Süddeutsche Zeitung

Präsidentschaft: TV-Wahlkampf beginnt:Christian Wulff im Kreuzfeuerchen

Eher nagelt man einen Pudding an die Wand, als Christian Wulff, Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten, in Hektik zu bringen.

Hans-Jürgen Jakobs

Der Kandidat sitzt im Fernsehstudio fast geduckt am Tisch. Immer wieder fahren die Hände aus und versuchen zu erklären, warum Christian Wulff ein guter Bundespräsident wäre. Und dann ist da dieses Lächeln, ein gefährliches Lächeln: Es macht den Mann aus Niedersachsen so harmlos. Es bringt Kritiker zur Assoziation "Schwiegermamas Liebling".

Diese Mischung aus Biedermeier und Raffinesse, aus Ehrgeiz und Langeweile macht es fragenden Journalisten schwer. Wie soll einer Farbe bekennen, so der Titel der ARD-Spezialreihe, wenn Farblosigkeit als Waffe taugt? Je ärger Ulrich Deppendorf und Thomas Baumann an diesem Mittwochabend versuchen, ihrem Gast mit provokanter Schärfe beizukommen, desto ruhiger moduliert es aus dem CDU-Ministerpräsidenten. Motto: Bloß keine Angriffsfläche bieten!

Der Medienwahlkampf der Präsidentschaftskandidaten ist mit diesem Zwei-zu-eins-Plausch eröffnet. Und wenn es so weiterläuft wie in der ARD-Sonderviertelstunde, dann wird Christian Wulff, der von Kanzlerin Angela Merkel erhobene und damit fürs Erste weggelobte Spitzenpolitiker, jeglichen Widerstand einfach in den Schlaf reden. Er stamme ja aus Osnabrück, der Stadt des Westfälischen Friedens, führt Wulff einmal als Beleg seines ausgleichenden Wesens an. So einer geht auf die andere Seite zu - bis es sie nicht mehr gibt.

Nein, er habe nicht "den unbedingten Willen zur Macht", pariert der Christdemokrat erneut die Frage nach dem politischen Alphatier. Immerhin hat er ja so begründet, warum die Kanzlerschaft angeblich nicht in Frage komme. Als Bundespräsident gehe es ja nicht um die operative Verantwortung, sondern um ein Wächteramt für die Verfassung. Überparteilich will er sein. Menschen zusammenführen. Versöhnen. Wulffs Mantra ist, dass Deutschland mehr Zusammenhalt, mehr Ehrenamtliche und Engagierte braucht, auch in den Parteien.

Brav wie im Vorstellungsgespräch

Und Christian Wulff sagt tatsächlich brav wie in einem Vorstellungsgespräch: "Ich finde, dass ich die Voraussetzungen mitbringe." Da kann ja eigentlich nichts mehr passieren.

Eher nagelt man einen Pudding in Osnabrück an eine Mauerwand als Christian Wulff in Hektik zu bringen. Hat er nicht schon alles erlebt? Die Intrigen bei VW, wo er als Aufsichtsrat half, die Übernahme durch Porsche zu verhindern? Oder die Intrigen bei Continental in Hannover gegen den Aufkäufer Schaeffler? Oder die Krise seiner Partei nach Helmut Kohl und dem Macht-Freeze durch Angela Merkel? Oder die Aufregung auf dem Boulevard, als er die Ehefrau für eine Jüngere verließ und sogleich noch einmal Vater wurde?

Der Kandidaten-Rivale Joachim Gauck, klar, ist eine "beeindruckende Persönlichkeit", die er bald treffen werde, erklärt Wulff. Das sei schon verabredet. Konflikt, oder sogar Aggression, gehört nicht zu seiner Inszenierung. Wo der Kandidat der SPD und der Grünen gerne von der Freiheit redet, sagt der niedersächsische Politiker: "Mein Thema ist die Zukunft." Dazu gehört - das ist tatsächlich die Aufzählung - Weltfrieden, Weltklima, Weltwirtschaft. Kurzum irgendwie alles. Wulffs Revier ist der Globus. Er muss raus aus Hannover. Schloss Bellevue wäre für den Anfang nicht schlecht.

Merkels Kandidat schafft es, im TV-Talk die Diätenerhöhungen im niedersächsischen Landtag genauso zu verteidigen wie die Rhetorik des entsprungenen Präsidenten Horst Köhler, egal, ob es um Krieg geht oder um die Finanzmärkte als "Monster". Den Satz könne er unterschreiben, sagt Wulff, ein Präsident müsse ja auch aufrütteln und Volkes Stimme artikulieren. Und die mögliche soziale Schieflage des Merkel-Sparprogramms? Wird ja erst später entschieden, weicht Wulff aus. Bloß nicht festlegen. Meinungen verbreitet dieser Kandidat nicht, eher Gedankenbilder wie auf einer Postkarte.

Es ist jener soft schwingende Politikstil, den sein Parteikollege Norbert Röttgen ebenso schätzt wie FDP-Generalsekretär Christian Lindner. Beide treten nach dem Kreuzfeuerchen in der ARD bei Hart aber fair im Ersten auf und loben den Kandidaten Wulff, als sei der neue Kennedy über die Erde gekommen.

Gesucht wurde ja diesmal kein Seiteneinsteiger, sondern ein politischer Profi, der Wahlen gewonnen hat und ökonomische Zusammenhänge erklären kann, fidelt der Liberale Lindner.

Und schließlich habe Wulff ja eine Ostdeutsche und eine türkischstämmige Frau zu Ministerinnen gemacht, was als Ausbund an Offenheit gilt. Wulff selbst spricht von bunter Vielfalt. Und von Schritten, die Christen und Juden auf den Islam hin machen müssten.

Nein, in der Runde bei Frank Plasberg wird klar, dass all die aktuellen Drohungen von FDP-Kämpfen, den Anwärter Wulff bei Fortgang des Haushaltstroubles mit der Union nicht zu wählen, nur zu den dramaturgischen Künsten der liberalen Partei gehören. Das wären ja "Selbstmörder", merkt Focus-Chef und FDP-Mitglied Helmut Markwort an, wenn sie ausgerechnet jenen Mann im Stich lässen, den drei Parteivorsitzende gekürt haben. (Wobei: Nach Horst Köhlers Abgang hält man alles für möglich.)

Da mag SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles noch so aufgekratzt für den übergeordneten, überwölbenden Gauck werben und der evangelische Ratspräsident Nikolaus Schneider von einer "verpassten Chance" reden, die politische Realität sieht anders aus. Über die umstrittene Haushaltskonsolidierung dürften sich die Schwarz-Gelb-Koalitionäre wohl nicht so sehr in die Haare bekommen, dass Wulffs Wahl scheitert. Die Sensation wird ausbleiben.

Die Take-it-Gysi-Philosophie

Bei Plasberg obliegt es dem Linken-Fraktionschef Gregor Gysi, die eigene Kandidatin Luc Jochimsen zu preisen, die einstige TV-Chefredakteurin der ARD-Anstalt Hessischer Rundfunk. Sie habe schon früher mit ihren Programmen viele Menschen erreicht, so die Take-it-Gysi-Philosophie. Da könnte er ja auch gleich Carmen Nebel, Deppendorf oder Thomas Gottschalk vorschlagen, witzelt der Moderator in Sommerferienlaune. Das seien ja keine Politiker, antwortet Gysi und weist immer wieder darauf hin, dass die Krise doch von Spekulanten verursacht worden sei, und jetzt Hartz-IV-Empfänger dafür zahlen müssten: "Das ist der Gipfel!" Auch Kirchenmann Schneider stört sich an Kürzungen beim Kindergeld und an der fehlenden Bereitschaft, Reiche in die Pflicht zu nehmen. "Das geht mir nicht in den Kopf!"

Der rechte Flügel kommt da unter Druck. Umweltminister Röttgen hält es mit der Wulff-Strategie und referiert die Faktenlage (beim Elterngeld) wie auf einem Fachkongress. FDP-Kamerad Lindner dagegen bewegt sich auffallend ruckartig und redet ohne Unterlass dazwischen. In puncto Tiefenentspannung kann er vom möglichen Bundespräsidenten Wulff einiges lernen. Da könnte so ein Präsident wirklich Vorbild sein.

Der softe CDU-Kandidat lässt sich auf Rechnereien, was am 30. Juni bei der Kür des Bundespräsidenten in den Wahlgängen alles passieren könne, an diesem Abend nicht ein. "Ich bin zuversichtlich, eine breite Mehrheit zu erreichen", lautet eine typische Wulff-Wortkombination zur Abwehr unbotmäßiger Spekulationen. Hier redet Osnabrück, die durchschnittlichste Stadt Deutschlands. Hier macht ein freundlicher Panzer alle Angriffe wirkungslos.

Nur als im Interview die ARD-Kräfte Deppendorf und Baumann nachhaken, was denn in einem dritten Wahlgang passieren könne, da sagt der Westfälische-Friede-Kandidat vielleicht einmal zu oft: "Ich werde es zeigen können."

Er lächelt dazu.

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