TV-Kritik: Germany's Next Topmodel:Du sollst Heidi lieben!

Göttliche Gebote für die Nachwuchsmodels: Wer diese Spielregeln nicht beachtet, wird nie Germany's Next Topmodel. Der geheime Dekalog der Heidi Klum.

Jürgen Schmieder

Unter der Woche, so wollen es Fernsehsender und Fußballverbände, da sollen Männer und Frauen nicht mehr gemeinsam fernsehen. So zeigt Pro Sieben am Dienstag amerikanische Sitcoms, während auf einem anderen Kanal Lionel Messi eine Gala feiert.

Am Mittwoch dann treten Grey's Anatomy und der FC Bayern München gegeneinander an. Und am Donnerstag dann gibt es folgendes ungleiches Duell: Wolfsburg und der HSV spielen in der Europa League, während zeitgleich Germany's Next Topmodel läuft.

Da fällt die Wahl doch leicht. Wer Heidi Klums Suche nach dem Nachwuchsmodel betrachtet, der muss erkennen, dass die zehn Gebote auch auf Germany's Next Topmodel anwendbar sind - im Dekalog der Heidi Klum.

Erstens: Du sollst keine fremden Götter neben mir haben!

Das fünfte deutsche nächste Topmodel nach Lena, Barbara, Jenny und Sara - die übrigens alle während der zahlreichen Werbeinseln zu sehen waren - möge sich auf Germany's Next Topmodel konzentrieren, nur auf Germany's Next Topmodel und auf nichts als Germany's Next Topmodel. Die Kandidatinnen werden von Casting zu Casting geschickt, wo sie von Designer Michael Kors erfahren, dass "eine Show von Michael Kors noch zu groß ist für euch".

Sie werden nach New York geschickt und von dort aus nach Los Angeles - in eine Villa, die der von Playboy-Gründer Hugh Hefner ähnlich sieht. Sie dürfen nicht zimperlich sein, wenn es darum geht, sich an ein männliches Model zu schmiegen. "Hoffentlich nichts mit Männern, weil ich da nicht so gut drin bin", sagt Kandidatin Hanna vor dem Shooting. "Ich weiß ja nicht, was mein Freund davon hält." Freund? Also bitteschön, liebe Möchtegern-Models: Wer in diesem Beruf erfolgreich sein will, der sollte keine Probleme damit haben, auch mal einen anderen Menschen zu berühren. Das sagte ihr dann auch Heidi Klum, die auch keinen anderen Star neben sich duldet.

Zehntens: Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Hab und Gut!

Damit sind vor allem all die anderen Castingshows in Deutschland gemeint. Germany's Next Topmodel ist die einzige Show, die es ernst meint mit den Kandidatinnen, die ihnen Jobs verschafft, die ihnen Verträge anbietet (mit Firmen, die meist mit Heidi Klum werben oder geworben haben). Da müssen sich Deutschland sucht den Superstar, Das Supertalent (beide RTL) und Popstars (Pro Sieben) hinten anstellen. Dass sich Pro Sieben erdreistet, während der Sendung tatsächlich für die neue Staffel der Popstars zu werben, darf als Blasphemie gewertet werden, obwohl es sich um senderinterne Crosspromotion handelt. Ob Günther Klum klagen wird?

Wie weit vorne Germany's Next Topmodel vor den anderen Castingshows liegt, fasst ein Klum-Meeedchen treffend zusammen. Sie meint zwar den Auftritt einer Konkurrentin, es passt aber wunderbar zum Gesamtkunstwerk. Sie sagte: "Schlecht ist immer noch besser als scheiße."

Zweitens: Du sollst den Namen Gottes nicht missbrauchen!

Heidi Klum ist der Star der Show - und damit das auch ja niemand verpasst, tritt sie erst spät leibhaftig auf. Nach Videobotschaften, Werbespots und Einspielern nimmt die Blond-Diva um exakt 21:18 Uhr - also eine Stunde nach Start der Sendung - Kontakt zu den "Meeedchen" (klumisch für Mädchen) auf. Das ist völlig in Ordnung, schließlich präsentierte Steven Spielberg seinen Zuschauern den weißen Hai auch nicht in den ersten Minuten.

Sie gibt den Möchtegern-Models Hinweise, sie lobt, sie kritisiert - vor allem aber zeigt sie stets, wer das absolut beste Model auf der ganzen Welt ist: Sie selbst! Läuft eines der Meeedchen ungelenk, dann zeigt Klum, wie man es besser macht. Hat ein Model Skrupel beim Fotoshooting, dann zeigt Super-Heidi, wie man skrupellos ist. Und wenn der Dreh eines TV-Spots ansteht, dann wird während der Werbepause gezeigt, wie wirklich supertoll Heidi im Film eines Haarspray-Herstellers wirkt.

Drittens: Gedenke, dass Du den Sabbat heiligst!

Mit diesem Gebot ist das Auftreten bei sämtlichen Aufträgen der Models gemeint. In dieser Sendung ging es nicht nur um ein Shooting mit einem Männermodel und das Casting für eine Fashion-Show, sondern auch um die Dreharbeiten eines Werbefilms für ein deutsches Bekleidungsunternehmen. "Bei TV-Spots ist man dreidimensional", warnt Heidi Klum ihre Jünger schon vorher per Einspieler - was durchaus für Panik sorgte. "Ich habe schon mal Theater gespielt", sagte Hanna. "Aber da konnte ich mich langsam in die Rolle hineinfühlen, das hier geht so schnell."

Nun, es war nicht Shakespeare, was die Kandidatinnen da vorführen mussten. Die Aufgaben im Werbespot: Schminken, Fahren in einer Limousine, Überqueren der Straße. "Da merkt man erst, dass es hart ist", merkt Kandidatin Leyla. "Es ist ein echt hartes Business." Wie man den Sabbat heiligt und auch in Fernsehspots genial aussieht, wurde dann sogleich in der Werbepause vorgeführt: von Heidi Klum. Ihre schauspielerische Leistung bestand im korrekten Aussteigen aus einem Flugzeug.

Viertens: Du sollst Vater und Mutter ehren!

Wie in jeder Staffel hat Heidi Klum ein paar Sidekicks engagiert, die sie selbst "die Dschüüüri" nennt - und weil in den vergangenen Staffeln der Möchtegern-Modelmacher Peyman Amin, Pausenclown Bruce Darnell und Rolf Schneider gegen ein anderes Gebot ("Du sollst keine fremden Götter neben mir haben!") verstoßen haben - nur Make-Up-Künstler Boris Entrup darf nach der Show noch Tipps geben - wurden sie ersetzt durch den aalglatten und stinklangweiligen "Q" sowie den Fotografen Kristian Schuller.

Sie dienen als Stichwortgeber für Heidi Klum und nicken immer brav, wenn der Star der Show etwas zu sagen hat. Ansonsten treten sie nur auf, wenn Heidi keine Zeit hat, sich den Kandidatinnen persönlich zu widmen - und erfüllen damit die Klumschen Kriterien, auch in der kommenden Staffel wieder dabei zu sein.

Fünftens: Du sollst nicht morden!

Dieses Gebot scheint nicht schwer zu befolgen - auf Germany's Next Topmodel bezogen bedeutet es allerdings: "Du sollst keine anderen Kandidatinnen mobben!" Freilich sind kleine Streitereien (eine Kandidatin sagt über die andere: "Hanna hat voll genervt!", eine andere: "Die soll mal die Fresse halten!") und auch Zickereien durchaus erwünscht - schließlich braucht das anschließend ausgestrahlte Magazin Red! Stars, Lifestyle & More einen Aufhänger. Der lautete in dieser Woche: "Wirbel um Kandidatin Louisa".

Ansonsten sollen sich die Laufsteg-Läuferinnen lieb haben, sie sollen sich gegenseitig trösten und vor der Entscheidung mit einem "Du kommst weiter", "Nein, Du", "Nein, Du" aufbauen. Dann sollen sie händchenhaltend vor Heidi Klum stehen und auf das harte Urteil der "Dschüüüri" warten. Wer allerdings rausfliegt, über den darf wieder ungeniert gelästert werden - wie über Louisa. "Die denkt immer, alle mögen sie - dabei haben sich viele von ihr ferngehalten", sagte eine. "Ich war froh, wenn die mal nicht im Raum war", urteilte eine andere.

Sechstens: Du sollst nicht ehebrechen!

Klar, der Freund! Obwohl bei einem anderen Gebot bereits klargestellt wurde (siehe "Du sollst keine fremden Götter neben mir haben!"), dass allzu viele Skrupel ein Model nun wirklich nicht weiterbringen, macht es sich in so einer Sendung prima, wenn die jungen Models keusch zu bleiben versuchen.

In dieser Sendung etwa ging es darum, sich in lasziven Posen mit einem männlichen Model zu zeigen. "Ich bin doch vergeben", sagt die eine. "Ich fühle mich unwohl", gab eine andere zu bedenken - obwohl alle beim Anblick des Männermodels wie Teenager mit Östrogenstau kreischten. Solche Nervenbelastungen steigern die Spannung und sorgen für Erheiterung, wenn Star Heidi Klum lustige Grimassen schneiden darf. Und außerdem liefert die Keuschheit einen zweiten Aufmacher für Red! Stars, Lifestyle & More: Das Magazin thematisiert die Grenzerfahrungen (auf Klumisch "Challengsch" genannt) der künftigen Models. Die lauten: Bodypainting und Shootings mit Tieren oder hübschen Männern.

Siebtens: Du sollst nicht stehlen!

Das ist eines der wichtigsten Gebote bei Germany's Next Topmodel. Denn es ist eine weitere Fortführung des Gebotes "Du sollst keine fremden Götter neben mir haben" und bedeutet, dass niemand, wirklich niemand Heidi Klum die Show stehlen darf. Das amerikanische Topmodel Tyson Beckford darf hübsches Accessoire sein, soll aber bitteschön die Klappe halten. Die Fotografen haben mit Heidi Klum zu schäkern und ansonsten zu tun, was die Dame des Hauses sagt. Gleiches gilt für die "Dschüüüri".

Und auch die Models mögen bitte nicht zu hübsch, nicht zu professionell und nicht zu sexy sein - denn hübsch, professionell und sexy ist allein Heidi Klum. Sie sieht perfekt aus, sie absolviert jeden Job perfekt und ist überhaupt die Allerbeste. Deshalb könnte dieses Gebot auch lauten: Du sollst Heidi lieben - aber um Heidis Willen niemals besser sein als sie.

Achtens: Du sollst nicht lügen!

Dieses Gebot befolgt vor allem Heidi Klum. Schonungslos sagt sie den Models ihre Meinung, auf dass die nur ja nicht zu selbstbewusst werden. "Du bist wie ein Brett gelaufen", erklärt sie einer Kandidatin. Eine andere kanzelt sie ab: "Du kannst Deine Mimik nicht richtig einsetzen!" Bei einem Fotoshooting sagt sie nur: "Ich bin gelangweilt!" Langeweile ist die Höchststrafe.

Ja, wer bei Germany's Next Topmodel mitmacht, der darf nicht nur keine Angst vor Grenzerfahrungen haben, sondern muss auch mit Kritik umgehen können. Denn nicht nur Heidi Klum kritisiert, sondern auch alle anderen. Der Designer Kors urteilt über ein Size-Zero-Model: "Der würde ein Fitness-Studio nicht schaden."

Neuntens: Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Frau!

Damit sind wir gemeint. Ja wir, die Zuschauer, die Woche für Woche einschalten - natürlich nicht, um uns über die Zickereien zu amüsieren und über die Grenzerfahrungen zu staunen. Nein, wir wollen wissen, wie es weitergeht und wer am Ende das nächste deutsche Supermodel wird. In dieser Sendung schied Louisa (die Brünette) aus, doch auf der Homepage der Bild-Zeitung wurde sogleich verkündet, welche fünf der nun 13 Verbliebenen es ins Finale schaffen werden.

Es sind: Hanna, Louisa (die Blonde), Laura, Alisar und Neele. Dass Heidi Klums Vater Günther gegen solche Indiskretionen nicht klagt - obwohl der sonst gegen fast alles klagt - hat vor allem einen Grund: Die Präsenz in Bild sorgt für höhere Einschaltquoten - denn natürlich schalten wir weiterhin ein, weil wir wissen wollen, ob es wirklich ausgerechnet jene fünf sind, die am Ende ins Finale kommen.

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