TV-Kritik: "Das Traumschiff":Wunder in Serie

Neujahr ohne "Traumschiff"? Nicht vorstellbar. Selbst Christoph Maria Herbst gleitet problemlos auf der leichten Unterhaltungswelle mit nach Bora Bora.

Jassien Kelm

Zu den Mysterien im deutschen Fernsehen zählt zweifelsohne der unerklärliche Erfolg des "ZDF-Traumschiffs": 7,45 Millionen Deutsche sahen die Weihnachtsfolge, das entspricht einer Quote von 22 Prozent - höchster Marktanteil. Die Einschaltquote an Neujahr dürfte ähnlich hoch gewesen sein. Dabei lieferte Regisseur Hans-Jürgen Tögel mit seiner Schiffsreise nach Bora Bora zuverlässig jene Form der leichten Unterhaltung ab, die sich mit ihren oft hölzernen Dialogen und der vorhersehbaren Dramaturgie nicht an der Schmerzgrenze bewegte, sondern weit darüber hinaus ging.

Mit an Bord war dieses Mal Christoph Maria Herbst, der schon weit vor der Sendung für Gesprächsstoff sorgte. Der Schauspieler hat ein Buch veröffentlicht ("Ein Traum von einem Schiff"), in dem er mit den "Traumschiff"-Darstellern und der Reihe im Allgemeinen abrechnet. So unterstellt er seinen Kollegen, während der Dreharbeiten betrunken gewesen zu sein. Das Schiff selbst bezeichnet er als "Mumienschlepper" und "Albtraumschiff". Im Interview mit dem Tagesspiegel thematisierte der 44-Jährige seine pragmatische Berufseinstellung: Hauptkriterium für seine Traumschiff-Entscheidung sei das sonnige Reiseziel gewesen. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass Herbst während der sechswöchigen Kreuzfahrt ganze fünf Drehtage hatte.

Mit weiteren Aussagen wie "Es ist wurscht, was du inhaltlich ablieferst" ist die Herbst-Einstellung hinlänglich beschrieben. Die ist so rüde und unkollegial, dass selbst der skrupellose Bernd Stromberg, Herbsts Paraderolle, verschämt zu Boden blicken würde. Ebenso gut könnte der Schauspieler am "Dschungelcamp" teilnehmen, um anschließend über das Format zu spotten. Das ZDF reagierte entsprechend verärgert. "Herr Herbst ist offenkundig Opfer einer besonderen Form der Seekrankheit geworden", ließ Programmdirektor Thomas Bellut gegenüber dem Spiegel verlauten.

Immerhin fügt sich Herbst nahtlos ins "Traumschiff"-Metier ein, was an sich schon eine bemerkenswerte Leistung darstellt. Wobei Fans des Schauspielers einige Zeit benötigen, bis die letzten Zweifel ausgeräumt sind: Nein, er spielt seine Rolle nicht bewusst parodistisch. Das ist ernst gemeint. Und an Lustlosigkeit kaum zu überbieten. Es sind keine fünf Minuten vergangen, da klappt dem geneigten Zuschauer bereits der Unterkiefer runter - in einer nachsynchronisierten Szene ist Herbsts Timing dermaßen schäbig, dass sich als Vergleich jene grausig synchronisierten amerikanischen Dauerwerbesendungen anbieten, die man aus dem Privatfernsehen kennt.

Auch die Drehbuchautoren leisten wieder einmal ganze Arbeit: Der von Herbst verkörperte Familienvater Marek Hoffmann besteigt mit Frau und Tochter die MS Deutschland. Ziel der Eltern - man möchte es kaum glauben - ist es, ihre Tochter mit einer "neuen Großmutter" zu verkuppeln, nachdem die echte Oma bei einem Unfall ums Leben gekommen war. Was die kleine Greta nicht weiß: Auf dem Schiff wartet bereits eine allzu willige Kandidatin - Familie Hoffmann war zuvor via Zeitungsannonce ("Oma sucht Familie") aufmerksam geworden.

Es kommt, wie es kommen muss

Ein Auszug aus Herbsts pathetischem Appell: "In letzter Sekunde konnte sie (Oma) Greta retten, sie selbst verstarb noch am Unfallort. Es ist vielleicht unsere letzte Chance, Greta von ihren Alpträumen zu befreien. Wenn sie ihr zufällig an Bord begegnen..." So ambitioniert das Vorhaben, so elegant die Ausführung: Die Nachfolgerin war früher Kunstlehrerin, Klein-Greta ist entzückt ("Echt? Kunst ist mein absolutes Lieblingsfach. Dann können wir ja zusammen malen."). Es kommt, wie es kommen muss: Nach einem kleinen Umweg geht der Plan auf, alle sind glücklich und Greta beschließt die Geschichte: "Zuerst hatte ich das Gefühl, dass ich meine Omi verraten würde, wenn ich eine andere Frau nett finden würde. Aber jetzt bin ich mir sicher, dass sie da oben sitzt und sich ganz doll freut, dass ich nicht mehr so traurig bin."

Die weiteren Handlungsstränge stehen dem in nichts nach. Etwa jener des Krebskranken, der sich mit seiner Tochter aussöhnen will. O-Ton: "Es bleibt mir nicht mehr viel Zeit. Es sei denn, es geschieht noch ein Wunder. Ich habe Lungenkrebs. Finales Stadium." Wunder gibt es auf dem Traumschiff natürlich in Serie - der Krebs ist gar kein Krebs. Jede drittklassige Daily Soap traut ihren Zuschauern mehr zu.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: