TV-Kritik:Eine Folge von Köln

Erstmals nach viereinhalb Jahren moderiert Anne Will wieder auf dem Sendeplatz am Sonntagabend. Auch wenn man beim Einstand den Eindruck haben konnte, jemand ganz anderer sei bei der Show der Gastgeber.

Von HANS HOFF

Es ist möglicherweise keine gänzlich dumme Idee, in einer Talkshow, die das Wochenende beschließt, ein Thema auszuwählen, das sich innerhalb einer Stunde erhellend erörtern lässt. Man könnte klug einen Schwerpunkt setzen, vor allem, wenn schon von fast allen zu fast allem fast alles gesagt wurde. Man könnte den Kern einer Debatte freilegen und sich dann darüber streiten.

Anne Will hat sich bei ihrer Rückkehr auf den Sendeplatz am Sonntag für das komplette Gegenteil entschieden. So, als habe sich in den vergangenen Tagen noch niemand dazu geäußert, setzte sie "Nach Köln - Höchste Zeit für eine neue Flüchtlingspolitik?" als Überschrift fest. So schwammig wie das Thema klang, fiel dann auch die Sendung aus.

Sah es zu Beginn noch so aus, als könne Will all den von Günther Jauch in den viereinhalb Jahren ihrer Abstinenz hinterlassenen Staub vom Sonntagssendeplatz pusten, so verflog diese Hoffnung schneller, als aufgrund der für die Rückkehrerin verteilten Vorschusslorbeeren anzunehmen war.

Zu Beginn trat die Gastgeberin überraschend aggressiv auf, warf die These in den Raum, Kanzlerin Merkel trage die Schuld an Köln und an allem anderen wie etwa einem doppelten Staatsversagen auch. Aber rasch gab sie ab an Kanzleramtsminister Peter Altmaier, der streckenweise wirkte, als sei er der Moderator. Er redete los und hörte nicht mehr auf. Brav betete er die Politik seiner Chefin in den Erfolg, vermied jeden Hinweis auf eigenes Wirken und verwies den Rest der Gästeschar auf die billigen Plätze. Die Politologin Gesine Schwan, der Autor Ahmad Mansour und der Welt-N24-Chef Stefan Aust durften zwar zwischendrin etwas sagen, zu hören war aber vornehmlich Altmaier, der mit seinem schier grenzenlosen Optimismus wirkte, als versuche er alle Anwesenden im politischen Spektrum links zu überholen.

Das eine oder andere Mal versuchte wenigstens Aust, der zwar Forderungen erhob, aber zwischendrin den bemerkenswert kryptischen Satz "Ich will überhaupt nichts - ich bin Journalist" absonderte, dem raumgreifenden Sitznachbarn in die Parade zu fahren. Er hielt Altmaier Flüchtlingszahlen vor, die jener dementierte. Wer recht hatte, blieb nebulös, weil sich die Gastgeberin heraushielt. Offenbar ist die Redaktion einer deutschen Talkshow überfordert mit der Aufgabe, auch mal spontan Belege zu prüfen. Etwa 4,4 Millionen sahen trotzdem zu.

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