Es war ein anstrengender Tag für Thilo Sarrazin. Die Vorstellung seines Buches Deutschland schafft sich ab geriet zur Berliner Großveranstaltung. Gegendemonstranten und Journalisten zählten nach Hunderten. Kaum war die Fragerunde beendet, erfuhr er vom Beschluss der SPD, ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn einzuleiten.
Thilo Sarrazin hat sich nicht als Politiker einen Namen gemacht oder gar in seinem Beruf als Bundesbanker, sondern als öffentlicher Polemisierer und Provokateur. Bei Reinhold Beckmann traf er auf die niedersächsische Integrationsministerin Aygül Özkan.
(Foto: ddp)Am Abend gab dann sein Arbeitgeber, die Bundesbank, bekannt, Vorstand Sarrazin missachte "fortlaufend und in zunehmend schwerwiegendem Maße" seine Pflicht, "bei politischer Betätigung Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren". Seine Äußerungen könnten den "Betriebsfrieden erheblich beeinträchtigen, zumal zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen Migrationshintergrund haben". Und zum guten Schluss wartete ARD-Plauderer Reinhold Beckmann, frisch zurück aus der Sommerpause, mit gewohnt erwartbaren Fragen.
Er hat es nicht anders gewollt. Der Mann, der immer wirkt, als sei er frisch einer Schwarzweißkomödie der fünfziger Jahre entsprungen, setzte gleich schnarrend zum Altherrenwitz an, "is' ja kolossal, diese Sache, janz kolossal, famos" - dieser Mann mit der ergrauten Struwwelmähne, den zusammengekniffenen Augen, dem buschigen Schnauzer und der angerauten Stimme ist auf Werbetour. Gestern Abend machte Beckmann den Auftakt. Dieser gilt nicht als besonders origineller oder überlegter Interviewer, weshalb er sich das geballte Widerwort ins Studio lud: Aygül Özkan, Renate Künast, Olaf Scholz und Ranga Yogeshwar sollten Sarrazin heimleuchten.
Komplett gelesen dürfte das skandalisierte Buch kaum jemand haben. In aller Munde sind aber die deftigen Sarrazin'schen Wortschöpfungen von den "Araberjungen", den "Kopftuchmädchen" und den muslimischen "Importbräuten". Auch das "bestimmte Gen", das "alle Juden teilen", machte schnell die Runde. Der "Nettoreproduktionsrate" und der islamischen "Unterdrückungskultur" dürfte es nicht anders ergehen. Der trocken formulierende Bundesbanker ist kein mitreißender Redner, wohl aber ein Begriffsverdichter mit hohem Wiedererkennungswert.
Sind das nun perfekte oder eher hemmende Voraussetzungen für eine Talkshow-Debatte? Von Anfang an ließ Reinhold Beckmann keinen Zweifel, dass er ein Geständnis, eine Entschuldigung, ein Zurückrudern aus Sarrazin herauslocken wollte. Es misslang krachend.
Die ersten fünf Minuten verwandte Beckmann darauf, eine Antwort auf die mehrfach repetierte Frage zu bekommen, "Stehen Sie heute noch zu der Aussage von gestern?" Gemeint war der Interviewsatz vom jüdischen Gen. Sarrazin legte aber lediglich die Quelle zu seiner Behauptung frei. Im Berliner Tagesspiegel sei unter der Überschrift "Abrahams Gen" dargelegt worden, dass die "genetischen Gemeinsamkeiten" der Juden sich 3000 Jahre zurückverfolgen ließen. Das aber habe "mit meinem Buch gar nichts zu tun", die interviewenden Journalisten hätten ihn nur immer wieder auf die Genetik angesprochen.