TV-Kritik: Anne Will:Ein skurriler Auftritt

Ein interessantes Gespräch, doch die Einordnung fehlt: Bei Anne Will geht es eigentlich um Libyen, aber eine wahrlich abenteuerliche These handelt von der Schweiz und den Konten von Mubarak, Gaddafi und Co.

Marlene Weiss

Kaum war die ARD-Talkrunde bei Anne Will zum Thema Libyen zu Ende, da lieferte Nachrichtenmann Tom Buhrow schon unwissentlich das Fazit dazu. Er eröffnete seine Tagesthemen mit einem Korrespondentenbericht aus dem libyschen Bengasi, doch leider spielte die Tonspur nicht mit: "Man hörte die Geräusche, aber nicht den Kommentartext", sagte Buhrow anschließend entschuldigend über die wirren Bilder. Große Teile der vorhergegangenen Sendung krankten an einem ähnlichen Mangel. Die Technik war allerdings nicht schuld daran.

Libyan leader Muammar Gaddafi addresses his supporters in Tripoli's Green Square in this still image taken from video

Muammar al-Gaddafi bei seinem jüngsten öffentlichen Auftritt auf dem Grünen Platz in Tripolis: Am Freitag forderte er seine Anhänger zum bewaffneten Kampf auf.

(Foto: REUTERS)

Das beginnt schon mit dem Sofagast: Stefan Plack, Leiter der Deutschen Schule in der libyschen Hauptstadt Tripolis, berichtet von seinen Erlebnissen im Krisenland und der Flucht aus dem Land am vergangenen Dienstag. Geräusche und auch Bilder gibt es genug in seiner Schilderung: Er habe zwar Schüsse gehört, aber die Schule dennoch nur vorübergehend geschlossen. Richtig ungemütlich wurde es offenbar erst, als eine Horde Plünderer begann, die Mauer einzureißen, die Placks Wohnhaus umgab. Dass Gaddafi so reagieren würde, nein, das habe man nicht ahnen können. Kommentartext? Fehlanzeige.

Aber immerhin: Das Gespräch ist nicht uninteressant an diesem Sonntagabend, wenngleich die Einordnung fehlt. Das ist den Gästen zu verdanken, die erstaunlich besonnen und diszipliniert miteinander reden; fast möchte man meinen, sie hören einander zu. Einzig Roger Köppel, Berufsprovokateur und Chef der Schweizer Wochenzeitung Weltwoche, nutzt die Gelegenheit, als Ein-Mann-Armee für eine gebeutelte Schweiz ins Feld zu ziehen. Ein skurriler Auftritt.

"Es war ein Fehler, Mubarak und Ben Ali die Konten zu sperren", schrieb Köppel vergangene Woche in der Weltwoche. "Entweder die beiden Ex-Staatschefs waren Verbrecher, und man hätte ihr Geld nie annehmen dürfen. Oder aber es waren legitime Kunden, die man schützen muss." Da Ersteres den unfehlbaren Schweizer Banken selbstredend niemals passiert sein könnte, scheint Köppel in bestechender Logik zu schließen, dass Mubaraks Milliardenvermögen wohl legitim erworben sein wird - Jahrzehnte harter Arbeit im Dienste des Volkes, freilich, da kann schon einiges zusammenkommen. Überhaupt werde in der Kontenfrage "billige Polemik gegen einen Kleinstaat" gemacht. Muammar al-Gaddafi wurde über Nacht von einem hochintegrierten Bestandteil der EU-Außenpolitik zur Persona non grata gemacht, und allein die Schweiz werde kritisiert - surreal sei das, klagt Köppel.

Anne Will übt sich wie meist in Minimalmoderation, aber da wird es selbst ihr zu bunt, und sie protestiert knapp. Und der ehemalige Bundesumweltminister und UN-Umweltdirektor Klaus Töpfer bemerkt trocken: "Wir greifen nicht die Schweiz an, sondern Sie."

Schön, dass das geklärt ist, das Gespräch kann zum eigentlichen Thema zurückkehren. Reichen die Sanktionen aus, oder sollte die internationale Gemeinschaft militärisch eingreifen? Zu einer klaren Antwort kann sich niemand durchringen. Stattdessen balanciert man auf dem schmalen Grat zwischen den Optionen, immer nervös die klaffenden Abgründe auf beiden Seiten im Blick: Rechts der US-Einmarsch im Irak, links der Genozid in Ruanda, dem die internationale Gemeinschaft tatenlos zuschaute. Auf der Suche nach Halt meißelt Töpfer gestikulierend die sogenannte Annan-Doktrin in die Luft, als sei sie das elfte Gebot: Die Souveränität eines Staates findet ihre Grenze bei den Menschenrechten. Was das im konkreten Fall heißen könnte, sagt er nicht.

Wenige Stunden vor der Sendung ist Frankreichs Außenministerin Michèle Alliot-Marie wegen ihres umstrittenen Tunesien-Urlaubs zurückgetreten. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Jürgen Trittin, sagt dazu, man müsse nicht einmal solche bizarren Geschichten bemühen - ganz Europa habe sich mit seiner Haltung zu der strauchelnden Diktatorenriege "fürchterlich blamiert".

Flüchtlinge? Die Moderatorin schweigt

Nach den Debatten zu Ägypten und Tunesien stellt sich ein starker Déjà-vu-Effekt ein: Lang ist die Liste der Politiker, die Gaddafi in den vergangenen Jahren besuchten und mit ihm zusammenarbeiteten, vom französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy über den ehemaligen britischen Premierminister Tony Blair bis zu Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder. Und als wenn es noch nötig wäre, stellt die ehemalige WDR-Korrespondentin in Kairo, Golineh Atai klar, dass Gaddafis vermeintlicher Wandel vom Saulus zum Paulus im Innern des Landes nie stattgefunden habe.

Später soll noch von den Flüchtlingsströmen die Rede sein, die auf Europa zurollen. Leider kann die Runde sich nicht recht einigen, um welche Sorte Flüchtlinge es gehen soll: Die Tausenden Tunesier, die derzeit auf Lampedusa landen? Die Million Flüchtlinge aus Libyen, mit denen die italienische Regierung rechnet? Oder etwa Wirtschaftsflüchtlinge aus Schwarzafrika, die bislang Gaddafis Bollwerk Libyen zurückgehalten hat? Die Moderatorin schweigt.

Entsprechend gehen die Meinungen auseinander: Trittin hält die Aufnahme von wenigen tausend Flüchtlingen für unproblematisch, während Philipp Mißfelder, außenpolitischer CDU/CSU-Fraktionssprecher, lieber verbesserte wirtschaftliche Zusammenarbeit fordert. Und für Klaus Töpfer ist die ganze Debatte unrealistisch: In Afrika gebe es viele junge, gutausgebildete Menschen ohne wirtschaftliche Perspektive, in Europa eine überalterte Bevölkerung, die an ihrem Wohlstand festhalten will, dazwischen nur 14 Kilometer Meer: "Es geht nicht darum, ob wir sie aufnehmen - die werden kommen", sagt er.

Trotzdem findet Hilfsmoderator Töpfer ein versöhnliches Schlusswort: Wenn man sich darauf einigen könne, dass "bei uns kommt keiner rein" nicht ausreiche, sei man schon weit über das Stammtischniveau hinausgekommen. Das kann man wohl so stehen lassen.

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