TV-Kritik: DSDS:Deutschland erträgt die Superlangeweile

Am Ende gewann der romantische Biedermann gegen den stiernackigen Rabauken das von RTL inszenierte "Duell der Erzfeinde".

Rupert Sommer

Geschafft! Ein Glitzerschnitzelregen ergießt sich über den neuen Superstar und künstlicher Nebel wabert wie isländische Vulkanasche zum letzten Mal über die Bühne. Mehrzad Marashi, der mit 56,4 Prozent der abgegebenen Stimmen zum Schluss selbst überraschte Gewinner von Deutschland sucht den Superstar, singt noch einmal das Siegerlied "Don't Believe".

Menowin Fröhlich kann all das nicht glauben. Zuvor hatte ihn die Jury klar favorisiert. Nach eigenem Bekunden wollte er nicht gewinnen - er musste es. Nun verschwindet er schwer gezeichnet im Dunkel der Seitenbühne. Und Dieter Bohlen grinst wie ein Honigkuchenpferd.

Unterhaltungswert einer Kirmesboxveranstaltung

Um halb ein Uhr nachts wirkt nichts so erlösend wie der Abspann der Sendung - nach einer Staffel, die von einer originellen Casting-Phase, Mottoshows mit streckenweise hochprofessionellen Sängern und in der Finalshow vom Unterhaltungswert einer Kirmesboxveranstaltung geprägt war.

Martialisch aufgebauscht zum "Duell der Erzfeinde", zum "Kampf Mann gegen Mann" und zur "Show, die die Nation wieder teilt", war das Schlusswettsingen zwischen den einstigen Freunden, die - mit etwas Unterstützung durch die Boulevardpresse - als unversöhnliche Gegner dastanden, in etwa so erfreulich wie eine längere Wurzelbehandlung.

Dem schlacksigen, stimmlich stets souveränen Mehrzad kam spätestens seit seinem Heiratsantrag an Freundin Denisse im Halbfinale die Rolle des romantischen Biedermanns zu.

Menowin musste bis zum Schluss den stiernackigen Rabauken spielen, der sich in der Finalsendung sogar mit seiner Mutter versöhnte. Das lag aber daran, dass sie ihm vor laufender Kamera entgegenkam: "Bitte verzeih mir, was ich dir alles angetan hatte", sagte Silvia Fröhlich. Sohnemann Menowin konterte trocken: "Entschuldigung angenommen."

Nur, wer entschädigt die stoischen Fans für die Torturen der Abschlusssendung? Kaum ein Zuschauer, der nicht wissen wollte, wer sich zum Ende Superstar nennen durfte.

Aber ebenso wenig dürfte es einen Zuschauer gegeben haben, der auf dem langen Weg bis zur DSDS-Entscheidung nicht hundert Mal Marco Schreyl und die penetrante Wiederholung des Ewiggleichen - der Anrufnummern, der drei präsentierten Songs, der wohlbekannten verkorksten Lebensgeschichten - verflucht hat.

Zu Beginn äußerte Dieter Bohlen marktschreierisch, dass seine Show tatsächlich die Sendung sei, über deren künstlerischen Gehalt landauf und landab Sechsjährige mit ihren Opas diskutieren. Sollte er damit recht haben, dann möchte man nur hoffen, dass Minderjährige und Greise weit nach Mitternacht nicht wirklich vor dem Fernsehgeräten hängen geblieben waren, sondern sich im Schlaf für Wichtigeres stärkten.

"Deutschland erträgt die Superlangeweile" war jedenfalls die Devise des Abends.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie eine Niederländerin mit unfreiwilligem Wortwitz den Unterhaltungswert des Abends steigerte.

"Ich bekomm' ein Weichei."

Dennoch bot auch dieser Fernsehabend wieder Gelegenheit, sich mit allerlei Fragen zu beschäftigen - etwa derjenigen, ob Marco Schreyl noch sehr häufig nachts schweißgebadet aufschrecken wird - nur um die Endziffern -01 (Mehrzad) und -02 (Menowin) herauszuschreien? Oder was wohl in Nina Eichinger vorging, die wegen der isländischen Flugasche in Los Angeles festsaß und spontan von Silvie van der Vaart ersetzt wurde, die dank Supertalent und Let's Dance fest in die RTL-Familie integriert ist?

Die blonde Holländerin passte nicht wirklich zu den Garnier-Beauty-Spots, die in den zahlreichen DSDS-Werbepausen immer wieder fragten, wie wunderschön gerade Nina Eichinger ausgesehen habe. Als drittes Jurymitglied hatte Silvie van der Vaart in der letzten Sitzung, in der ausschließlich das Anrufergeld abgerufen werden sollte, ohnehin wenig zu tun - das gelang ihr aber äußerst charmant. Mit grammatikalisch-semantisch fragwürdigen Sentenzen sorgte sie für skurrile Auflockerung im ansonsten bierernst um Freundlichkeiten bemühten Jury-Parlando.

Songs in Kraut-Englisch

Nach Menowins Romantik-Song "That's What Friends Are For" von Dionne Warwick, den er samt eines weißgekleideten Jugendballetts schmalzig inszeniert hatte, sagte sie doch tatsächlich: "Stell ein paar Kinder auf die Bühne, und ich bekomm' ein Weichei." Was genau sie damit meinte, erschloss sich nicht auf Anhieb. Ein Kompliment war es in jedem Fall.

Dennoch befand sie sich mit nett klingendem Kauderwelsch in guter Gesellschaft: Fast jeder Englischlehrer hätte nämlich einem etwas jüngeren Dieter Bohlen die Textpassage "Don't believe what they TELL about you" rot angestrichen, weil sie schlicht unidiomatisch klingt. "What they SAY about you" wäre eine Formulierung, die über jeden Kraut-Englisch-Verdacht erhaben geblieben wäre.

Doch die Dieter-Sprache folgt bekanntlich eigenen Gesetzen, was noch einmal eindrucksvoll verdeutlicht wurde: In keiner anderen Sendung hätte man so viel Geld verdienen können, wenn man sich rechtzeitig den inflationären Gebrauch der offenbar einzig denkbaren Casting-Phrasen "geil", "megahart", "hammermäßig" oder alle weiteren Kombinationen dieser Grundbausteine markenrechtlich hätte schützen lassen. Gelobt werden Künstler ausschließlich fürs "Abliefern" einer Performance - und verdienen sich dafür natürlich wieder mindestens "100.000-prozentigen Respekt" (O-Ton Volker Neumüller).

"Nach der Staffel ist vor der Staffel", lautete die Drohung, mit der Marco Schreyl nach einer langen Nacht die verbliebenen DSDS-Fans in die Superstar-Pause entließ. Für Bohlen, den der Moderator sogar scherzhaft als "kleine Mistkrampe" verabschieden durfte, klingeln jetzt jedenfalls erst einmal die Kassen. Dass "Don't Believe" ein Hit wird, lässt sich kaum anzweifeln. "Ich fahr jetzt in Urlaub", sagte der Poptitan zum Schluss. "Und Ihr könnt mich alle mal."

Selten war Kommerzfernsehen so ungekünstelt ehrlich.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: