TV-Kritik:"Anne Will": Horrorszenarien sind schließlich unterhaltsamer

Anne Will

Bei Anne Will diskutierten die Teilnehmer über die Frage: "Nimmt uns der Staat das Bargeld weg?"

(Foto: dpa)

Der 500er soll abgeschafft, Bargeldzahlungen begrenzt werden. Der Weltuntergang ist nah - so klingt es zumindest, wenn Anne Will darüber diskutieren lässt.

TV-Kritik von Vivien Timmler

Wer an den Zufall glaubt, der wird zur Zeit auf eine harte Probe gestellt: Am 1. Februar, also vor genau drei Wochen, wurde bekannt, dass die EU-Kommission den 500-Euro-Schein abschaffen möchte. Nur einen Tag später die Nachricht aus Berlin: Schäuble erwägt eine Bargeld-Obergrenze von 5000 Euro. Ach, und keine zwei Wochen vorher hatte der Deutsche-Bank-Chef John Cryan das Ende des Bargelds prognostiziert, für 2026. Ziemlich viel Zufall in kurzer Zeit.

So viel Zufall, dass es keiner mehr sein kann, findet der FDP-Vorsitzende Christian Lindner. Der Christian Lindner, der sich vor ein paar Wochen mit einem sogenannten "Finger weg"-Brief der Bild-Zeitung hatte ablichten lassen. Finger weg vom Bargeld. Und als wäre seine Position bei "Anne Will" damit noch nicht deutlich genug, versucht er sich auch noch als Verschwörungstheoretiker. Eine fiese Dreier-Allianz sei das alles, so Lindner, und zwar zwischen den Banken, der Regierung und - der Europäischen Zentralbank (EZB), fällt ihm in letzter Sekunde noch ein.

Eine einzige Botschaft von Schäuble

Der Runde entlockt das lediglich ein müdes Lächeln. Sind sie schließlich eigentlich mit etwas anderem beschäftigt. Michael Meister zum Beispiel. Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen versucht den ganzen Abend lang, eine einzige Botschaft an den Mann zu bringen. Und so rezitiert Meister eifrig seinen Chef mit den Worten, niemand habe vor, das Bargeld komplett abzuschaffen.

Nur mag ihm das in der Runde niemand glauben. Warum auch, wenn man sich stattdessen darauf konzentrieren kann, sich Horrorszenarien auszumalen. Was soll Theo Waigel bloß tun, wenn er in zehn Jahren mit John Cryan nach dem Gottesdienst in einer Kirche in Niederbayern sitzt, auf die Kollekte wartet und plötzlich mit einem Kartenlesegerät konfrontiert wird? Und wenn er seine armen Enkel nach ihren Kontodaten fragen muss, weil er ihnen keine Fuffis mehr zustecken kann? Unvorstellbar.

Es gibt immer einen Endgegner

Die vermeintlich bargeldfeindliche Regierung wird zum Endgegner stilisiert. Dass in den USA, in Großstädten wie London und selbst im Egalitätstraumland Schweden die Bedeutung des Bargelds immer weiter abnimmt, nein, das ist kein Argument. Wir Deutschen, wir brauchen schließlich unser Bargeld.

Vor allem, weil wir es "fühlen" wollen. Spüren, mit all unseren Sinnen. "Sinnlich erfahrbar", nennt es Waigel, "eine Gefühlssache", die Autohausbesitzerin Nancy Schneider. Die sitzt in der Runde, weil sie unmittelbar betroffen wäre von einer Abschaffung. Und nicht nur das, auch von einer Begrenzung. Von der ist ja bislang immerhin die Rede. Ihre Kunden wollen Autos gegen Bares, sagt sie. Kartenzahlungen, das kann man ihnen nicht zumuten. Zu kompliziert, das alles. Fehleranfällig. Und überhaupt. Wer außer Gebrauchtwagenhändlern, Juwelieren und Kunsthändlern sonst regelmäßig Bargeldsummen von mehr als 5000 Euro annimmt, das kann aber auch sie nicht beantworten. Es ginge schlicht und einfach um die Freiheit. Oder aber geht es vielmehr ums Prinzip? Um das Prinzip, dagegen zu sein?

Konsequent ist, wenn man trotzdem diskutiert

Deutschland ist eines von sieben Ländern in der EU, in denen es keine Bargeld-Obergrenze gibt. Spanien hat eine, Italien auch, genauso Belgien, Frankreich und die Slowakei. Wirklich zu stören scheint es dort niemanden. Wer höhere Summen bezahlen möchte, weicht auf Banküberweisungen, Bankkarten oder Schecks aus. Und überlebt es.

Wobei genau dieses "ausweichen" das eigentliche Problem zu sein scheint, so auch am späten Sonntagabend. Die Menschen möchten nicht ausweichen. Sie möchten, dass alles so bleibt, wie es ist. Oh, aber gleichzeitig soll bitte alles sicherer werden. Und schneller. Und moderner sowieso. Fortschritt ja, aber bitte erst, wenn wir das ausdiskutiert haben.

Zahlen sind selten schlechte Argumente

Klar, so funktioniert Demokratie. "Absolute Freiheit ist wilder Westen, absolute Sicherheit ist Diktatur", weiß auch Staatssekretär Meister. Und wiederholt sich: Die Bargeld-Obergrenze will Schäuble, ja. Mit den 500ern hat er nichts am Hut. Und mit einer kompletten Abschaffung des Bargeldes sowieso nicht.

Seine Argumentation schlägt die der Bargeldliebhaber in einem entscheidenden Punkt: Er hat Zahlen. Noch nie seit der Euro-Einführung gab es im Euro-Raum so viele falsche Banknoten wie 2015. 899 000 Blüten wurden laut der EZB aus dem Verkehr gezogen. Auch in Deutschland gab es im vergangenen Jahr so viele wie nie zuvor. Und fälschen lässt sich bekanntermaßen am leichtesten dort, wo am wenigsten kontrolliert wird. Gerade nach den Vorkommnissen in Paris, die auch irgendwie finanziert worden sein müssen, dürfte der Nährboden für eine Obergrenzen-Diskussion also eigentlich da sein.

Lieber ein Gedanke zu viel an den Datenschutz, als einer zu wenig

Schade nur, dass auch die Will-Runde nicht klären kann, ob so eine Bargeld-Obergrenze wirklich etwas gegen Terrorismusfinanzierung ausrichten könnte. Oder ob Kriminelle dann nicht einfach auf andere Mittel umsteigen würden, Gold etwa oder digitale Währungen wie Bitcoins. Der Korruptions-Experte in der Runde schweigt zu solch wirklich interessanten Fragen. Das nutzt immer wieder Lindner. Wer die Nadel im Hauhaufen nicht finde, der solle doch nicht noch mehr Heu produzieren, echauffiert er sich.

Ebenfalls zu kurz zwischen Earlybird-FDP-Wahlkampf, Schäuble-Papagei und Spießer-Autohaus kommt die Frage nach unseren Daten. Dabei ist sie es, die die Menschen vor den Fernsehern, die empörten Mit-500-Euro-Scheinen-bezahlen-Woller wirklich zu interessieren scheint. Sie möchten nicht endgültig gläsern werden, möchten nicht, dass die Bank jetzt auch noch den letzten Bezahlvorgang nachvollziehen kann, sofern sie denn will.

Die Datenschutz-Frage ist eine, die es sich in diesem Zusammenhang wirklich zu diskutieren lohnt. Im Gegensatz zu der bis zur Grenzenlosigkeit hypothetischen Frage, ob uns der Staat bald das Bargeld wegnimmt. Oder, wie Will es ausdrückt: "Noch ist es nicht entschieden - aber wir haben schon mal diskutiert."

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