Süddeutsche Zeitung

TV-Serien:Sommerloch im TV - Zeit für Experimente

Anders als das deutsche Fernsehen kennen amerikanische Sender keine bräsigen Sommer-Wiederholungen. In der quotenarmen Zeit setzen sie auf Risiko - vor allem mit Serien.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Der Sommer im deutschen Fernsehen ist eine traditionell traurige Angelegenheit, vor allem dann, wenn einen sportliche Großereignisse nicht über das Fehlen eines sonstigen TV-Programms hinwegtrösten können. ARD und ZDF, aber auch die Privatsender verabschieden sich aus Angst vor wetterbedingten Quotenschlappen für mehrere Wochen quasi komplett in die Wiederholungsschleife, ganz so, als ob das gesamte deutsche Fernsehpublikum kollektiv drei Monate an einem Mittelmeerstrand läge und keinerlei TV-Unterhaltung mehr nötig wäre.

Das alles ist lange bekannt und wurde oft beklagt, umso erstaunlicher aber ist, wie komplett anders sich die Lage im US-Fernsehen darstellt. Denn dort ist das Sommerloch in den vergangenen Jahre komplett aus der Mode gekommen. Sendepausen in der heißen Jahreszeit gibt es nicht mehr, im Gegenteil: Die Sommermonate im amerikanischen Fernsehen sind eine Zeit des kreativen Überflusses.

Die Serie "Mr. Robot" hätte im Herbstprogramm vermutlich keine rechte Chance gehabt

Um es in Zahlen zu erklären: Es werden in diesem Sommer neue Folgen von insgesamt 63 Serien zu sehen sein, darunter solch faszinierende Projekte wie die Comicbuch-Adaption Preacher, das Drama Greenleaf über eine afroamerikanische Dynastie in Tennessee oder die Krimiserie The Night Of. Es gibt neue Staffeln des Frauenknast-Knallers Orange Is The New Black, von der Sozialstudie The Haves and the Have Nots - und natürlich von Mr. Robot. Die Geschichte des paranoiden Hackers Elliot (in Deutschland bei Amazon Prime zu sehen) gilt derzeit als Favorit auf den Titel der besten Dramaserie bei der Emmy-Verleihung im Herbst und auch als Beleg dafür, warum Serien auch zur Sommerzeit hervorragend funktionieren können.

Man würde es sich zu einfach machen, allein den Erfolg der Streamingportale und die damit verbundene Revolution bei der Rezeption von TV-Serien dafür verantwortlich zu machen, dass die traditionellen Sender auch im Sommer kreativer werden. Natürlich stehen sie unter Druck, wenn Netflix, Hulu und Amazon neue Inhalte veröffentlichen. "Wir wollten etwas ausprobieren und eine Serie versuchen, an deren Stoff wir uns im Herbst vielleicht nicht getraut hätten", sagt aber Chris McCumber. Er ist Präsident des Senders USA, auf dem Mr. Robot, der fiktive Hackerangriff auf das weltweite Finanzsystem, gezeigt wird: "Es gibt heutzutage so viele Inhalte. Du musst einzigartig sein, damit du auffällst. Wir wollten eine ungewöhnliche Figur in einer außerordentlichen Situation zeigen - und wir ernten nun die Früchte, weil es geklappt hat."

Mr. Robot ist ein gutes Beispiel für diese Entwicklung, weil das Kalkül des Senders hier so offensichtlich gut aufgegangen ist. Die Sender zeigen während des einst auch in den USA missachteten Sommers nicht mehr nur Wiederholungen bereits gezeigter Serien, sondern mutige und bisweilen riskante Projekte. Denn klar ist: Der Sommer bietet den Produzenten die Möglichkeit, auch mal eine Serie zu wagen, die im Herbst, wenn die Konkurrenz und der Druck viel größer sind, keine Chance gehabt hätte oder bereits nach wenigen Episoden eingestellt worden wäre. Sie wissen, dass aus diesen Projekten mittlerweile Emmy-Kandidaten werden. Die Firmen haben im immer härter werdenden Geschäft den Sommer als risikoarme Versuchsfläche für sonst eher einmal aussortierte Projekte entdeckt; es profitiert vor allem auch das Publikum.

Der experimentelle Charakter geht bei Mr. Robot noch weit über den Inhalt der Serie und ihren scheinbar unorthodoxen Sendeplatz hinaus, denn der Sender USA vermarktet Mr. Robot nicht nur als Geschichte, sondern als Multimedia-Erlebnis. "Wir versuchen, ein Erlebnis zu stricken, das über die zwölf Folgen hinausgeht", sagt McCumber. Es werden Spuren auf Handlungsstränge in sozialen Netzwerken gelegt, auch irreführende Hinweise sind dabei. Die Sendung solle schließlich "anarchisch" sein und gegen Regeln verstoßen, heißt es vom Sender.

Direkt nach jeder Folge gibt es mittlerweile eine Nachbetrachtung auf dem Internetportal The Verge mit der Analyse eines Sicherheitsexperten der Computerfirma HP, wie realistisch die gezeigten Szenarien aus Hackersicht denn seien. Die Serien-Produzenten kommunizieren intensiv mit den interessierten Zuschauern auf Twitter und antworten auf jeden noch so kleinen Eintrag. Es gibt eine Kooperation mit einem New Yorker Designerladen, in dem Produkte zur Serie feilgeboten werden. "Wir wollen den Fans so viel Unterhaltung wie möglich bieten und nicht mehr wie früher einfach jede Woche eine Folge zeigen und das war's", sagt McCumber.

Für den deutschen Fernsehzuschauer, der seit Anfang Juni etwas ratlos zwischen Krimi-Wiederholungen und Krimi-Wiederholungen hin und her zappt, dürfte aber vermutlich sogar das schon recht verlockend klingen.

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SZ vom 09.08.2016/cag
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