TV-Kritik: Guttenbergs Zapfenstreich:Militär meets populär

Kleine Lippen, feuchte Augen, zusammengezogene Brauen - so hat die Republik Guttenberg noch nie gesehen. Der Abschied vom Amt als TV-Event am Vorabend: Wie es aussieht, wenn Männer mit Tränen ringen.

Lilith Volkert

So ein feierlicher Zapfenstreich kann einen Politiker mitnehmen. Rein emotional. Die Gefühle kommen durch, und dann vielleicht das Wasser. Horst Köhler wurde es feucht in den Augen, als er im vergangenen Juni als Bundespräsident mit einem Großen Zapfenstreich verabschiedet wurde. Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder kamen bei der bewegenden Zeremonie im November 2005 die Tränen.

Guttenberg Wieker

Ex-Verteidigungsminister Guttenberg, Generalinspekteur Wieker: Feuchte Augen zum Abschied

(Foto: AFP)

Und Karl-Theodor zu Guttenberg - der gefallene Star der deutschen Politik, der gefühlte Jungreservist fürs Kanzleramt, dessen rasche Karriere und jäher Sturz so viele Deutsche so emotional bewegt hat?

Am Donnerstagabend ist es soweit, dass das Wachbataillon der Bundeswehr seinen ehemaligen Dienstherren zu Guttenberg mit höchsten militärischen Ehren verabschiedet. Und weil der CSU-Politiker größtes öffentliches Interesse provoziert, erst recht seit seinem Rücktritt, muss er sich nun von Millionen beobachten lassen, von Freund und Feind: Die ARD überträgt erstmals den Zapfenstreich eines Verteidigungsministers.

Zwischen "Verbotener Liebe" (Adelshochzeit im Gefängnis scheitert vorm Altar) und "Das Duell" (zwei Kontrahenten in der Quiz-Arena) zeigt das Erste Deutsche Fernsehen im Vorabendprogramm das Finale eines Dramas eigener Art: das vorzeitige Verglühen eines Spitzenpolitikers nach seinem kometenhaften Aufstieg. Wenn man so will, die letzte Folge einer seltsamen Mischung aus Soap Opera und griechischer Tragödie.

Die ARD präsentiert Guttenbergs vorläufig letzte Show als ästhetisches Aufmaschier-und-Musizier-Event. Ein bisschen wirkt es, als hätte die Bundeswehr einen halbstündigen Werbefilm bestellt - tatsächlich geht ihr ja bald der Nachwuchs aus, weil der scheidende Verteidigungsminister die Wehrpflicht abgeschafft hat.

Trommelwirbel in Nahaufnahme, der Dirigent lächelt, eine Deutschlandflagge weht im Wind. Eine Kamera umkreist mehrfach einen Solotrompeter. Andere fangen Fackelwiderschein im Stahlhelm ein und ernste, junge Gesichter. Das Wetter steuert Dramatik bei: Starker Wind weht Funken quer durchs Bild und rauscht im Mikrofon des Kommentators Ulrich Deppendorf. Dieser erklärt dem Zuschauer recht knapp, was gerade zu sehen ist. Gut zwanzig Kilometer Kabel hat die ARD für das - in Neudeutsch - TV-Event ausgerollt, zehn Kameras setzen die düstere Stimmung in Szene.

Weint er? Oder sind es Regentropfen?

Seht her!, sagen die vielen Bilder aus der Totale, so einsam und verloren kann man sich auf diesem riesigen Platz fühlen! Das rote Podest, auf dem Guttenberg zwischen seinem Nachfolger Thomas de Maizière und Bundeswehr-Generalinspekteur Volker Wieker die Parade abnimmt, ist oft kaum zu erkennen. Guttenberg entsprechend auch nicht. Die Senderegie hat Mitleid mit ihrem Protagonisten. Er mag mit seinem Abschiedsschmerz am öffentlichen Pranger stehen, aber die Welt soll ihm nicht ständig ins Gesicht glotzen. Wenn sie zwischendurch einen kurzen Blick auf ihn erhascht, sieht er sehr unglücklich aus. Kleine Lippen, feuchte Augen, zusammengezogene Brauen - so hat man den feschen Politiker noch nie gesehen.

Denkt er gerade voller Reue an die fatalen Wochen und Monate zurück, in denen seine Doktorarbeit zusammengeschustert wurde? Schätzt er gerade ab, in wie vielen Jahren ein politisches Comeback frühestens möglich wäre? Oder formuliert er im Kopf schon eine Zusammenfassung dieser traurigen Minuten als Einstieg für seine Autobiografie, die er kurz vor dem Zapfenstreich angekündigt hat? Man wird ja nicht jeden Tag Job, Karriere und Glaubwürdigkeit auf einmal los. Es nimmt ihn mit. Als er sich am Abend von gut 600 geladenen Gästen verabschieden wollte, hat ihm wohl die Stimme versagt. Und zum Schluss des Großen Zapfenstreichs, als die Nationalhymne angestimmt wird, lassen die entgleisten Gesichtszüge und die erhöhte Wimpernschlagfrequenz erahnen: Karl-Theodor zu Guttenberg weint.

Oder sind es doch nur Regentropfen auf der Kameralinse?

Nur einmal lacht Guttenberg wie befreit auf. Auf seinen Wunsch spielt das Heeresmusikkorps "Smoke on the water" von Deep Purple; der vielfach bekennende AC/DC-Fan setzt einen Kontrastpunkt zu "Des Großen Kurfürsten Reitermarsch" von Cuno Graf von Moltke und dem König-Ludwig-II.-Marsch von Georg Seifert. Das Lied mit dem bekanntesten Gitarrenriff der Musikgeschichte klingt wie die fränkische-weiche Version eines 007-Songs, wenn es von Pauken und Trompeten interpretiert wird.

Militär meets populär. So war er, der Minister Guttenberg.

Ein solcher Fernsehabend wäre nicht rund, würde nicht drei Stunden später das Gesehene verarbeitet, nun im ZDF, von Maybrit Illners Talkgästen. "Er hat einfach unglaublich sympathisch gewirkt", sagt Stern-Journalist Hans-Ulrich Jörges, der nicht gerade als Freund des CSU-Politikers bekannt ist. "Es bleibt eine menschliche Achtung."

Ein Comeback des 39-Jährigen scheint den versammelten Talkern denkbar - wenn er endlich glaubwürdig offenlegt, wie seine Doktorarbeit wirklich zustande gekommen ist. In Wahrheit ist die Plagiatsaffäre mit dem Zapfenstreich ja keineswegs ausgestanden. Die Staatsanwaltschaften Hof und Berlin ermitteln wegen Verletzung des Urheberrechts gegen den Gestürzten.

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