TV-Kritik: Deutschland sucht den Meisterkoch:Bis alle weinen

Eine neue Castingshow mit Spitzenkoch Tim Raue sucht den besten Hobbykoch der Republik. Sie setzt dafür auf bewährte Rezepte aus Omas Kochbuch - und auf zentnerweise Zwiebeln.

Lena Jakat

Man nehme 150 aufgekratzte Kandidaten, eine nach bewährter Rezeptur zusammengemischte Jury, füge den passenden Traumjob hinzu und voilà - fertig ist eine neue Castingshow. Eine besonders schmackhafte Beilage zu hoffentlich ausgezeichneten Quoten, dachte Sat 1 und sucht nun, wie immer im Namen der ganzen Republik - nicht Model, Talent oder Star, sondern den Meisterkoch.

Meisterkoch sat1 Kochshow Casting

Bis alle weinen: Auf dem Weg zum Meisterkoch muss jeder erst einmal Zwiebeln schneiden. Die Kandidaten in der Castingshow mussten das gleich zentnerweise.

(Foto: sat 1/Willi Weber)

Mit Deutschlands Meisterkoch holt die Pro-Sieben-Sat-1-Familie im Castingshow-Boxring zum Zweitschlag aus: Erst in der vergangenen Woche startete die neunte Staffel von Popstars, die unter dem wenig kreativen Motto "Girls Forever" Top-Quoten erzielt. Am Donnerstag wird in der Senderfamilie gesungen und getanzt, am Freitag von nun an also gekocht.

Mit Kühltaschen bewehrt traten in der Auftaktsendung 150 ausgewählte Bewerber zum Casting an. Unter wechselseitiger Anteilnahme - man kennt das ja - sammelten sich die Kandidaten im Warteraum, wo sie hackten, brieten und fluchten. Drinnen, angestrahlt vor einem einzelnen Spot und einsam der dreiköpfigen Jury ausgeliefert, präsentierten sie ihre Gerichte. Auf den ersten Blick scheint dieses Rezept aus der Programmküche von Sat 1 so alt und überkommen wie die dekorativ geschnitzte Tomatenrose eines dafür heftig gescholtenen Kandidaten.

Blamage mit Burger

Nicht nur der Ablauf, auch die Szenen folgen denselben Mustern wie in anderen Castingshows: Menschen verzweifeln - schon in der ersten Minute des Vorspanns blickt der Zuschauer, von Elekrotrommeln begleitet, in fünf weinende Gesichter. Menschen offenbaren ihre Schicksalsschläge - so muss eine der Hobbyköchin nicht nur ein Kind mit Down-Syndrom pflegen, sondern auch noch eine magersüchtige Tochter. Menschen blamieren sich - mit einem Burger aus labbrigem Weißbrot, fast zu Staub gekochtem Fleisch und Riesenpilzen.

Dennoch: Es sind die feinen Unterschiede, die Deutschlands Meisterkoch von anderen Castingshows abheben. Statt Fotos wie bei Heidi teilt die Jury Schürzen an jene Kandidaten aus, die weiterkochen dürfen. Zwar spielt Tim Raue, der klingt wie ein Brigadegeneral und aussieht wie der Graf aus einer Vorabendserie, die Rolle des bösen Jurymitglieds ebenso überzeugend wie Dieter Bohlen. Doch der kulinarische Direktor des Berliner Adlon-Hotels verzichtet auf den üblichen Trash - und etlockt den Kandidaten unfreiwillig Witziges: "Sie sind aber nicht von der Titanic, oder?", fragt er den verhinderten Burger-Koch. "Nö", antwortet der. "Von Thüringen."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welchen Aufgaben sich die angehenden Meisterköche stellen mussten.

Der mit dem Kochtotenkopf

Während bei den Castingshow-abgehärteten Zuschauern meist das Mitleid vollends der Schadenfreude gewichen sein dürfte, keimt beim Meisterkoch ganz zart wieder etwas Mitgefühl auf - allerdings nicht für die ambitionierten Hobbyköche, sondern für die Jury. Bei ihren Kollegen in anderen Talentshows mögen Nerven und Trommelfelle leiden, die Köche Tim Raue, Thomas Jaumann und Nelson Müller scheinen bisweilen ernsthaft ihre Gesundheit zu gefährden, bei all dem, was sie da verkosten müssen. 150 Teller später ist der Kandidatenkreis auf 35 Teilnehmer reduziert.

Diese müssen sich auch beim Meisterkoch Aufgaben stellen - doch müssen sie sich nicht ausziehen, nassmachen oder in den Windkanal stellen wie Heidis Mädchen. Und trotzdem wird so lange gekämpft, bis nicht nur einer weint, sondern alle: Eine Lastwagenladung Zwiebeln soll geschnippelt werden, in Ringe und Würfel - aber bitte schnell und ordentlich und mit der nötigen Anmut. "Das Messer muss mit dem Körper eine natürliche Verbindung eingehen", verkündet der exzentrische Casting-General Raue. Aha.

Bei all diesen Nebensächlichkeiten gibt es einen wohltuenden Unterschied zu anderen Formaten, die neue Nationalhelden küren wollen. Etwas, das den Meisterkoch-Zuschauer nicht schon nach wenigen Minuten voll Überdruss zur Fernbedienung greifen lässt: Die Kandidaten. Bei Heidi laufen nun einmal langbeinige Mädchen über den Laufsteg, bei Bohlen singen ruhmwütige Teenies. Zu Raue kommt, wer gern kocht - und das ist eben die Werbefrau aus Hamburg genauso wie die Hausfrau aus München, der Projektingenieur ebenso wie der Rocker. Der trägt nicht nur große Löcher in den Ohren, sondern auf dem Arm auch einen tätowierten Kochtotenkopf auf dem Arm. Erfrischende Vielfalt also im Vergleich zum üblichen Castingshow-Klientel. Vermutlich hofft Sat 1 so, gleichfalls im Publikum Casting-fernere Milieus anzusprechen.

Miteinander schmoren

Außerdem gibt es bei Deutschlands Meisterkoch noch etwas, was der überfütterte Castingshow-Schauer bei all der Reality schon längst verloren glaubte: echter Eifer. Mit welcher Hingabe da geschnippelt, sautiert und angerichtet wird, das ist ehrliches Herzblut. Falls sie das Preisgeld - 100.000 Euro - gewinnen sollten, wollen viele Teilnehmer, so sagen sie, ihr eigenes Restaurant eröffnen.

Am Schluss des zweistündigen Freitagabend-Marathons sind noch zwölf Kandidaten übrig, die in ein Wohn- und Kochloft in Köln ziehen. Dort werden sie noch sieben weitere Folgen miteinander schmoren und gegeneinander brutzeln. Am Ende wird es in Deutschland eine weitere Halbberühmtheit mit Superlativ im Beinamen geben - und Sat 1 wird wissen, ob das Castingshow-Rezept aus Omas Kochbuch immer noch schmeckt.

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