Süddeutsche Zeitung

TV-Geschichte:Als Willy Brandt es Farbe werden ließ

Am 25. August 1967 um 10 Uhr 57 läutete der damalige Vizekanzler das Zeitalter des Farbfernsehens ein - und trug damit irgendwie auch zum Niedergang des Ostens bei.

Von Willi Winkler

Berlin war seine Stadt, in Berlin hatte er den Kommunisten getrotzt, in Berlin war er mit kummervoller Miene vor der Mauer gestanden, die der bewunderte Kennedy hintenherum dem finsteren Walter Ulbricht zugestanden hatte. Inzwischen war Willy Brandt Außenminister geworden und nach Bonn umgezogen, aber am 25. August 1967 kehrte er noch einmal in die Frontstadt zurück, besuchte die Internationale Funkausstellung (IFA) und drückte um 10 Uhr 57 auf den Knopf, um ein neues Fernsehzeitalter zu eröffnen. Wer es sich leisten konnte - ein Farbfernseher mit dem neuen PAL-System kostete gut und gern seine zweitausend Mark, mit zweien reichte es bereits knapp für einen abgasintensiven Käfer -, sah die Welt jetzt schöner, als sie war, und auf jeden Fall farbig. In der DDR brauchten sie dafür zwei Jahre länger. Was für ein Triumph: Der Westen hatte im Wettstreit der Systeme gewonnen; die Kränkung durch den sowjetischen Sputnik zehn Jahre zuvor war vergessen. Die im Osten schauten dumm und dann heimlich.

Es wurde 1967 höchste Zeit für Farbe. Die Hippies kleideten sich so kühn, dass auch der mittlere Angestellte zur violett grundierten Paisley-Krawatte greifen konnte und auf einen Chef traf, der aus dem Urlaub mit Nackenwelle und einer orangenen Naht am Sakko wiedergekommen war. Die Beatles, immer vornedran im populären Geschmack, ließen sich von Heinz Edelmann in kreischbunte Comicfiguren verwandeln und gingen im gelben Unterseeboot auf Tauchfahrt, um die Welt vor der Eingräuung durch die Blaumiesen zu bewahren.

Zwei Monate vor Brandts Knopfdruck war die Welt statt mit Farbe mit fast ebenso viel Liebe überschwemmt worden. Die Beatles präsentierten ihr eigens für die Sendung Our World geschriebenes Lied "All You Need Is Love". Die Darbietung wurde in 26 Länder übertragen und angeblich von 400 Millionen Menschen gleichzeitig gesehen. Begleitet von einem 13-köpfigen Orchester verkündeten sie in Simple English, unterstützt mit Schrifttafeln, auf denen in noch schlechterem Französisch, Deutsch und Italienisch die Aussage wiederholt wurde, ihre zu Herzen gehende Botschaft: Alles, was du brauchst, ist Liebe. Dazu trugen die vier Musiker besonders farbige Kostüme, große Ballons changierten in primären Hippiefarben, Mick Jagger, Eric Clapton und Graham Nash schüttelten beim Klatschen im Studio ihr befreundetes Langhaar.

Doch wie das so ist bei Bildern, sie trügen im Zweifel und zeigen nichts als schönen Schein. Das ganze bunte Treiben ging nämlich wie Brandts Knopfdruck schwarzweiß über den Satelliten, weil das Farbfernsehen ja noch nicht erfunden war. Der Film, der die Fab Four auf dem Gipfel des Weltruhms zeigt, ist erst Jahrzehnte später nachkoloriert worden. Weshalb die nachwachsende Jugend sich die Augen reibt und den Großvater erstaunt fragt: Gab es überhaupt je eine Zeit, in der die Welt, die durchs Fernsehen kommt, anders war als so bunt wie heute? Doch, doch, die gab es, und bis vor Kurzem war selbst das Wunder von Bern, der Sieg der deutschen Mannschaft gegen Ungarn 1954, so schwarz-weiß wie die Trikots des Nationalteams.

Bereits zwei Jahre nach Brandts Knopfdruck und viel früher als das gemeine Volk, das die Investition trotz des "Knalleffekts" (die allzeit fesche Dirndl-Moderatorin Carolin Reiber) noch lange scheute, kaufte sich Arno Schmidt ein Farbgerät mit dem schönen Namen "Grundig color electronic". Arno Schmidt? Kennt natürlich keiner mehr, war nie im Fernsehen und wenn, dann nur schwarz-weiß. Der bedeutendste deutsche Autor der Nachkriegszeit hatte sich 1958 in ein Hundert-Seelen-Dorf in der Lüneburger Heide zurückgezogen, um dort fernab der Welt nur mehr zu schreiben. Nach des Tages Müh' und Plag' suchte er verständlicherweise den Blick in genau die Welt, von der er sich abgewandt hatte. Den gewährte nur der Fernseher, den Schmidt in seinem Riesenwerk "Zettel's Traum" 1970 streng kulturkritisch, wenn auch nicht ganz konsequent, als "Gerät zur Bildung collectiver Hölluzinationen" entlarvte.

Fernsehkritik ist so alt wie die Welt, aber selbst der deutsche Situationist Dieter Kunzelmann wusste sich in der Kommune 1 nichts Schöneres als die Wiederholung der Sissi-Filme im Fernsehen. "Nicht das Leiden", versichert der offensichtlich ähnlich süchtige Michel Houellebecq, "sondern das Fernsehen verlieh dem Menschen eine zusätzliche Würde." Als Nina Hagen 1976 nach Wolf Biermanns Ausbürgerung aus dem plastebunten Ostberlin rübermachte in den prilblumenfarbigen Westen, wurde sie Punk, aber nicht weniger kulturkritisch als Arno Schmidt.

"Ich schalt' die Glotze an", sang, gluckste, kiekste, juchzte sie über knapp vier Oktaven, "ich kann mich gar nicht entscheiden/Ist alles so schön bunt hier!" Nein, Nina, das Fernsehen war nicht bunter als sonst, sondern der Westen, der konnte es nicht lassen und musste auftrumpfen im Wettstreit der Systeme, den er schließlich mit meilenweitem Vorsprung und nicht wenigen Fehlfarben gewann.

"Ist alles so schön bunt hier", kiekste Nina Hagen. Aber das galt ja vor allem für den Westen

Hat das Farbfernsehen den Niedergang des Ostens beschleunigt? Mit Sicherheit. Nicht Berlin, nicht die IFA, nicht die Filmfestspiele oder die Grüne Woche, sondern das bunte Fernsehen bot ein Schaufenster in den Westen, in dem alle eine große Wohnung, einen BMW und einen Hund besaßen, der so gut erzogen war, dass er morgens gar nicht rausmusste. Trotzdem war das Farbfernsehen auch im Westen nur zögernd angenommen worden. Drei Jahre nach Einführung verfügte nur ein Fünftel der Haushalte über ein farbfähiges Endgerät. Den richtigen Schub brachte erst die Vorfreude auf die Olympischen Spiele 1972 in München. Jetzt lohnte sich der Kauf, es gab was zu sehen. Auch das Paar in "Zettel's Traum" hält sich gegenseitig vor: "Wer bei'n Ollympüschn Spieln am meistn vor der Scheibe hockD". Na wer wohl: alle.

"Ich bin so tot!", jammerte Nina Hagen 1978, tot und ertrunken in all der Farbe, doch seit 50 Jahren gilt der ästhetische Imperativ: All you need is Farbe. Obwohl: Schwarz-weiß ist manchmal auch ziemlich gut. Hat hier jemand The Party gesehen, den Film von Sally Potter mit dem unversehrt aus dem Bunker auferstandenen Seltsamkeitstherapeuten Bruno Ganz?

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SZ vom 25.08.2017/luch
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