TV-Kritik: "Das Medium" auf RTL:Geisterstunde mit Uwe Barschel

Mordermittlungen und Untersuchungen in zwei Ländern - und kein Ergebnis. Die Umstände des Todes von Uwe Barschel blieben ungeklärt. 23 Jahre. Bis RTL kam. Und Tote wachrüttelte.

Lars Langenau

Fangen wir mal seriös an - und loben: Ehrenwert, wie Freya Barschel um den Ruf ihres verstorbenen Mannes kämpft. Ehrbar, dass sich das Fernsehen jetzt auch der Trauerhilfe widmet. Achtbar, daran zu erinnern, dass es Dinge gibt, die wir in unserer ach so aufgeklärten Welt nicht mit Logik fassen können. Dass es Dinge zwischen Himmel und Erde geben mag, die wir uns nicht erklären können. Irgendwie spirituell.

Uwe Barschel, 1987 bei der spektakulären "Ehrenwort"-Pressekonferenz in Kiel

Uwe Barschel, 1987 bei der spektakulären "Ehrenwort"-Pressekonferenz in Kiel: "Herzlich Willkommen in meinem Reich"

(Foto: dpa)

Passt in die Tage: Am Sonntag erinnerten die doch sehr an die Ratio gebundenen Protestanten an den legendären Thesenanschlag Martin Luthers im Jahr 1517 und feierten ihr Reformationsfest. In den evangelischen Kirchen wurde an die Liebe Gottes erinnert.

Alle Kinder feierten Halloween. Ein Kürbiskult, der erst 1991 wegen der vielen ausgefallenen Karnevalsumzüge und Faschingsfeiern während des ersten Golfkrieges seinen Siegeszug in Deutschland antreten konnte.

Und der Allerheiligentag schließlich wurde einst von den Katholiken eingeführt, weil man keinen Überblick mehr über all die Heiligen hatte und das Gedenken konzentrieren wollte. Die katholische Kirche kann sich also auf Heilige verlassen. Auch irgendwie spirituell.

Aber irgendwie auch alles Mummenschanz. Oder? Reformationstag und Allerheiligen fallen in einer säkularisierten Welt kaum auf. Außer natürlich, dass in mehreren Bundesländern die Menschen länger im Bett bleiben dürfen, weil Feiertag ist. Da kann man nachdenken über all die Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir nicht verstehen. Vielleicht auch darüber, wie Uwe Barschel zu Tode kam. Denn das ist nach wie vor ein Rätsel.

Zumindest bis Sonntagabend. Bis zum Programm von RTL.

Da versendete der beliebteste deutsche TV-Sender die Sendung Das Medium von 19.05 Uhr bis 20 Uhr, inklusive zweier Werbeunterbrechungen. Und da verbindet "das Medium" Kim-Anne Jannes Lebende mit Toten. Trauerbewältigung soll geleistet, Ungeklärtes geklärt werden. Zugpferd der Pilot-Sendung bildet eine ehemals öffentliche Person: Freya Barschel auf der Suche nach einem Stückchen Wahrheit über den Tod ihres Mannes Uwe.

Die Expedition ins Jenseits sorgt bei den Irdischen für Aufmerksamkeit. Am Samstag wurde der Witwe Freya die freundliche Unterstützung der Bild-Zeitung zuteil. Das Blatt titelte unter dem berühmten Bild des toten Barschel in der Badewanne: "TV immer verrückter - Toter Barschel spricht bei RTL. Er sagt: Ich bin ermordet worden." Das ist schon mehr als ein Anflug von Schizophrenie im System Boulevard: Erst der Sache, also dem Tod Barschels, die gesamte Aufmerksamkeit zuteilwerden lassen - und dann geschickt die Distanzierung durch den Satz "TV immer verrückter" hinzusetzen. Hübsches Bandenspiel.

Tote werden wachgerüttelt

Also rüttelte RTL die Toten wach. Mit Hilfe der 39 Jahre alten Autorin, Sterbe- und Trauerbegleiterin Kim-Anne Jannes, die von Moderatorin Petra Neftel chronisch "Schweizerin" genannt wird, obwohl sie da nur lebt. Zunächst widmet sich Frau "Medium" einem Bundeswehrsoldaten, der bei einem Unfall starb und der seiner Schwester nun erklärt, dass er sie auch lieb habe.

Dann sind der Mann und der Sohn einer Frau an der Reihe, die auf Mallorca ermordet wurden. Reißerisch wird Kim-Anne Jannes durch die "Todesfinca" geführt, in der die bis heute unaufgeklärte Mordtat geschah und in der die neue Mitarbeiterin von RTL Kontakt aufnimmt. Zunächst über Kopfschmerzen, die sie dort überfallen und die sich als tödliche Kopfschüsse herausstellen. Makaber.

Kim-Anne Jannes sieht sich als "Dolmetscher zwischen dem Diesseits und Jenseits". Sie will helfen bei der Frage nach dem "Warum" - und helfen bei der Bewältigung der Trauer. Doch man kommt sich ein wenig vor wie bei Uri Geller, der jahrelang die TV-Zuschauer mit dem Verbiegen von Löffeln narrte.

In ihrem dritten Fall schließlich nimmt Jannes dann Kontakt zum prominentesten Toten auf. Dem ehemaligen schleswig-holsteinische Ministerpräsident Uwe Barschel, der neun Tage nach seinem Rücktritt am 11. Oktober 1987 unter bis heute nicht vollständig geklärten Umständen tot in der Badewanne des Genfer Hotels Beau Rivage gefunden wurde. Im Zimmer 317. Sicher starb er an einer Medikamentenvergiftung.

"Herzlich Willkommen in meinem Reich"

"Herzlich Willkommen in meinem Reich"

Aber ob die Massen an Beruhigungsmitteln und Angstlösern wie Tavor in suizidaler Absicht genommen wurden oder Fremdverschulden vorliegt, also ihm andere Substanzen schon im bewusstlosen Zustand verabreicht wurden und er im Anschluss in die Badewanne gelegt wurde, das bleibt offen. Auch nach jahrelanger Ermittlungsarbeit. Und heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der Ermittlungsbehörden.

Barschel RTL

RTL Sendung "Das Medium": Kim-Anne Jannes, Moderatorin Neftel, Freya Barschel (von links)

Doch nun kehrt Uwe Barschel ja wieder. Zu seiner Witwe Freya ins gemeinsame Haus und in den geliebten Ohrensessel. "Herzlich Willkommen in meinem Reich" und "ach, wie schön, wieder zu Hause zu sein", sagt da Uwe zu Kim-Anne. Sie duzt die Personen mit denen sie Kontakt haben will. "Ein Heimatgefühl", will Uwe da noch hinzugefügt haben. Als ihn "das Medium" Jannes zu seinem Tod befragte, sagt er angeblich zu ihr: "Das ist jetzt eine lange Geschichte ..."

Vorab: Es blieb ungeklärt, wer der angebliche Mörder war. Oder wie es zu "Waterkantgate" eigentlich kam, den schmutzigen Tricks gegen den politischen Gegner. Wie Barschel tatsächlich zu Tode kam. Wo die Flasche Wein abgeblieben ist, die er auf das Zimmer bestellt hatte, warum ein Knopf von Barschels Hemd auf dem Hotelflur gefunden wurde, warum seine Schuhe so ungewöhnlich dalagen, was es mit dem weggeworfenen Handtuch auf sich hatte, und woher die mysteriösen Schuhabdrücke stammen.

Und ob es, wenn es denn Mord war, die Stasi oder der BND war? Oder der Mossad? Oder gewöhnliche Waffenhändler? Ob sein Medienreferent Reiner Pfeiffer nun in seinem Auftrag Björn Engholm eine anonyme Anzeige wegen Steuerhinterziehung anhängte, Detektive beauftragte, die Engholms Privatleben durchleuchten sollten, den SPD-Gegenkandidaten mit einer Aids-Infektion in Verbindung brachte, eine Wanze in Barschels Telefon unterbringen sollte, was man den Sozialdemokraten in die Schuhe schieben wollte.

Auch nicht, warum er mit Anzug und Krawatte in der Badewanne gefunden wurde. Zu vielem könnte Reiner Pfeiffer Auskunft geben, der seit Jahren als Rentner bei Bremen wohnt. Aber der ist ja noch nicht tot.

Eine große Liebe

Allerdings wurde viel über die Liebe einer Frau zu ihrem verstorbenen Mann bekannt. Für sie war es "die große Liebe". Sie hat nie mehr geheiratet oder ist keine andere Beziehung eingegangen. Sie hat vier Kinder mit ihm, seinen rasanten politischen Aufstieg begleitet und wohl auch von seiner Medikamentenabhängigkeit gewusst. Aber sie hat zu ihm gehalten. In guten wie in schweren Zeiten, wie es so schön heißt. Nach seinem Flugzeugabsturz, den er als einziger überlebte, während des Drucks, als die Affäre publik wurde.

Ihre Treue ist rührend. Und Jannes spürt angeblich: "Der ist sooo verliebt, der kriegt sich gar nicht mehr ein." Uwe sagt: "Mein Herz schlägt bis zum Hals. Ich liebe sie so sehr." Seiner Witwe kommen fast die Tränen. Sie will wissen: "Was ist in dem Zimmer passiert? Hat er gelitten? Wie geht es ihm?" Und Uwe antwortet angeblich: "Mein Gott, meine arme Freya. Hätte ich gewusst, dass ich gehe, hätte ich ihr noch mal gesagt, wie sehr ich sie liebe." Freya fügte hinzu: "Wenn einer geht, dann wartet der andere."

Sicher war Barschel nicht allein vor seinem Tod in dem Hotelzimmer, sagt "das Medium". Vor seinem Tod nicht und nachher auch nicht. In der Zeit bis zum Eintritt des Todes hätten die Beruhigungsmittel seine Reaktionen verzögert, alles sei ihm "wie eine Ewigkeit vorgekommen". Er habe Angst bekommen, begann zu zittern, verspürte angeblich ein "inneres Beben" und fragt sich dann: "Auf was habe ich mich da eingelassen?"

Und dann hört er Schritte. Er selbst sei nicht voll bekleidet in die Badewanne gestiegen, sondern sei dort reingelegt worden. Ist Barschel nun umgebracht worden? fragt die Moderatorin. "Ja sicher!" antwortet Jannes inbrünstig.

"Selbstmord ist langweilig"

Aber von wem stammten die Schritte? Keine Antwort. Schleswig-Holsteins angefeindeter Generalstaatsanwalt Erhard Rex legte vor drei Jahren einen 63 Seiten umfassenden Bericht zu allen Verschwörungstheorien vor und schrieb: "Selbstmord ist 'langweilig' und Mord ist 'interessant'. Wer Geld verdienen will, tut gut daran, Mordthesen nach vorne zu stellen und einen Suizid herunterzuspielen oder auszublenden. Ein interessantes Verbrechen steigert die Auflage, erhöht die Fernsehquote, ein einfacher Selbstmord wirkt nicht verkaufsfördernd für die Auflagenhöhe eines Buches."

Da ist das Kalkül von RTL wohl aufgegangen. Auch jetzt noch. Doch Freya Barschel sagte zu den Lübecker Nachrichten: "Ich bin von der Frau begeistert. Sie ist hervorragend. Mein verstorbener Mann ist bereit gewesen, mit uns zu sprechen." Sie freut sich wie gut "das Medium" ihren Mann beschreiben konnte: "Ein höflicher, redegewandter Mensch", "aber er redet zu schnell", "emotional", "ein leidenschaftlicher, sehr netter Mensch". Allerdings, sagte die Witwe weiter zur Zeitung, habe das "Medium" so viel geredet, dass sie selbst leider nicht dazu gekommen sei, all das zu fragen, was ihr auf dem Herzen liege.

Alles Humbug und Mummenschanz also? RTL-Sprecherin Anke Eickmeyer antwortet diplomatisch: "Wir zeigen, wie Kim-Anne Jannes durch ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten Menschen bei der Trauerbewältigung hilft. Jeder muss selbst wissen, ob er daran glaubt oder nicht."

Man kann das Format durchaus als eine Spielart der Nekrophilie sehen. Und die ist in Deutschland strafbar, sie fällt unter die "Störung der Totenruhe". Oder aber auch als harmlose Spielart öffentlicher Trauerverarbeitung.

Zur Aufklärung von Verbrechen taugt sie jedenfalls nicht.

Immerhin eins können wir Ihnen, werter Leser, versprechen: "Wir geben Ihnen unser Ehrenwort, dass wir nie wieder über diese Sendung eine Nachtkritik schreiben werden."

PS. Die Sendung hat laut Branchendienst Meedia.de von der Quote enttäuscht: Nur 1,82 Millionen der 14- bis 49-Jährigen sahen zu, der Marktanteil lag den Angaben zufolge mit 16,7 Prozent mehr als einen Punkt unter dem Zwölf-Monats-Normalniveau des Senders - "und noch deutlicher unter den Werten des Sendeplatzvorgängers Schwiegertochter gesucht".

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