Germany's Next Topmodel sucht wieder nach dem hübschesten Nachwuchsmodel Deutschlands - und diesmal soll alles anders werden. Das wird es dann wohl auch:
Den unterhaltsamsten Satz des Abends liefert ausgerechnet eine Kandidatin, obwohl das Konzept der Sendung das so gar nicht vorsieht: "Da hat man alles gesehen, was man nicht sehen will", kommentiert eine Schöne angewidert das Bade-Outfit des irren Catwalk-Trainers. Ja, wir sind bei Pro Siebens Abendschreck Germany's Next Topmodel (GNTM) und klar, eigentlich ist hier die dreiköpfige Jury rund um Model-Mama Heidi Klum dafür zuständig, die Mädchen, ihre Körper, ihre Kleidung, ihre Makel, ihre "Personality" und, ganz wichtig, ihre "Attitude" zu kommentieren - und nicht andersherum.
Doch die diesjährigen Modelanwärterinnen sind anders. Die 16- bis 24-Jährigen haben schon fünf Jahre Zeit gehabt, Heidi Klum und ihre Nachwuchsfleischbeschau zu studieren, sich die Tricks und Kniffe ihrer Vorgängerinnen einzuprägen und die Psychologie der Sendung zu durchschauen. Deshalb wissen manche genau, was man von ihnen erwartet - und sehnen sich offenbar danach, diese Rolle auszufüllen. Andere sind, mit diesem Vorwissen ausgestattet, schlauer als die Jury erlaubt.
Diese hat ein neues Mitglied: Wären wir bei Bauer sucht Frau oder einer anderen Kuppelshow, hätte RTL ihm den Beinamen "Bernd, der lässige Beau" oder "Sebastian, der süße Single" gegeben. Bei Pro Sieben heißt er Thomas aus New York, ist als "Creative Director" betont nachlässig gestylt und ersetzt in der Jury den bisherigen Modelagenten Peyman Amin, der Heidi Klum zu stark geworden war. Peyman hat selbst längst eine eigene Model-Sendung auf Pro Sieben - und sein Nachfolger soll nun den machohaften Model-Checker mimen, den die sogenannten "Mädels" um den Finger wickeln müssen, um eine "Chance" zu erhalten.
Man nimmt es ihm nicht krumm
Der andere Neue heißt praktischerweise ebenfalls Thomas, ist Modedesigner und ersetzt "Rolfe" als drolligen Quoten-Homo, der die total verrückte Modewelt repräsentieren und gleichzeitig Herz zeigen soll. Mit Karo-Anzug und Nerdbrille ausgestattet, nimmt man es ihm nicht krumm, wenn er vom "tollen Dekolleté" einer Kandidatin schwärmt.
Und dann natürlich Heidi Klum. Sie hat die Haare wieder schön und spielt sich selbst: Sie ist streng, sie ist immer noch schön, sie ist die Model-Mama, die es aus dem kleinen Bergisch Gladbach in die große weite Modelwelt geschafft hat - und zurück nach München, wo die sechste Staffel ihrer Modelnachwuchssuche startet. Sie sagt "ihren Mädels", wo es langgeht und inszeniert sich einmal mehr wie die Königin der Modelwelt - doch diesmal muss alles ein bisschen anders sein, damit die Show nach dem Einbruch der Quote im vergangenen Jahr zeigt, dass sie sich "neu erfindet", wie Heidi Klum es ihren Zöglingen mantrahaft vorhält.
Es muss also ein "Weltrekord" her, gleich zu Beginn ("50 Mädchen laufen in einer Stunde 175 Kilometer") - und dieser Paukenschlag, so sehen es die Macher der Sendung wohl, ersetzt das langwierige Laufsteg-Casting der bisherigen Staffelstarts: Im Badeanzug und roten Pumps sollen die 50 bereits auserwählten Modelanwärterinnen auf Laufbändern leiden, stets begleitet von dramatischen Bildern geplatzter Blasen an Jungmädchenfüßen. Pro Sieben wirbt prompt direkt im Anschluss an die Sendung auf der Homepage mit den Worte: "So extrem war ein Staffelstart noch nie." Bleibt nach der Sendung nur noch die Frage: Extrem was?
Extrem lässig jedenfalls versucht sich Heidi Klum diesmal selbst zu inszenieren. Etwa als Kandidatin Marie-Luise, 21, Dita Von Teese ihr stilistisches Vorbild nennt. Prompt wird der Dunkelhaarigen aufgetragen, sich dann gefälligst auch wie ihr Vorbild zu benehmen, sich zu räkeln, ihre Körpersprache der Striptease-Tänzerin anzupassen. Als ihr das wundersamerweise nicht so recht gelingen will, präsentiert die dreiköpfige Jury ihre Fassungslosigkeit in allen Einzelheiten, macht sich über die Kandidatin lustig, wie es sich sonst nur Dieter Bohlen erlaubt - und schon ist die zweite Kandidatinnenschublade geöffnet und "das Opfer" gefunden, auf das sich Heidi Klum stürzen kann.
Das passt in diese schöne Welt
Sie schüttelt ihr Haar, sie kann es nicht fassen, der Satz "so etwas habe ich noch nie erlebt" wird gleich vierfach eingespielt, unterlegt mit lustigen Quietschgeräuschen zu ungelenken Kopfbewegungen der Kandidaten. DSDS grüßt GNTM. Das Versprechen vorab, die Kandidatinnen sollten diesmal neben Schönheit und Unterwürfigkeit auch Sozialkompetenz zeigen, führt die Modelmama gleich in der ersten Folge also höchstpersönlich ad absurdum.
Da passt es nun auch in die schöne Welt, dass eine vielversprechende Kandidatin während der Aufzeichnung an Lymphdrüsenkrebs erkrankt. Strahlend berichtet sie vor der Kamera, den Kopf an einen Baum gelehnt, sie habe den Kampf gegen die Krankheit aufgenommen. Nun müsse sie leider erst einmal ausscheiden, aber mit der tollen Aussicht, beim nächsten Mal wieder dabei sein zu dürfen, werde dieser Kampf für sie leichter. Man ist ein wenig fassungslos, wie mühelos eine solch schwere Diagnose in die Sendung eingebaut wird.
Schwups geht es weiter mit lustig strauchelnden Nachwuchsmodels, und es erinnert ans Dschungelcamp, wenn die Kandidatinnen über nicht befestigte Laufstege schwanken, in vierfacher Wiederholung von der Treppe plumpsen - doch da kommt schon die eine, die für die Jury alles richtig macht: Rebecca strahlt, sie schreitet festen Schrittes voran, sie sprüht vor Energie, sie ist wunderschön, die 19-Jährige kann im Gegensatz zu allen anderen laufen. "Ein Hammerauftritt" wird ihr sodann bescheinigt - und man kann getrost für die nächsten Folgen ausschalten: Wenn alles mit Klum'schen Dingen zugeht, sind die drei Top-Kandidatinnen schon gefunden.
Mit diesem Neustart hat Heidi Klum sich keinen Gefallen getan. Willkommen in der untersten deutschen Casting-Schublade.