TV-Kritik "Hart aber fair":Es britzelt bei Migrationspolitik und Vermögensteuer

'Hart aber fair'

Volker Kauder (CDU), Fraktionsvorsitzender im Deutschen Bundestag, zu Gast in der ARD-Talkshow.

(Foto: dpa)

Zum Auftakt des Wahljahres versammelt "Hart aber fair"-Moderator Plasberg eine illustre Runde der Fraktions- und Parteivorsitzenden. Ein Abend zwischen wolkigen Definitionen, aufgeblasenen Backen und zarten Koalitions-Avancen.

TV-Kritik von Barbara Galaktionow

Es dauert immerhin eine Viertelstunde, bis die Flüchtlingsdebatte zum ersten Mal Erwähnung findet. Natürlich, so war es zu erwarten, bringt AfD-Chefin Frauke Petry das Thema zur Sprache. Sie kritisiert erneut die "katastrophale Migrationspolitik" der Merkel-Regierung, die den Steuerzahler viel Geld koste.

Und dennoch wird sich am Ende dieses "Hart aber fair"-Talks die Frage von Moderator Frank Plasberg mit einem klaren "Ja" beantworten lassen: Ja, zu Beginn des Wahljahres 2017 lässt sich über Politik diskutieren, ohne sich einzig mit dem Flüchtlingsthema zu beschäftigen. Das hatte die Sendung auch versprochen: "Sicherheit, Steuern, Rente - der Wahlcheck 2017!" lautete das Thema.

"Vier Fraktionsvorsitzende und zwei Parteivorsitzende" seien dazu geladen, wie Plasberg hervorhebt. Als da wären: Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) sowie die Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann (SPD), Katrin Göring-Eckardt (Grüne) und Sahra Wagenknecht (Linke). Außerdem FDP-Chef Christian Lindner - und eben Frauke Petry, deren Partei die gebührenfinanzierte ARD als eines der von ihr kritisierten "GEZ-Medien" von einem Treffen rechtspopulistischer Parteien in Koblenz am kommenden Wochenende ausschließen will.

Die Standards der Berichterstattung seien grundsätzlich "nicht davon beeinflusst, wie Parteien sich unserem Sender oder der ARD gegenüber verhalten", sagte ein ARD-Pressesprecher dazu dem Berliner Tagesspiegel. Der Zuschauer solle sich ein eigenes Bild von den Positionen der Parteien inklusive der AfD machen können.

Der erste und tatsächlich dominierende Block ist - nein, nicht der inneren Sicherheit, sondern - den Steuern gewidmet. Mehr als sechs Milliarden Euro Haushaltsüberschuss gilt es klug zu verwenden. Wobei die Grüne Göring-Eckardt den Großkoalitionären erst einmal die provozierende Frage stellt, wann man beim postulierten "Vorrang für Investionen" (Oppermann) endlich aus dem "Vorhaben-Modus" hochschalten wolle.

Wer ist hier der Superreiche?

Die Grüne wünscht sich, genau wie Linken-Politikerin Wagenknecht, vor allem Investionen (in Bildung und Soziales), FDP-Mann Lindner und Petry hingegen vor allem die Abschaffung des Solidaritätsbeitrags und steuerliche Entlastung "der Mitte der Gesellschaft" (Lindner) oder der Familien (Petry).

Lindner muss sich allerdings von Göring-Eckardt vorwerfen lassen, dass der Steuersenkungskurs seiner Partei einst nichts außer der Mövenpick-Steuer hervorgebracht habe, jener heftig umstrittenen Steuerermäßigung speziell für das Hotelgewerbe. Moderator Plasberg möchte das Thema nicht weiter vertiefen, sondern in die Zukunft schauen: "Vielleicht sagen Sie einfach mal, dass das ein Fehler war, dann haben die anderen auch gar keinen Spaß mehr dran", fordert er Lindner auf (der diesem Vorschlag allerdings bestenfalls halbherzig folgt).

Was Plasberg hingegen interessiert, ist die Haltung der Parteien zu einer Steuer, die mittlerweile das "Dasein einer Untoten" führe, der Vermögensteuer. SPD-Chef Sigmar Gabriel habe das Projekt inzwischen aufgegeben, heißt es in einem Einspielfilm. Die Linke fordere dagegen ganz konkret eine "Millionärssteuer", bei der Privatvermögen ab einer Million Euro jedes Jahr mit fünf Prozent versteuert werden sollen.

Rüffel von Oppermann

77 Prozent der AfD-Wähler, zitiert Plasberg eine Umfrage des ARD-Deutschlandtrends, fänden, dass es in Deutschland ungerecht zugehe. Ob die Vermögensteuer eine Lösung wäre, fragt er. Als Petry deren "Abschaffung" fordert, fährt Oppermann sie an: "Wir haben keine, die Sie abschaffen können." Die AfD-Chefin reagiert defensiv - zu Unrecht. Denn tatsächlich wurde die Vermögensteuer 1996 durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht abgeschafft, sondern nur "ausgesetzt", was de facto allerdings einer Abschaffung gleichkommt. Was gemeinhin als Wiedereinführung bezeichnet wird, wäre daher formal eigentlich eine Reform.

Nicht allzu überzeugend vermittelt Göring-Eckardt die Forderung der Grünen nach der Besteuerung von "Superreichen" - was vor allem an ihrer zugleich klischeebehafteten und wolkigen Definition liegt, wer das denn überhaupt sein soll. "Es gibt Leute, die legen ihren Gästen als Betthupferl eine Rolex auf den Nachttisch", behauptet die Grünen-Chefin und sorgt damit für aufgeblasene Backen (Kauder) und spöttisches Grinsen (Oppermann, Lindner). "Wollen Sie neben den Betten stehen?", stellt Plasberg solche plakativen Kriterien in Frage.

Es "britzelt" - bei der inneren Sicherheit

Als knifflig erweist sich auch die Frage der Erbschaftsteuer. Wie sorgt man dafür, dass das seit den Zeiten von Altkanzler Gerhard Schröder gern genannte kleine Häuschen von Oma nicht besteuert wird, größere Vermögen aber doch - und nebenbei keine Arbeitsplätze bei der Vererbung von Unternehmen vernichtet werden?

FDP-Chef Lindner plädiert dafür, betriebliches und privates Erbe gleich zu besteuern, da es sich kaum sauber trennen lasse. Die Lösung liege in einem niedrigen Steuersatz. Das findet sogar Oppermann "konstruktiv" und macht zarte Koalitions-Avancen. Das wäre eine Basis, über die man reden könne, so der SPD-Fraktionschef. "Da passiert was heute Abend, es britzelt", freut sich Moderator Plasberg.

So wirklich "britzelt" es allerdings vor allem beim zweiten Großthema des Abends, der inneren Sicherheit. Die Frage nach der politischen Verantwortung für den islamistischen Terror in Deutschland steht im Raum. FDP-Chef Linder zeigt hier klare Kante: "Ich finde die Frage schon infam", findet er, islamistischen Terror habe es auch schon vor und ohne die deutsche Flüchtlingspolitik gegeben. Dafür erhält er Unterstützung von Kauder, während sich SPD-Mann Oppermann schwammig äußert. Keiner sei für den Anschlag in Berlin persönlich verantwortlich, aber alle stünden in der Verantwortung, dass sich so etwas nicht wiederhole.

Die Antwort Petrys fällt dagegen eindeutig aus - "selbstverständlich" trage die Merkel-Regierung politische Verantwortung für den Terror wegen des Problems der "illegalen Migration". Die Einlassungen Wagenknechts dagegen sind kritisch, aber deutlich differenzierter: Eine Beteiligung Deutschlands an Kriegen sowie Unterstützung zweifelhafter Regime erhöhten die Terrorgefahr. Die Linken-Politikerin hatte während der Flüchtlingskrise Parteifreunde durch Kritik an "unkontrollierter Grenzöffnung" irritiert.

Auch einmal Fragen offenlassen

In diesem Zusammenhang wird auch die immer wieder gern aufgestellte These diskutiert, dass sich links und rechts des politischen Spektrums gerade einfach ein großer Kreis schließt. Plasberg zitiert CDU-Generalsekretär Peter Tauber, der Petry und Wagenknecht als "doppeltes Lottchen des Populismus" bezeichnet hatte. Wagenknecht verwahrt sich gegen den "plump-dummen Vergleich" und erinnert daran, dass Tauber selbst FDP-Chef Lindner in eine Reihe mit der AfD gestellt hatte.

Im Fall des mutmaßlichen Berlin-Attentäters Anis Amri verweist letztlich Plasberg selbst darauf, dass bei solch komplizierten Zusammenhängen eine Klärung der Verantwortlichkeiten derzeit noch schwierig sei. Eine Frage einmal bewusst offenzulassen, und das in einer Talkshow: das wirkt dann doch einmal angenehm unaufgeregt und ist womöglich nicht das schlechteste Signal zu Beginn dieses langen Wahljahres.

Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version des Textes stand, dass die Vermögensteuer seit 1996 "abgeschafft" sei. Formal ist sie allerdings nur "ausgesetzt", wenn dass auch de facto einer Abschaffung gleichkommt. Wir haben die entsprechende Textstelle präzisiert.

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