TV-Kritik: Fashion & Fame, Model-WG, Satire Gipfel:Des Kaisers neue Kleider

Dieter Nuhr ersetzt Mathias Richling, ein Designer spielt Heidi Klum - und die Topmodel-WG speist sich auch nicht mehr aus Klum'schen Sprösslingen. Wie macht sich das neue TV-Personal am Donnerstag?

Ruth Schneeberger

Man sollte meinen, Deutschland sei inzwischen komplett durchgecastet worden - doch es finden sich immer noch Einzelne und sogar ganze Berufsfelder, die sich vom Fernsehen gewinnbringend vermarkten lassen. So auch am Donnerstagabend in der neuen Show Fashion & Fame - Design your Dream! auf Pro Sieben, mit der Heidi Klums deutscher Haussender die Sendung kopiert, mit der das German Topmodel im US-TV berühmt wurde (Project Runway).

Fashion Fame

Bei Pro Sieben sucht man wieder: In einer neuen Show will Philipp Plein den besten Nachwuchsdesigner finden.

Das Konzept ist schnell erzählt: Sieben Nachwuchsdesigner im Alter von 19 bis 33 Jahren sollen in sechs Folgen von Designer Philipp Plein (wegweisend in schwarzem Sakko und Jeans) und unter den gestrengen Riesenaugen von Modedozentin Emma Brown dazu angeleitet werden, für ein frisch gebackenes Label namens "GoldCut" zu Gunsten des Designers, des Senders und des Sponsors Otto Mode zu entwerfen. Die Abläufe in der Sendung sind dabei fast identisch mit denen von Heidi Klums Germanys Next Topmodel, kurz GNTM - abgesehen davon, dass die Jungdesigner sich im Gegensatz zu den Möchtegern-Models nicht ausziehen müssen. Zumindest nicht in der ersten Folge.

Stattdessen treten sie miteinander in "Competition", wie sich der 32-jährige Plein nicht entblödet zu betonen, um dabei exakt dieselbe Wortwahl zu benutzen wie Heidi Klum und Kollegen bei Pro Siebens GNTM: "Am Ende kann nur einer gewinnen."

Wie bei solcherlei Unterhaltungsformaten üblich, wurden die Kandidaten dergestalt gecastet, dass für jeden Publikumsgeschmack etwas dabei zu sein verspricht: Die "rebellische Außenseiterin" evoziert Konfliktpotential mit der Jury, das Ex-Model, das sich von seinen Eltern eine Boutique sponsern lässt, wird schon in der ersten Folge per Arzteinsatz der Drückebergerei entlarvt ("Du hast keine Lungenentzündung, sondern eine normale Erkältung") - und das "niedliche Küken" in der Runde würde auch RTL-Caster Dieter Bohlen gut gefallen.

Am Ende der ersten Sendung gewinnt die 19-jährige Schneiderstochter unter Tränen und das 33-jährige "Ost-Mädchen" muss sein frisch kreiertes T-Shirt vor den Augen der Kollegen verbrennen. Es war nicht massentauglich genug. Die drei männlichen Nachwuchskräfte bleiben, bis auf einen extrem gefühlsbetonten Modeschulenabsolventen, im Hintergrund.

Ein etwas gruseliger Promi-Gast

Der mintgrüne One-Shoulder-Entwurf der Gewinnerin hingegen wird direkt im Anschluss der Sendung auf der Pro-Sieben-Homepage über den Otto-Versand beworben und unter dem Namen "Göttin" für 39 Euro verkauft - praktischerweise trägt Pro-Sieben-Moderatorin Annemarie Warnkross im Anschluss in der Red-Carpet-Sendung Red! das gute Stück auch schon mal, während sie den Beitrag über Philip Plein und seine guten Verbindungen zum internationalen Jetset anmoderiert, zu dem Persönlichkeiten wie der französische Präsidentensohn Pierre Sarkozy und die US-Schauspielerin Mischa Barton gehören, die die Fashion-and-Fame-Sendung selbst noch in unterschiedlichen Funktionen beehren werden.

Etwas gruselig auch der Promi-Gast der ersten Stunde: Popsternchen Aura Dione als furchterregend schwarzes Gesamtkunstwerk mit dem unvermeidlichen Leopardenlook am Bein. Stil sieht anders aus - vor allem auch deshalb, weil Philip Plein als Gastgeber rein äußerlich doch sehr an den Wendler erinnert.

Das Personal ist also austauschbar - dachte man sich bei Pro Sieben auch für die nachfolgende Sendung: die Model-WG. Wie im Jahr zuvor leitet Modelagent Peyman Armin die Sendung, der sich inzwischen mit seiner ehemaligen Chefin aus GNTM überworfen haben soll - doch die Nachwuchsmodels, die er bei sich einziehen lassen möchte, sind nicht mehr länger Altkandidaten aus der Klum-Show, sondern unvorbelastete Nachwuchstalente aus dem echten Modelleben. Das macht die Sendung zwar weniger Klatsch- und-Tratsch-freudig, dafür aber etwas frischer:

Abgesehen von Uma Thurmans Patentochter, die als "New Face" bezeichnet wird, dazu aber noch sehr viel Schminke braucht, haben alle Kandidatinnen bereits eigene Erfahrungen auf Castings gesammelt - und sind nebenbei als Fußballspielerin und in der Autowaschanlage tätig, wollen unbedingt nach New York, solange sie nach eigenen Angaben noch attraktiv sind, oder kommen aus Rumänien und wollen ihre Familie unterstützen, die vom Fernsehen beim Einnehmen von Hausmannskost gefilmt wird. Bleibt also alles beim alten, nur diesmal ohne den Einfluss der gefürchteten Model-Mama.

Wer sich als abendlicher Fernsehzuschauer durch diese beiden eindrucksvollen Belege dafür gekämpft hat, dass dank Castingwahn nach der Musikindustrie nun auch die Modeindustrie zum öffentlich entfesselten Marketingzirkus mutiert und sowohl Kunst als auch Anspruch dringend andere Wege gehen müssen, der hätte sich eigentlich auf eine Sendung freuen können, die das Gegenteil verspricht: Unterhaltung, bei der der Zuschauer noch selber denken darf. Doch auch der Satire Gipfel in der ARD wurde von diesem Donnerstag an personalbereinigt - und der oberste Wutbürger Mathias Richling durch einen Mann ersetzt, von dem bei so manchem nur ein Satz bekannt ist: "Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten."

Der George Clooney des Kabaretts

Nun kann man nicht behaupten, diese Aussage stimme nicht, oder Dieter Nuhr sei ein schlechter Entertainer. Für einen Comedian ist sein Kabarett-Programm sogar recht tiefschürfend, wofür er auch schon ausgezeichnet wurde, als bisher Einziger sowohl mit dem deutschen Kleinkunstpreis für Kabarett als auch mit dem deutschen Comedypreis. Seitdem gilt er als Vermittler zwischen dem klassischen Kabarett und der Stand-up-Comedy.

Aber es ist eben doch etwas anderes, ob einer wie Richling hinter komödiantischer Maske scharfe Kritik am politischen System und seinen Akteuren versteckt - oder ob der George Clooney des deutschen Kabaretts in gemächlicher Form darüber aufklärt, dass die Deutschen Weltmeister im Meckern seien und eigentlich mit der Regierung doch gerade ganz zufrieden sein könnten, wo sie schon aus einem Schwulen, einem Behinderten, einer Ostdeutschen, einer siebenfachen Mutter, einem Waisenkind mit Migrationshintergrund und einer Schwangeren bestehe. Der Witz ist so alt wie die Regierung und nur durch die aktuelle Lage von Kristina Schröder ergänzt.

Die meisten seiner Gastkollegen folgten brav dem Umschwung zur neuen Mitte: Allen voran Chansonette Tina Teubner, die sich mitten im Dioxinskandal über Reformhausmitarbeiterinnen lustig machte ("Man kann sich doch nicht ernsthaft in jemanden verlieben, der Brottrunk trinkt"), dicht gefolgt von Bild- und Pocher-Freund Matze Knop, der Witze über Dieter Bohlen riss. Nur Andreas Rebers mit einem bösen Lied über Afrika, die Pharmaindustrie, den Fußball und das Afrika-Bild im Fernsehen (Waka, Waka) brachte die neue Linie ins Wanken - zusammen mit dem Österreicher Alfred Dorfer, der sowohl über die Linkspartei als auch über sich selbst in Form eines "liberalen Arschlochs" wetterte, das nach allen Seiten offen sei und schon so manche Revolution finanziert habe.

Insgesamt fiel das Wort "Arschloch" erstaunlich oft dafür, dass der besonnene Nuhr etwas gegen den Wutbürger an sich zu haben scheint - er selbst scheint sich mit seiner neuen Rolle und dem Saalpublikum auch noch anfreunden zu müssen, für das er schnell ein paar Westerwelle-Witze einstreute, wenn es zu lange nicht gelacht hatte. Ob das Kabarett-Fernsehpublikum die Entscheidung der ARD, die klare Linie des Richling durch die ausgleichende Form des Nuhr zu ersetzen, goutieren wird - das bleibt abzuwarten. Aber gutes Personal ist ja so schwer zu finden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: