TV-Kritik: Beckmann zu Gorleben:Kein Plan B mit Röttgen

Während die Demonstranten im Wendland die Castor-Behälter blockieren, diskutiert Bundesumweltminister Norbert Röttgen bei "Beckmann" in der ARD mit Gegnern der Atomkraft.

Markus C. Schulte von Drach

Hoch her geht es seit Tagen im Wendland. Tausende beteiligen sich an der Blockade der Castor-Transporter, weit mehr noch protestieren gegen die Atompolitik der Bundesregierung. Als "Ausnahmezustand" bezeichnet es ARD-Talkmoderator Reinhold Beckmann, wenig originell, aber zutreffend. Es sind die größten Proteste der Anti-Atom-Bewegung, die es entlang der Transportstrecke Richtung Gorleben je gab. Mit Zusammenstößen zwischen seinen Studiogästen muss Beckmann nicht rechnen, auch wenn es bei ihm um Atommüll, das Zwischenlager Gorleben und die Atompolitik geht.

Norbert Röttgen

Welche Nutzen und Risiken gibt es bei der Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke? Darüber diskutiert Reinhold Beckmann mit seinen Gästen - unter anderem der Bundesumweltminister und neue CDU-Vorsitzende in Nordrhein-Westfalen Norbert Röttgen.

(Foto: dpa)

Selbst sein Versuch, die Diskussion seiner Gäste von Beginn an ordentlich anzuheizen, scheitert. Es sei verantwortungslos, gegen die Castor-Transporte zu demonstrieren, zitiert er Norbert Röttgen (CDU). Und nun sitzt der Bundesumweltminister bei ihm im Studio einer Dame gegenüber, die gegen den Transporte des radioaktiven Mülls nach Gorleben protestiert, seit die Salzstöcke dort als mögliches Endlager betrachtet werden: Anna Gräfin von Bernstorff.

Ihrer Familie gehören große Teile des Landes, wo der strahlende Abfall gelagert wird. Und natürlich weist sie es weit von sich, verantwortungslos zu sein. Den Eindruck macht die Waldbesitzerin tatsächlich nicht. Sie fühlt sich durch Röttgens Vorwurf angegriffen, doch laut wird es bei Beckmann nicht - was vielleicht auch am dritten Gast liegt: Der ARD-Wissenschaftsjournalist, Physiker, Welt- und Menschenversteher Ranga Yogeshwar zwingt der Debatte auf die ihm eigene herzliche Weise Sachlichkeit auf. Darüber hinaus ist Röttgen, gerade erst zum Chef der NRW-CDU gewählt, auch einfach zu glatt, als dass man sich in so einer Runde richtig mit ihm fetzen könnte.

Den Kindern vor die Füße

Natürlich habe jeder Bürger das Recht auf eine eigene Meinung und dürfe demonstrieren, erklärt er. Doch gerade mit dem Einlagern des radioaktiven Mülls in Gorleben werde man einer Verantwortung gerecht, die sich aus dem vorangegangenen Tun herleite - schließlich haben die Deutschen Atomstrom genutzt. Also müssen sie auch mit den Folgen leben. Unserer Verantwortung werden wir nur gerecht, wenn wir prüfen, ob Gorleben sich als Endlager eignet. Das sei, so Röttgen, unangenehm. Und fast - aber nur fast - gelingt es ihm, Streitniveau zu erklimmen, als er fragt, ob man den Abfall denn unseren Kindern vor die Füße schütten soll. Schließlich gebe es noch kein einziges Endlager auf der Welt.

Es folgt der gesittete Austausch der alten, tausend Mal gehörten Argumente für und gegen die Verwendung der Salzstöcke in Niedersachsens Provinz und den Einsatz der Kernenergie. Röttgen beschuldigt vorherige Regierungen, die Atomenergie ja weiter genutzt, aber nicht nach einem geeigneten Endlager gesucht und auch Gorlebens Eignung nicht weiter geprüft hätten. Dafür muss er sich anhören, dass der Beschluss von Schwarz-Gelb, die Laufzeiten der alten Atomkraftwerke gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung um acht und die der neueren um 14 Jahre zu verlängern, natürlich zu noch mehr radioaktivem Müll führen wird.

Die Brennstäbe des Homo sapiens

An dieser Stelle macht Yogeshwar das, wofür er stets eingeladen wird: Er veranschaulicht. Hätten unsere Ahnen bereits Atomenergie genutzt - wie lange müsste der Einsatz zurückliegen, damit ihr Müll heute nicht mehr gefährlich wäre? 40.000 Generationen, erklärt er. Damit wären wir jenseits des Zeitpunktes, zu dem der Homo sapiens entstanden ist. Es hätte schon der Frühmensch Homo erectus Brennstäbe in Salzstöcke einlagern müssen. Dass die Demonstranten im Wendland nicht wollen, dass es weitergeht wie bisher, könne er deshalb gut verstehen. Es folgt Röttgens Versicherung, Gorleben werde "ergebnisoffen" auf eine Eignung als Endlager geprüft, was die Landeignerin Bernstorff ihm nicht abnimmt, schon weil keine Alternative gesucht werde: "Es gibt keinen Plan B."

Es folgt eine Diskussion über die Sicherheit der Lager - und der Umweltminister kann sich angesichts der katastrophalen Erfahrungen mit der Lagerung von Atommüll in Asse über eine skandalöse Kette von Verantwortungslosigkeit auch von staatlicher Seite echauffieren. Doch heute müsse man eben die Lehren daraus ziehen und darauf vertrauen, dass sich so etwas wie in Asse nicht wiederholen werde.

Die Frage nach der Sicherheit lässt den Physiker Yogeshwar nicht los: Würden wir Autos fahren, die so alt sind wie unsere Kernkraftwerke, würden wir Airbags und ABS vermissen, erklärt er. Darüber hinaus blockiert die Laufzeitverlängerung die Wende hin zu regenerativen Energien. Die will Minister Röttgen natürlich auch. Die Regierung habe deshalb ja den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. "Der Neubau von Kernkraftwerken ist verboten." Es dauert eben nur etwas länger als er sich das gewünscht hätte. Weil man sich an die Betreiber der Atomanlagen ranschmeißen wollte, stichelt Beckmann. Schließlich bringe die Verlängerung den Konzernen Gewinne in Höhe von 119 Milliarden Euro.

Natürlich hat Christdemokrat Röttgen, dessen vorgestülpte Unterlippe doch gelegentlich ein wenig Verdrossenheit verrät, eine andere Rechnung parat. Sie zeigt, wie sehr die Regierung und damit letztlich der Steuerzahler von dem Geschäft profitiert. Und dann redet die Runde über die Stromproduktion der Zukunft, über mehr Windenergie in Deutschland, Solarstrom aus Afrika, intelligente Netze - und niemand muss davon überzeugt werden, dass wir das brauchen. Darüber gerät beinahe der Anlass der Diskussion in Vergessenheit. Die Arbeiten in Dannenberg sind vorangegangen. Alle Castor-Behälter befinden sich auf Tiefladern, der strahlende Müll ist bereit für die letzte Etappe ins Zwischenlager Gorleben. Wo er allen Protesten zum Trotz erst einmal bleiben wird. Vielleicht für immer. Was immer das in geologischen Zeiträumen bedeutet.

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