TV-Kritik zu "Günther Jauch":Auftritt des "geschäftsführenden Schmunzelmonsters"

Wahlsieger Wowereit verwurstelt sich, Wahlverlierer Rösler kommt als populistischer Mainstream-Vertreter rüber und die Piraten fehlen ganz: Trotz Mängel gelang Günther Jauch mit seiner Wahlnachlese eine attraktive Debatte. Eine kleine Nachtkritik.

Michael Grill

Es war nicht gerade ein Traumstart, den Günther Jauch bei seinem Debüt als Polit-Talker in der ARD vergangene Woche hingelegt hatte: "9/11" als Zehnjahres-Rückblick - da erstarrte die Moderation zur staatstragenden Abfragerei. Umso befreiter konnte er sich nun im zweiten Anlauf auf die Tagesaktualität stürzen: Berlin wählt Wowereit, die FDP stürzt ab auf 1,8 Prozent. Das passte doch ganz wunderbar in die Themenplanung: "Die schwarz-gelbe Pleite! Kann diese Regierung noch den Euro retten?" Die Kunst des Abends war: Das Europathema Eurokrise mit dem Bundesthema Koalitionskrise zusammenzubringen und dabei ständig über Berlin zu reden.

Guenther Jauch zur Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus

Zogen bei "Günther Jauch" Bilanz zur Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses: Berlins Regierender Bürgermeister und Wahlsieger Klaus Wowereit (r.) sowie der FDP-Vorsitzende und Wirtschaftsminister Philipp Rösler.

(Foto: dapd)

Die Kritiken aus der Vorwoche an seiner Moderation - zu wenig engagiert, zu lustlos - schien Jauch ganz genau studiert zu haben, zumindest hatte er sich drauf eingestellt: Jetzt hakte er nach und ging dazwischen, dass es nur so krachte im Gesprächsfluss. Gleich zu Beginn frotzelte er Berlins weiterregierenden Bürgermeister Wowereit an, er sei ein "geschäftsführendes Schmunzelmonster".

Dann durfte Wowereit eine kleine Siegerrunde drehen: Ist Berlin nicht das Griechenland Deutschlands? - "Aber nein, wir haben einen harten Konsolidierungskurs gemacht." Was ist mit Hartz-IV-Hauptstadt und 60 Milliarden Schulden? - "Da fragen Sie mal meine Berliner."

Etwas seltsam die redaktionelle Einführung zu Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler, der mit seiner Forderung nach einer "geordneten Insolvenz Griechenlands" für das Wochenthema gesorgt hatte. Man sah fiktive Finger auf einer Tastatur herumfliegen, dazu wurde gedichtet: "Philipp Rösler schreibt einen Gastkommentar für die Welt."

Der reale Rösler jedenfalls verteidigte seinen Text, mühte sich um Sachlichkeit und kam dabei interessanterweise weniger als populistischer Außenseiter rüber, sondern mindestens als populistischer Mainstream, was angesichts des Berliner FDP-Wahldesasters doch erstaunlich war.

"Dafür wern'se bezahlen"

Die einzige Frau in der Runde, die Wirtschaftsweise Beatrice Weder di Mauro, brachte angenehme Ruhe in die Diskussion und mühte sich erfolgreich um die Kenntnisnahme entscheidender Details im Unterschied zwischen einer "geordneten Umschuldung" und einer "geordneten Insolvenz".

Wer leider nicht fehlte, war der Börsenhändler Dirk Müller. Er ist einer jener Protagonisten, die ihre Rampenlicht-Existenz im Wesentlichen der Kameratauglichkeit ihres Gesichts verdanken. Müller erklärt breitbeinig dasitzend, es sei eine "Selbstüberschätzung der Politik, zu glauben, bei Goldman Sachs würde jemand in Unruhe geraten, nur weil in Deutschland jemand etwas sagt, es ist eher umgekehrt". Jauch tat gut daran, Müller eher wenig zu beachten.

Der Moderator führte auch sonst das Gespräch nicht ungeschickt, schob an oder bremste, wo es nötig war. Als Röttgen "mehr Europa" forderte, machte Jauch ein Gesicht, wie er es zeigt, wenn einer bei der 50-Euro-Frage den Publikumsjoker zieht.

Dann wurde Jauch ein bisschen interaktiv und verlas die Frage einer Zuschauerin aus Cottbus, "von welchem nicht vorhandenen Geld das eigentlich alles bezahlt werden soll". Rösler antwortete notdürftig, dass "wir immer neue Bürgschaften eingehen", was aber nur so lange funktioniere, bis es eben nicht mehr funktioniere, und die große Frage sei eben, was dann passiert, und weil das niemand wisse, müsse man einen Plan haben. So ungefähr.

Als Jauch zur Debatte stellte, ob Politiker nur noch Getriebene des Marktes seien, verneinte Rösler barsch ("die Finanzmärkte haben an der Stelle nichts zu sagen") und Röttgen bejahte erstaunlich offen.

Aber war da nicht noch was auf der großen politischen Bühne des Wochenendes? Ach ja, die Piraten. Die waren nicht dabei auf dem Podium und kamen auch sonst so gut wie nicht vor, obwohl Jauchs Sendung politisch stark auf die Berliner Landesebene ging.

Klaus Wowereit startete dafür Attacken auf alles außerhalb Berlins, verwurstelte sich im Wirtschaftswissenschaftlichen, doch Rösler und Röttgen taten gefälligerweise so, als würde sie das fürchterlich empören. Wowereit wusste wohl selbst nicht so genau, was er da forderte, aber es klang gut.

Wir haben verstanden

Das war der Schlusspurt von einem, dem klar ist, dass letztlich beim Publikum das hängen bleibt, was am Ende gesagt wird und sich am besten anhört. Somit hielt Berlins Regierender Bürgermeister die Zeit für gekommen, mal so ganz nebenbei das Stichwort Neuwahlen fallenzulassen.

Jauch schien zu dämmern, dass dies kein schlechter Rückweg zum eigentlich geplanten Thema ("Schwarz-gelbe Pleite") sein könnte und er ließ mal ein anderes Stichwort fallen: Kanzlerkandidat?

Da wand sich "Wowi" aufs Schönste und verstärkte die Attacke auf die Bundesregierung, was bei ihm hieß, dass er zu berlinern begann beim Einfordern einer "klaren Haltung der Regierung": "Dafür wern'se bezahlt." Empört euch - ach wie gut das tut. Noch besser tat aber die Wirtschaftsweise Weder di Mauro, die abschließend sachlich zur Euro- und Griechenlandlage erklärte, warum das alles so schwierig ist.

Da hatte Günther Jauch schon ein paar Minuten überzogen, was trotz kleinerer Längen gegen Ende der Sendung für die Attraktivität der Debatte spricht. Der Moderator ist wieder auf dem guten Weg zum journalistischen Gespräch, "Wowi" hat die Haare schön, das mit dem Euro wird hoffentlich schon irgendwie gut gehen. Danke, wir haben verstanden, zumindest ein bisschen was.

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