwischen dem hickhackenden schwarz-gelben und rot-grün-dunkelroten Lager. Als Einziger hat er keinen Wahlkampf zu bestreiten. Alle anderen zittern spürbar vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai.

Die "Lebensrealität der Zuschauer" ist weit weg

Bewundernswert besonnen versucht Frank Plasberg immer wieder, seine Diskutanten aus ihrer Paragraphenwelt in die "Lebensrealität der Zuschauer" zu holen, länger als einige Atemzüge gelingt ihm das allerdings nicht. Auch die anfangs als zentral angekündigte Frage, wer es denn am deutlichsten spüre, wenn der Staat immer schwächer werde, hat die Runde bereits vergessen, bevor Plasberg sie fertig ausgesprochen hat.

Wen die eifrigen Zahlenjongleure im Laufe der Sendung nicht schwindlig reden, der erkennt bald, dass es hier nicht nur ums Geldverteilen geht, sondern um eine grundsätzliche Frage: Welchen Staat können wir uns leisten? Und was wollen wir uns das kosten lassen? "Einen unterfinanzierten Staat kann ich den Deutschen nicht empfehlen", sagt Gabor Steingart, der bis vor kurzem als Spiegel-Korrespondent in den USA gelebt und den direkten Vergleich hat. "Hier sind zwar Löcher in der Straße, aber immerhin gibt es eine Straße."

Glaubt man der Abstimmung auf Plasbergs Homepage, dann ist der Bürger vernünftiger als der Politiker das wahrhaben möchte. Fast drei Viertel möchten lieber mehr Geld für Bildung und Infrastruktur, nur ein Viertel will stattdessen eine Steuersenkung. Ob diese Entscheidung - Steuererhöhung, ja bitte! - in der Wahlkabine genauso fallen würde, darf bezweifelt werden. Aber deutlich wird doch: Die große Mehrheit verzichtet lieber auf Guido Westerwelles Geldgeschenke, solange so große Löcher in Straßen und Bundeshaushalt klaffen.

"Staaten, die auf die Dauer nicht mit ihrem Geld auskommen, gehen vor die Hunde", bringt der Journalist Steingart das eigentliche Problem auf den Punkt. "Dieser Griechenland-Virus ist tödlich." Während er und Plasberg sich um eine klare, sachliche Diskussion bemühen, sind die fünf Politiker im trauten - und lauten - Wahlkampfgerangel vereint.

Kurz vor einer entscheidenden Landtagswahl lässt sich eine solche Diskussion anscheinend nicht vernünftig führen. Deshalb kommt beim Zuschauer nach intensiven 75 Minuten kurz der Wunsch auf, die Schlaglöcher einfach Schlaglöcher sein zu lassen, und alle anwesenden Politiker aus dem Studio zu jagen, weit weg, über Deutschlands holprige Straßen.

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