Süddeutsche Zeitung

TV-Kritik: Anne Will:"Hau den Guido!"

Anne Will ließ die Schuldfrage diskutieren: Ist Außenminister und FDP-Chef Westerwelle das Opfer einer medialen Schlammschlacht - oder seiner eigenen Rhetorik?

Johannes Bockenheimer

Griechenland steht kurz vor der Pleite, in den USA wird erbittert um eine Gesundheitsreform gerungen und auf Island bricht ein gigantischer Vulkan aus. Und was hält Deutschland in Atem?

Guido Westerwelle - und das schon seit Wochen. Und auf allen Kanälen gleichzeitig: Egal ob es seine holprigen Englischkenntnisse, die rumpeligen Attacken gegen Hartz-IV-Empfänger oder fragwürdige Reisebegleiter auf der Dienstreise sind - am FDP-Chef und Außenminister Guido Westerwelle reibt sich derzeit scheinbar die ganze Republik.

"Ein Politiker hat Rede und Antwort zu stehen"

Grund genug für ARD-Talklady Anne Will am Sonntagabend zu fragen: Ist der Liberale selbst schuld an der Misere oder Opfer einer kampagnenhaften "Schlammschlacht"?

Beim Schweizer Journalisten Roger Köppel verursacht die Debatte über die Wirtschaftsdelegation zur Südamerikareise nur Stirnrunzeln und Kopfschütteln. Dass sich auf der Passagierliste ein Haufen FDP-naher Unternehmer ein Stelldichein geben, sei doch kein Zeichen von Günstlingswirtschaft. Dass man von Westerwelle erwarte, jeden der Mitreisenden vorab auf mögliche Verbandelungen zu durchleuchten, sei "Erbsenzählerei". Der Außenminister mache nur das, was von einem liberalen Politiker zu erwarten sei: Er werbe für Deutschlands Wirtschaft im Ausland, das sei doch gut.

PR-Berater und Publizist Klaus Kocks kann dieser Argumentation nur bedingt folgen: "Ein Politiker hat Rede und Antwort zu stehen." Aber er könne schon verstehen, dass Köppel das gut finde. Die meisten dieser Unternehmer zahlten ihre Steuern ja schließlich auch bei den Eidgenossen und nicht in Deutschland, giftet der PR-Mann.

Für "schuldig" plädiert auch Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Grüne). Die Auswahlkriterien erscheinen der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags konfus gesteckt: "Da war eine Künstlerin dabei, der hat er 2004 versprochen, wenn er mal Außenminister wird, dann nimmt er sie auf seine erste Dienstreise mit." Das komme ihr vor wie "Thomas Gottschalk und die Saalwette".

Die scharfe Sozialstaatkritik des FDP-Vorsitzenden bereitet ihr darüber hinaus Magenschmerzen: "Westerwelle will spalten, statt zusammenzubringen."

Letztlich wiederholt die Politikerin der Grünen, was sie bereits zwei Wochen zuvor in einem Interview angedeutet hatte: Dass der Außenminister seinem Amt nicht gewachsen sei.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wer in der Diskussion Partei für Westerwelle ergreift.

PR-Mann Kocks stört hingegen nicht alleine Westerwelles Fauchen über die "spätrömische Dekadenz", auch die ständige Präsenz des Lebenspartners stößt ihm übel auf. Er beklagt: "Sie haben ja physisch fast nicht mehr die Möglichkeit, dem Paar auszuweichen."

Hermann Otto Solms, an diesem Abend mit der Ehrenrettung der Liberalen betraut, kann sich angesichts dieser Vorwürfe nicht länger zurückhalten: Die Vorwürfe seien "absolut lächerlich", entgleitet es ihm ungewöhnlich harsch. Entschuldigend schiebt er etwas später nach, dass Westerwelles Doppeljob als Außenminister und Parteichef einfach ein "schwieriger Spagat" sei.

Sich selbst zum Abschuss freigegeben

Zur Seite springt ihm Weltwoche-Chefredakteur Köppel. Dass Politiker ganz gerne mal mit der Wirtschaft fremdgehen, sei nichts Neues, so der Schweizer. Und wie Gastgeberin Will in einem Einspieler bestätigt: Auch Westerwelles Vorgänger Steinmeier ging gerne mit SPD-naher Wirtschaftsgefolgschaft auf Weltreise. Warum also der Brass auf den FDP-Chef?

Der Außenminister habe das größte Tabu verletzt hat, das es für einen Liberalen in Deutschland gibt: "Er hat sich erlaubt, die Probleme des deutschen Sozialstaats beim Namen zu nennen." Damit habe er sich selbst zum Abschuss freigegeben, mutmaßt der Schweizer.

Immerhin lässt sich der Mann, über den an diesem Abend geredet wurde, nicht beirren: Noch vor einer Woche ließ Westerwelle die versammelten Medienvertreter auf dem NRW-Landesparteitag der FDP wissen: "Ihr kauft mir den Schneid nicht ab."

Doch die Konsumlaune unter deutschen Journalisten scheint momentan ohnehin schwindend gering, wie Hans Leyendecker, Leiter Investigative Recherche bei der Süddeutschen Zeitung, gegen Ende der Sendung durchblicken ließ: "Ich möchte von Herrn Westerwelle gar nichts kaufen, auch nicht den Schneid. Aber ich möchte nicht, dass er die Bundesrepublik verkauft. Meine Hoffnung ist, dass ich einen Außenminister habe, der dieses Land nicht verkauft."

Moderatorin Will bedankte sich am Ende schnell für die "interessante" Diskussion. Viel mehr als ein unterhaltsamer Schlagabtausch talentierter Rhetoriker war es allerdings nicht, weitere Guido-Debatten werden sicher folgen. Dafür eignet sich der "Provo" (Leyendecker über Westerwelle) einfach zu gut.

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