TV-Kritik: 2. Halbfinale Eurovision Song Contest:In Bildgewittern

Mutlosigkeit auf der musikalischen Müllhalde: Die Organisatoren sollten Raab und Rakers nach Hause schicken und Anke Engelke einfach mal alleine machen lassen. Dann wäre auch die visuelle Schnitzelei der Bildregie leichter zu ertragen.

Hans Hoff

Mut steht in öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten auf der Liste der bedrohten Arten. Mut würde bedeuten, dass man sich nicht an irgendwelchen Vorgaben in irgendwelchen Pflichtenheften der European Broadcasting Union orientiert, dass man nicht ausgewogen nach Senderproporz agiert, sondern sich allein der Qualität einer Sendung verpflichtet fühlt. Im Falle des Eurovision Song Contest würde das allerdings bedeuten, dass die TV-Gewaltigen aus den beiden Halbfinal-Sendungen eine klare Konsequenz fürs Finale zögen und sowohl die Tagesschau-Ansagerin Judith Rakers als auch den Pro-Sieben-Clown Stefan Raab vorzeitig nach Hause schickten. Die Moderation der Show übernähme dann allein die Komödiantin Anke Engelke. Im Gegensatz zu ihren Mitmoderatanten kann sie nämlich beides: Moderieren und unterhalten.

Zweites Halbfinale Eurovision Song Contest

Anke Engelke in bester Form - Stefan Raab war nur einmal witzig.

(Foto: dapd)

Anke Engelke kommt immer dann in Form, wenn sie nicht auf die Reaktion ihrer in Sachen Timing permanent überforderten Kollegen warten muss, wenn sie also allein machen darf. Dann jongliert sie mit Sprachen, dann gibt sie sich ihrer Intuition hin, dann ist sie komisch in Bild und Ton und agiert, wie sie meint, agieren zu müssen. In 99 Prozent der Fälle wäre es für den ESC ein riesiger Gewinn, würde er auf die Steifigkeit von Rakers ebenso verzichten wie auf das Haifischlächeln des Herrn Raab, der nur einmal witzig war: Als Engelke ihm zum Schein die Kinnlade polierte und der blutig geschlagene Entertainer seine Zähne durch die Gegend spie.

Hätten die Organisatoren also Mut, würde man in 55 Ländern nachher nicht nur über das überraschende Ausscheiden von Dana International, immerhin der Siegerin, die 1998 den Titel nach Israel holte, sprechen, sondern über diese Frau Engelke, die das alles so perfekt hinbekommt. Der ESC hätte damit auf jeden Fall schon mal eine Marke für sich gesetzt, was die von so manch überflüssigem Lied ausgelöste Qual entscheidend lindern würde.

Schließlich darf man sich nichts vormachen. Der ESC ist und bleibt eine musikalische Müllhalde. "Ein bisschen Trash muss sein", hat selbst Lena gesagt. Ein bisschen wäre erträglich. Leider ist es wieder die Mehrzahl der Songs, die kurz davor steht, von Amnesty International als Folterwerkzeug anerkannt zu werden.

Nun gehören schlechte Lieder aber auch zur Tradition des ESC. Der spricht zwar immer wieder von Erneuerung, doch das Gerede von Innovation bezieht sich in der Regel auf die Technik, die atemberaubende Schritte nach vorne gemacht hat, während die Musik im besten Fall auf dem Stand von vor fünf Jahren verharrt, im ungünstigsten auf dem Rückweg in die 80er Jahre ist.

Für die deutschen Zuschauer mildert wenigstens Kommentator Peter Urban ein wenig das Grauen. "Eine ganz schöne Nummer, die leider auf der Suche nach einem Refrain versickert", urteilt er etwa charmant bissig über den holländischen Beitrag, der nicht ins Finale darf, und bei den Twiins, die nun vorzeitig heim in die Slowakei fahren dürfen, sieht er glatt eine Parfümerie ausgeräumt. "Da sind aber ein paar Schminktöpfe draufgegangen." Das beruhigt im Falle des Gehörten, hilft aber wenig weiter bei den Bildern.

Wer einmal bei den Proben in der Düsseldorfer Arena war, weiß, welch zauberhafte Licht- und Filmeffekte die riesige LED-Wand zeigen kann. Da werden auch mittelmäßige Präsentationen zu naturgewaltigen Ereignissen, die sich tief in die Netzhaut einbrennen. Leider kann die ESC-Fernsehregie nicht mit den verbesserten Möglichkeiten Schritt halten. Dabei wäre es ein leichtes, hätte man nur den Mut, die gebotenen Bilder aufzusaugen und zu genießen, sie nicht so gnadenlos zu zerfleddern wie die Regie das beim zweiten Halbfinale oft getan hat.

Geschnitten oder am Stück?

Da fehlte, abgesehen vielleicht von der Inszenierung der zwei irischen Knallfrösche und der ganz witzigen Komikertruppe aus Moldau, die beide weiter kamen, eindeutig der Mut, tolle Bilder einfach mal stehen und Aktionen auch mal laufen zu lassen. Die Wahl "geschnitten oder am Stück" fiel eindeutig zugunsten der Schnitzelei aus, was gelegentlich allerdings arg an den Rand eines visuellen Massakers heranreichte.

Zusätzlich waren die meisten der 25 Kameras viel zu hektisch unterwegs. Offenbar steht im ESC-Pflichtenheft, dass sich alles immer bewegen muss. Bilder, die länger als drei Herzschläge stehen bleiben, scheinen verboten zu sein. Das Ergebnis ist in den meisten Fällen ein erbarmungsloses Licht- und Bildgewitter ohne klare Struktur, das den Zuschauer daheim betäubt und orientierungslos zurück lässt.

Mut würde hier bedeuten, sich nicht dem Diktat der unzähligen technischen Möglichkeiten zu beugen, sondern der Präsentation eine eigene Bildsprache entgegenzusetzen. Aber Mut ist ja bekanntlich Mangelware im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, womit die Chance, dass beim Finale am Samstag alles besser wird, ungefähr so groß beziehungsweise so klein ausfällt wie die Hoffnung, beim ESC jemals mehr als nur ein paar erträgliche Lieder zu hören.

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