TV-Köche ohne Zuschauer:Wo man hinzappt, steht ein Herd

Kochen im Fernsehen ist nach wie vor en vogue: Den Werbekunden gefällt's, doch den Zuschauern schon lange nicht mehr.

Rupert Sommer

"Wer Spargel isst", zitiert Tim Mälzer die alte Küchenweisheit, "der sündigt nicht." Mit breitem Grinsen schält er Stangengemüse, behält dabei die köchelnde Bernaise im Auge und fügt grinsend hinzu: "Als alter Pinneberger Rabauke kann ich das nicht bestätigen." Mit seiner Mischung aus Lausbubencharme, aufgekratztem Temperament und dem Bekenntnis zur bodenständigen Küche sollte er am Samstagnachmittag in der ARD-Küche vor allem den jüngeren Schleckermäulchen Appetit aufs Erste machen. Doch das funktioniert nicht.

TV-Koch Johann Lafer Foto: dpa

Echter Heißhunger sieht anders aus: TV-Zuschauer wollen Kochshows - hier TV-Koch Johann Lafer - nicht mehr sehen.

(Foto: Foto: dpa)

Meist gibt es samstags lediglich etwas mehr als 900.000 stille Genießer vor dem Fernseher. Nur knapp 200.000 14- bis 49-Jährige hatten sich für die Vorzeigesendung Tim Mälzer kocht! versammelt. Nach großen Erfolgen mit seiner einstigen Vox-Show Schmeckt nicht, gibt's nicht hatte die ARD auf einen weiteren Quotenhit gehofft. Seit April 2009 versucht sich der Kulinarik-Rockstar und Kochunternehmer nun im Ersten - doch die Fans sind übersättigt. Echter Heißhunger sieht jedenfalls anders aus.

Ähnlich trübe Stimmung in der ZDF-Schmankerlküche, wo nachmittäglich Markus Lanz in Johnnes-B.-Kerner-Tradition die Schürze umbindet: Auf die Parole Lanz kocht reagieren die Fans noch zurückhaltender. Zeitgleich zur Kochstunde von Tim Mälzer interessieren sich an schlechten Tagen lediglich etwa 740.000 Fans für die Mainzer Hausmannskost, mit einem Marktanteil von knapp sieben Prozent liegt das Format meilenweit unter dem üblichen ZDF-Senderschnitt.

Auch mit Haubenkoch-Hilfe bekommt das Zweite die Zuschauer nicht zurück an den Herd: Lafer! Lichter! Lecker!, die 2006 gestartete, lange Zeit sehr erfolgreiche Brutzelrunde, hat nur noch 1,2 Millionen TV-Gourmets. Spitzenwerte wie jenen mit über zwei Million Zuschauer gab es zuletzt im November 2007.

"Essen und TV-Konsum", klagt Heike Lautenbacher, "haben eines gemeinsam: Was nicht schmeckt, das kommt auch nicht mehr auf den Tisch." Als Media-Managerin bei der auf die Planung und den Verkauf von Fernsehwerbespots spezialisierten Münchner Agentur Mediaplus registriert sie den wechselnden Zuschauer-Geschmack und die schwankenden TV-Trends genau. Den Kochsendungen - mit bis zu 25 Formaten allein auf den Hauptsendern - stellt sie magere Jahre in Aussicht.

"Der Overkill ist erreicht"

"Kochen war in den letzten Jahren ein großer Programmtrend", erklärt sie. "Demzufolge gab es seit 2006/2007 einen wahren Boom an Kochsendungen" - dumm nur, dass viele Klassiker wie die Shows von Mälzer, Lafer, Lichter und Co. Zuschauer verlieren und uninspirierte Neustarts wie Das Fast-Food-Duell (Kabel eins) oder Die Küchenschlacht im ZDF nicht wirklich angenommen werden.

"Der Overkill ist erreicht", bestätigt auch Jörg Menkhoff, der als Unit Director bei der Agenturgruppe Aegis Media das Fernsehgeschäft im Auge hat. "Den Kochshows geht es nicht anders als den Talk- und Gerichtsshows", klagt er. "Irgendwann ist es nun einmal genug - und dann bleiben nur die Originale übrig."

Bei vielen Nachahmer-Formaten vor allem auf kleineren Privatsendern senkt er immer häufiger den Daumen. "Was bringt mir Frank Rosin, was Christian Rach nicht schon gezeigt hatte?", schimpft er über die mittelprächtig gelaufene Kabel-eins-Dokusoap Rosins Restaurant, die sich eng an den RTL-Klassiker Rach - der Restauranttester angelehnt hatte. Doch selbst die angestammten Platzhirsche - darunter der Vox-Dauerbrenner Das perfekte Dinner, geraten immer öfter unter Druck.

"Eine gewisse Abnutzung nach mehr als 1000 Sendungen", so Menkhoff, "ist völlig normal. Wie in Hochzeiten vor zwei bis drei Jahren das 2,5fache des Senderschnitts kann eine Sendung auf Dauer nicht halten." Für die RTL-Kochprofis musste nach einer Neubesetzung erst ein erfolgversprechender Sendeplatz gesucht werden. Seit die Sendung am Dienstag angesetzt ist, läuft es für den Sender wieder einigermaßen rund.

Die Probleme der Kochsendungen, darüber sind sich TV-Experten und das übersättigte Fernsehvolk offenbar einig, sind hausgemacht. "Die Sendungen sind austauschbar geworden", kritisiert Andreas Müller von der Frankfurter Agentur Optimedia. Die klassischen Tugenden der Sendungen, die Lust zum Mitkochen erwecken sollten, werden in der Flut der lieblosen Plagiate vernachlässigt. "Das Kochen rückt mehr und mehr in den Hintergrund", sagt Müller. "Der praktische Nutzen für erfolgreiches Kochen wird nicht mehr gezeigt. Showelemente oder voyeuristische Themen werden zur Quotenabsicherung eingesetzt." Und selbst dieses Kalkül geht häufig nicht auf.

Versalzene Quotenbilanzen

"Die Fernsehzuschauer haben nicht die Lust am Kochen verloren", bilanziert Wolfgang Schuldlos, Geschäftsführer der Münchner Mediaagentur Zenithmedia, nüchtern. "Das Fernsehen selbst hat den Zuschauern die Lust verdorben, eine Vielzahl von gleichartigen Formaten zu verfolgen." Ähnlich wie auf immer gleiche Quizformate reagierten die Fans zunehmen genervt auf gar nicht neue Koch-Ideen. "Im Bereich des Wettbewerbkochens und des Showkochens finden wir einen hohen Zuwachs von Kochformaten, der sich beim Zuschauer wie übermäßiges Essen auswirkt: mit Magenschmerzen und Völlegefühl", schimpft Schuldlos.

Doch von versalzenen Quotenbilanzen lassen sich viele Programmplaner offenbar nicht beeindrucken. Für den Einsatz im Sommer sucht Sat 1 per öffentlicher Ausschreibung Kandidaten für das neue Wett-Schnippeln Deutschlands Meisterkoch. Dabei sollen Nachwuchstalente von einer dreiköpfigen gestrengen Jury bewertet werden. Das erinnert an DSDS oder Das Supertalent. "Sie sollten den Biss haben", heißt es im Casting-Aufruf vollmundig, "zu den Maîtres de Cuisine gehören zu wollen." Wer könnte da zögern?

Kochen wird zum Event

Eher hemdsärmelige Genüsse verspricht der Brite Valentine Warner, der für RTL 2 seit 8. Juni jeweils dienstags Lachse fängt und Fasane nach Gutsherrenart anrichtet. Seine BBC-Sendung machte ihn in Großbritannien zum Star. Von Ferne drängt sich hier der Vergleich mit Arte-Küchenmeisterin Sarah Wiener auf, die sich gerne auch mal beim Hühner-Rupfen filmen lässt.

Vor allem werbefinanzierte Sender halten in Krisenzeiten an derartigen Sendungen fest, denn sie bieten eine geradezu maßgeschneiderte Abverkaufsfläche für die Nahrungsmittelmarken des täglichen Bedarfs, den sogenannten Fast Moving Consumer Goods (FMCG). "Eine an sich alltägliche Tätigkeit wie Kochen", so Heike Lautenbacher von Mediaplus, "wird hier zum spannenden Event stilisiert." Das kommt bei den Werbekunden gut an. "Es ist angenehmer im Umfeld von Tomatensoße zu werben als im Umfeld von Blutpfützen", so Zenithmedia-Boss Wolfgang Schuldlos.

Gute Kochsendungen schulen den Geschmack

Dass im deutschen Fernsehen viel gekocht wird, registriert man schließlich auch beim Hotel- und Gaststättenverband Dehoga mit Wohlwollen. "Wenn sich mehr Menschen für die Wertigkeit und die Zubereitung von Lebensmitteln interessieren", so Dehoga-Sprecherin Stefanie Heckel, "ist das positiv." Allerdings geht die Gleichung "Koch-Genießer tragen mehr Geld in die Wirtschaft" für ihren Verband in Zeiten knapper Kassen eben doch nicht auf. "Auch wer schicke hochformatige Kochbücher im Regal hat", so Heckel, "geht nicht unbedingt häufiger in Restaurants."

Im Gegenteil: Gute Kochsendungen schulen den Geschmack. Und dann bleiben die wahren Genießer zu Hause und kochen selbst. Zum Beispiel das leckere Spargel-Rezept von Tim Mälzer - vorausgesetzt, sie gehören zu den wenigen treuen Stammgästen, die bei seiner Samstagssendung das Einschalten mal wieder nicht vergessen haben.

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