Am Anfang sieht man einen Mann, der eine Frau an einen Stuhl gefesselt hat. Er genießt seine Macht, doch plötzlich steht der Ex-Freund der Frau im Raum und überwältigt den Übeltäter. Dann ein Schnitt, ein Gerichtsverfahren, Karla Eckhardt wird in den Zeugenstand gerufen. Sie ist Psychiaterin, betreut Straftäter, beurteilt sie fürs Gericht. Bevor sie viel sagen kann, springt der Film in der Zeit zurück und zeigt, wie Karla Eckhardt mit dem Täter umgeht, wie sie ihn ausfragt, aber schon nach kurzer Zeit von ihm ausgefragt wird. Rasch kommt sie zu der Erkenntnis, dass sie es mit einem Serientäter zu haben könnte, der möglicherweise noch irgendwo jemanden gefangen hält. Sie will unbedingt herausfinden, ob das stimmt. Mit allen Mitteln.
"Im Schatten der Angst" wird als Psychothriller angekündigt, und der Film löst dieses Versprechen über weite Strecken auch ein, wenn er den Machtkampf zeigt zwischen der Psychiaterin und dem Täter. Justus von Dohnányi spielt ihn mit beeindruckender Präzision. Jede Gesichtsrührung spielt da eine Rolle, wenn er die Wortführerschaft an sich reißt und immer wieder deutlich zu machen versucht, wer in diesem Duell die Regeln bestimmt.
Rebekka Reuber und Marie-Therese Thill haben das ins Drehbuch geschrieben, und Till Endemann hat es so packend inszeniert, dass man als Zuschauer dem Geschehen förmlich ausgeliefert wird, denn natürlich hat Dohnányi einen adäquaten Gegenpart. Julia Koschitz spielt die Psychiaterin, sie kann fantatstisch mit ihrer Mimik erzählen. Dieser Film ist trotz der hervorragenden Leistung von Dohnányi ein Koschitz-Solo. Die Kamera liebt sie, und sie rechtfertigt diese Liebe mit jedem Zucken.
Rasch entspinnt sich in dieser Kammerspielatmosphäre ein spannender Zweikampf um die Frage, wer wessen Ängste und Traumata besser und schneller erkennt, wer Macht gewinnt über wen. Befeuert wird das von sehr besonderen Regieeinfällen. So ist etwa das Befragungszimmer ganz in Pink gestrichen. Angeblich soll das beruhigen, aber es liefert natürlich auch einen wunderbaren Kontrast zu den düsteren Gedanken, die ausgetauscht werden.
Dass der Film am Ende dann doch nicht in die "Schweigen der Lämmer"-Klasse aufsteigen kann, liegt an ein paar Szenen, die zu deutlich Offensichtliches vorführen, die Klischeeszene etwa, in der sie keuchend aus einem Albtraum erwacht. Oder die etwas einfältig wirkende Schlussszene, die ganz offensichtlich eingebaut wurde, damit zartbesaitete Zuschauer halbwegs befriedet ins Bett gehen können.
Doch das schmälert den Gesamteindruck nur minimal. Man wird sich danach noch eine Weile an die Spielchen von Täter und Gutachterin erinnern und an die Leistung von Julia Koschitz. Wer sie noch nicht als ganz Große des deutschen Filmgeschäfts auf der Rechnung hat, kann sich hier eine Lektion abholen.
Im Schatten der Angst, ZDF, 20.15 Uhr.