TV-Kritik: Film über Weizsäcker:"Das Genieren hört nie auf"

In Für immer Präsident präsentiert Sandra Maischberger einen bestens aufgeräumten Richard von Weizsäcker. Über zwei Jahre begleitete sie den bald 90-Jährigen - und nervte nur manchmal.

Bernd Graff

Welche bedeutenden Politiker hat die Bundesrepublik Deutschland hervorgebracht - die alte wie die wiedervereinigte? Es gab und gibt Machtpolitiker, Typen, Funktionäre, Witzfiguren, verkappte Lobbyisten, Spießer, Überflieger und, ja, auch ein paar Genies.

Aber bedeutend, wirklich bedeutend und auch international angesehen sind wenige, sehr wenige: Heuss, Adenauer, Erhard fallen einem ein, Brandt natürlich und auch Helmut Schmidt. Und so erstaunlich es klingen mag: Nicht etwa Helmut Kohl, der Machtpolitiker und Kanzler der Einheit, kommt in Erinnerung.

Perfekt bis auf den Titel

Es ist Richard von Weizsäcker, der Bundespräsident, der 1985 mit seiner Rede zum 8. Mai 1945 nicht nur die nationale Erinnerungskultur der Bundesrepublik zugleich gefestigt wie neu begründet hat, sondern auch im Ausland höchste Beachtung und Respekt erfuhr. Richard von Weizsäcker also, der stille Moralist, sei bedeutender als Kohl oder Franz Josef Strauß?

Ja. Nicht größer, aber bedeutender.

Diesen Eindruck gewinnt und festigt man, wenn man Sandra Maischbergers Film für den NDR Richard von Weizsäcker - Für immer Präsident gesehen hat, ein anderthalbstündiges Porträt, das Maischberger und Jan Kerhart im Laufe von zwei Jahren aus Material zusammengestellt haben, das bei zahlreichen Besuchen, als Begleiter Weizsäckers auf dessen Reisen und in Interviews mit ihm entstand.

Ein perfekter Film anlässlich des 90. Geburtstag Weizsäckers, den der Altbundespräsident am 15. April 2010 begehen wird. Perfekt - bis auf den Titel. Denn der Denker, Christ, Ehemann, Familienvater, Kirchentagspräsident und Frontsoldat des Zweiten Weltkriegs ist eben nicht "für immer Präsident" - allein deswegen nicht, weil gerade Weizsäcker wohl darauf verweisen würde, dass das Präsidentenamt in einer Demokratie immer nur auf Zeit vergeben wird.

Die Person Richard von Weizsäcker ist viel zu bescheiden und zu klug, außerdem viel zu wenig jovial, um mit dem Ticket "Ewiger Präsident" auch weiterhin durch unsere Wahrnehmung tingeln zu wollen - etwa als Rauner und Mahner zu tagespolitischen Themen.

Und vermutlich ist er auch zu wenig volksnah, um sich als Grußonkel etwa aus Fernseh- oder Talkshows heraus immer wieder aufzudrängen.

Dabei ist er, und das dokumentiert dieser Film wirklich hinreißend, ausgesprochen witzig, charmant und auch leger. Und oft auch ein wenig verstockt, wenn der ehemalige Kirchentagspräsident etwa keine Lust hat, vor laufender Kamera die Motive seines Glaubens auszubreiten oder der Ostfront-Soldat über seine Form der Bewältigung von Krieg und Niederlage.

Über seinen Widerstand gegen Hitler will er nur das Nötigste berichten und sträubt sich auch, die Verteidigung seines Vaters, Ernst von Weizsäcker, während der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse erneut aufzurollen. Er sagt dann etwa: "Dazu habe ich jetzt alles gesagt, was ich dazu sagen werde."

Auf der nächsten Seite: "Er ist wie ein Fahrrad."

Wenn Maischberger, die ab und zu mit ihm im Bild zu sehen ist und die sich in seiner Gegenwart erkennbar wohl fühlt, dann trotzdem nachhakt, antwortet er nur: "Wenn Sie weiterkommen wollen, fragen Sie etwas anderes."

Das Prinzip dieses Films ist - neben der erwartbaren Schau von Archivmaterial, das sein Leben und seine politisch aktive Zeit dokumentiert, und den Zeitzeugenbefragungen - die weiterlaufende Kamera vor und nach Standardsituationen.

Etwa dies: Weizsäcker wird geehrt. Die Kamera hält dabei nicht die Dankesrede fest, sondern zeigt, wie der 88-jährige Weizsäcker den elf Jahre jüngeren Michail Gorbatschow in den Festsaal schiebt und dabei auf Deutsch zu ihm sagt: "Geh einfach rin hier!"

Oder sie zeigt, wie sich Weizsäcker auch heute noch über Helmut Kohl ärgert, indem sie seine auf die Knie geschlagenen Hände fokussiert hält, nachdem er schon ausgesprochen hat.

Von Beruf Zeitzeuge

Der auch hier staatstragend rauchende Sozialdemokrat Helmut Schmidt, kein Parteifreund des Unionspolitikers Weizsäcker, der ihm aber menschlich wesentlich näher steht als etwa Kohl, der ihn entdeckte, förderte und als Bundespräsident durchbrachte, charakterisiert ihn als jemanden, der "unter den bisherigen Bundespräsidenten herausragt.

Er kann zum Volk reden und gleichzeitig doch einen Saal voller Professoren fesseln." Von Frau Maischberger danach gefragt, welchen Beruf er denn nun eigentlich ausübe, antwortet er: "Ich bin von Beruf Zeitzeuge. Das ist ganz schön anstrengend."

Dennoch, und das ist ein großes Verdienst, dokumentiert der Film Weizsäcker eben nicht nur als leisen und weisen Staatsmann und Mitglied einer bedeutenden Familie, die seit Generationen Bildung, Leistung, Liberalität und Staatstreue verpflichtet ist.

Man sieht ihn etwa im Doppelinterview mit seiner Frau Marianne, das die beiden als auch miteinander kabbelndes und bestens eingespieltes Lebensehepaar zeigt. Außerdem wird er durchaus heiter beschrieben von seinen vier Kindern sowie von Schmidt, Kissinger und Gorbatschow.

Am treffendsten aber charakterisiert er sich selber. Indirekt, wenn er im Haus des deutschen Botschafters in Warschau anmerkt: "Offensichtlich werden Sie besser mit Kunstleihgaben bestückt als das Bundespräsidialamt." Oder direkt, wenn er fast 90-jährig in Bayrischzell auf Langlaufskiern erklärt: "Das mit dem Genieren - das hört nie auf."

"Er hat uns alle befreit"

Natürlich wird sein Wirken als Westberliner Bürgermeister gedeutet, der als erster offiziell Ostberlin besucht hat, an seine Präsidial-Schelte wird erinnert, nach der Parteipolitiker "machtversessen und machtvergessen" seien, und die berühmte Rede zum 8. Mai 1945 wird natürlich auch noch einmal ausführlich zitiert.

Bis dahin sprachen die Deutschen von Kapitulation und Kriegsende. Seit dieser international hochgelobten und vielbeachteten Rede Weizsäckers wissen sie, dass der 8. Mai ein Tag der Befreiung war. "Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft."

Und natürlich wird Weizsäcker gewürdigt als Mann, "der die besten Werte seines Landes repräsentiert" (Kissinger).

Am überraschendsten aber beschreibt ihn sein Sohn, Fritz von Weizsäcker: "Vater ist immer beschäftigt. Er ist wie ein Fahrrad - wenn es nicht fährt, fällt es um."

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