TV: Jahrestag der Loveparade-Katastrophe:Am Ende des Tunnels

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Doku ist nicht gleich Doku: Mit den Programmen zum Jahrestag der Duisburger Loveparade offenbaren private und öffentlich-rechtliche Sender ihre Qualitätsunterschiede - und widerlegen deutlich Argumente angeblicher Konvergenz.

Hans Hoff

Am Anfang steht ein ewiges Licht, eine kleine rote Grabkerze, in einem Tunnel. Ein Auto fährt vorbei und erleuchtet mit seinen Scheinwerfern nur ganz kurz die Düsternis. Eine Dreiviertelstunde später sind an einem hellen Tag zwei herzförmige Luftballons zu sehen, verfangen in einem Baum. Sie kommen nicht weg, bleiben verhaftet mit dem, was am Boden passiert - so wie wohl auch die Menschen verhaftet bleiben mit dem, was am Boden passiert ist. "Es war der für uns beste Tag, der uns eingefallen ist, heute zu heiraten", sagt ein Mann. Es ist Fabians Vater, der Fabians Mutter nach 25 Jahren Partnerschaft vor den Altar führt. An Fabians Geburtstag. Ein Geburtstag, den Fabian nicht mehr erlebt, weil er einer der 21 jungen Menschen ist, die am 24. Juli 2010 im Gedränge der Duisburger Loveparade zu Tode kamen.

Mahnmal für die Opfer des Loveparade-Unglücks  in Duisburg: 21 Menschen kamen bei dem Musikspektakel am 24. Juli 2010 ums Leben. (Foto: dapd)

Im WDR-Film Die letzte Loveparade gehen Eva Müller und Maik Bialk an diesem Mittwoch im Ersten der Frage nach, wie Menschen mit dem aus der Katastrophe resultierenden Verlust, wie sie mit ihrer Verantwortung umgehen. "Es ist eine Frage der Moral", heißt es einmal sehr richtig aus dem Off. Am Ende stehen keine Antworten, nur die Ballons, die wohl Hoffnung signalisieren sollen und ein bisschen für die Kraft der Bilder stehen, denen die Autoren in ihrer bemerkenswert unaufgeregten Art vertrauen.

Vor dem Jahrestag der Duisburger Loveparade beschäftigen sich viele Beiträge mit der Aufarbeitung. Das ZDF verarbeitet das Geschehen an diesem Dienstag in einer so genannten Doku-Fiction mit dem Titel An einem Tag in Duisburg, und das WDR-Radio nähert sich dem Geschehen am 19. Juli (1Live) beinahe literarisch. Hier kommt keiner lebend raus ist ein faszinierendes Hörstück, das wirkt wie ein endloser Technotrack, bei dem in brutaler Monotonie alles ineinander fließt, indem sich die einzelnen Worte zu einem Wortfluss vereinigen, so wie wohl auch die Besucher der Loveparade miteinander verschmelzen wollten. "Man war da, um da zu sein, und alle, die da waren, waren zusammen die Loveparade", heißt es. Abseits der Suche der Verantwortlichkeiten versucht das Feature jenen Moment zu fassen, an dem der Drang nach dem größtmöglichen Miteinander kippte ins tödliche Gedränge. "Die Menge will sich gemeinsam voneinander fortbewegen", heißt ein Satz, der, so paradox er klingt, wohl dem sehr nahe kommt, was dort geschah.

Vor allem aber zeigen die einzelnen Beiträge, wie unterschiedlich man sich einem Thema nähern kann. Die einen bemühen sich um stille Aufklärung, während andere die ganz große Glocke läuten. Da steht auf der einen Seite die WDR-Dokumentation mit ihren ruhigen Bildern und ihrem aufrichtig wirkenden Bemühen, ein bisschen das Verstehen zu erlernen. Auf der anderen Seite steht ein Spiegel-TV-Beitrag, der bei Vox als große Samstags-Dokumentation läuft. Hier schert man sich einen Teufel ums Verstehen und pflegt stattdessen nur den schon schlechte Gewohnheit gewordenen Privatsender-Alarmismus. Eine amtlich genehmigte Katastrophe? heißt der 95-Minüter im Untertitel und deutet damit schon an, dass er nach Verantwortlichen, besser vielleicht: nach Schuldigen suchen will. Dabei verliert der Beitrag mehr als einmal das Gebot der Verhältnismäßigkeit aus den Augen.

Auch bei Vox beschäftigt man sich mit Menschen, die Angehörige verloren haben, und so wie sie reden, deutet alles auf einen vordergründig verantwortungsvollen Umgang mit dem Leid hin. Es ist indes die Montage, die aus diesem Film eine schier unerträgliche Angelegenheit macht. Es ist der aus etlichen Spiegel TV-Beiträgen gewohnte, überpathetische Ton, der schon im Vorfeld der Ereignisse nach Anzeichen für die drohende Katastrophe sucht und sie in besserwisserischer Hätte-man-doch-vorher-wissen-können-Manier natürlich auch findet. Dazu kommt die übliche Spiegel-TV-Musiksoße, die derart auf Drama gepeitscht ist, dass einem als Zuschauer rasch die pure Wut hochkocht über die Art, wie hier auf dem Rücken von Opfern auf Quote-komm-raus inszeniert wird. Natürlich wird auch vor schlimmsten Plattitüden nicht zurückgeschreckt. "Für die Angehörigen gibt es noch kein Licht am Ende des Tunnels" heißt es gegen Ende, und gezeigt wird natürlich ein dunkler Tunnel mit einem hellen Punkt am Ende. Setzt man nur einmal die Tunnelbilder der WDR-Doku und des Spiegel-TV-Films nebeneinander, zeigt sich überdeutlich, welche Welten zwischen Doku und Doku liegen können.

Belegt wird das auch durch die Art, wie die an der Organisation Beteiligten zu Wort kommen. In beiden Filmen sind Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland und Loveparade-Veranstalter Rainer Schaller zu sehen. In beiden Filmen äußern sie sich zu ihrer Verantwortung und zu ihren Fehlern. Es ist nichts Falsches an den einzelnen Ausschnitten, doch durch die Art, wie sie in den Kontext gesetzt werden, entsteht bei Vox im Subtext der Eindruck einer auf Powerrotation gesetzten Anklage, während beim WDR durchaus das Gefühl erweckt wird, man könne das alles ein bisschen besser verstehen.

Viel wird dieser Tage geredet von Konvergenz, von der Angleichung der Programme. Der Umgang mit dem Geschehen der Loveparade zeigt auf traurige Weise, dass es immer noch eine höchst gewichtige Frage ist, welchem Kanal man sich bei ernsten Fragen anvertraut und welche Welt man dort präsentiert bekommt.

An einem Tag in Duisburg, ZDF, 12. Juli, 20.15 Uhr ; Die letzte Loveparade - Verlust und Verantwortung nach der Katastrophe, ARD, 13. Juli, 23.30 Uhr; Niemand kommt hier lebend wieder raus, 1Live, 19. Juli, 23.00; Die Loveparade von Duisburg - Eine amtlich genehmigte Katastrophe?, Vox, 23. Juli, 22.10 Uhr.

© SZ vom 12.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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