TV-Kritik: DSDS:Karaoke und Kraftausdrücke

Deutschlands einst erfolgreichste Castingshow scheint sich selbst überdauert zu haben. Neben Bohlen als Parodie seiner selbst ist nur die neue Generation der bald Vergessenen zu sehen.

Hans Hoff

Wenn Moderator Marco Schreyl schon zu Beginn der Sendung wie ein drittklassiger Marktschreier "Hier ist das Original" brüllt, wird Skepsis zur Bürgerpflicht. Muss sich die erfolgreichste Castingshow im deutschen Fernsehen inzwischen so plump ranschmeißen? Muss sie am Schluss die Verkündung der Zuschauerentscheidung so endlos dehnen, dass erst um Mitternacht klar ist, wer an der nächsten Mottoshow nicht mehr teilnehmen darf, nämlich Ines Redjeb? Hat die Show das nötig? Souverän klingt auf jeden Fall anders.

Es wirkt, als habe ProSieben-Star Stefan Raab mit seiner Suche nach einem Star für Oslo durchaus Verunsicherung bei den Showstrategen der Konkurrenz gesät. Auf jeden Fall hat Raab noch einmal deutlich gemacht, dass es bei RTL zu keiner Zeit um die Musik geht, dass vielmehr die Vortäuschung einer Talentsuche in Seifenoperform präsentiert wird. Samstags öffnet der Kommerzsender seine Puppenstube, und heraus treten lauter Barbies und Kens. Was sie von sich geben, klingt von wenigen Momenten abgesehen, so seelenlos und künstlich, dass man den Eindruck nicht loswird, man schaue der nächsten Generation von demnächst Vergessenen beim öffentlichen Vermodern zu. Schön an dieser Show ist allein die Sicherheit, dass sie vorübergeht.

Gab es bei früheren Staffeln noch Akteure, denen man unbedingt eine glorreiche Zukunft wünschte, weil ihre Stimmen oder ihr Auftritt faszinierten, so sind bei dieser Staffel vornehmlich solche Typen am Start, die man aus den am Nachmittag das Programm vermüllenden Pseudo-Dokus zu kennen glaubt. Großmäuler treffen sich da mit Vortäuschern und Dilettanten mit Minderleistern. Bei der Mottoshow "80er Jahre" kam das am Samstag kaum über das Niveau einer schwer beschwipsten Karaoke-Veranstaltung hinaus. Da legte etwa Kandidatin Kim Debkowski eine gruselig wackelige Version vom Bangles-Hit "Eternal Flame" hin und wurde dafür vom Chef der Sendung auch noch belobigt. "Ziemlich gut gesungen" urteilte Dieter Bohlen, den man dafür gerne mal an einen Akustiker überweisen würde.

Oszillation zwischen Sack, Scheiße und Arsch

Vielleicht hört die Jury danach auch mal wieder, was sie so von sich gibt. Da prahlt Bohlen, er sei 1983 "'ne Wurst" gewesen, habe sich aber längst nicht so oft "an den Sack gefasst" wie Kandidat Menowin. Außerdem habe er in seinem Leben schon viel einstecken müssen. "Ich stand manchmal so", sagt er und deutet dann mit erhöhter Hand an, dass ihn etwas überragte: "Da stand die Scheiße oben drüber." Juror Volker Neumüller schließt indes schnell zu ihm auf. "Ich würde sagen: Leck mich am Arsch", lautet eines seiner Urteile. Das ist sie wohl, die neue DSDS-Welt. Sie oszilliert zwischen Sack, Scheiße und Arsch. Willkommen auf RTL-Niveau.

Halbwegs gerettet wird die ganze Angelegenheit inzwischen nur noch von der überaus opulenten Inszenierung. Die Bühne ist eine optische Sensation, das Licht überragend, die Regie vorbildhaft. Die Einspielfilme haben Tempo, sind rasant geschnitten und kosten die handelsüblichen sozialen Fehltritte der einzelnen Kandidaten bis zur Neige aus.

Der Versuch, einer Plastikkuh Frischmilch abzuzapfen

In Sachen Fehltritt liegt Kandidat Menowin Fröhlich mit seinen Gefängnisaufenthalten und seiner problematischen Familiengeschichte natürlich ganz vorne in den DSDS-Seifenoper-Charts. Ironischerweise ist genau der gewichtige Sozialversager der einzige, den man noch ohne rot zu werden als Künstler bezeichnen könnte. Er schafft sich bis zur Erschöpfung, er singt seinen Michael-Jackson-Part recht ordentlich, und er wirkt auf seine Art wie ein Einmanndrama. Möglicherweise ist es größtenteils ihm zu verdanken, dass die Quoten dieser Show immer wieder in den Erfolgsbereich pendeln.

Bohlen, eine komplett überdrehte Parodie seiner selbst

Das kompensiert indes nicht die vorwiegende Vortäuschung von Talent. Der Versuch, dieser Veranstaltung so etwas wie künstlerische Bedeutung beizumessen, gleicht dem Bemühen, einer Plastikkuh in der Fußgängerzone Frischmilch abzuzapfen. Dazu kommt das Komplettversagen der Juroren, die Kritik nur noch simulieren und als Effekt einsetzen, unabhängig vom Objekt der Begutachtung. Dieter Bohlen wirkt dabei nur noch wie eine komplett überdrehte Parodie seiner selbst, und manchmal scheint es gar, als spule er lediglich ab, was er vor Jahren mal auf seiner mentalen Festplatte hinterlegt hat. Wie lange das gut gehen kann, muss sich zeigen. Derzeit hinkt DSDS jeder früheren Form schwer fußlahm hinterher und zehrt größtenteils vom einstigen Ruf. Oder um es mit einem Bohlen-Spruch vom Samstag auszudrücken: "Das ist die Scheiße, das ist immer wieder die Scheiße."

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