TV-Ereignis Ramadan:Wie 30 Tage Superbowl

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Fast 500 Sendungen werden jedes Jahr auf dem arabischen Markt exklusiv für das TV-Spektakel Fastenzeit produziert: Szenen aus Schwarze Krähen, Mini-IS, Die Geister des Adly Allam mit Altstar Adel Imam sowie Ramez unter der Erde (von oben links nach unten rechts).

(Foto: MBC (3), AL-NAHAR)

Im Fastenmonat Ramadan versammelt sich die ganze arabische Welt vor dem Fernseher. Viele Formate sind deftig: fingierte Entführungen mit versteckter Kamera und IS-Terror als Serie.

Von Moritz Baumstieger

Zum Fastenbrechen serviert der arabische Satellitensender MBC schwere Kost. An diesem Samstag beginnt der Fastenmonat Ramadan, und wenn sich die Menschen nach Sonnenuntergang im Familienkreis versammeln, um erst eine Dattel und ein wenig Saft, dann eine ordentliche Portion warmes Essen zu vertilgen, dürften in vielen Wohnzimmern der arabischen Welt düstere Szenen auf den Fernsehbildschirmen laufen: Die Geschichten von Sex-Sklavinnen im Teenageralter, die von Aufseherinnen angehalten werden, sich vor den Vergewaltigungen durch IS-Kämpfer ein wenig auszuruhen. Bilder von jesidischen Familien, die lebend in Massengräber gestoßen werden. Kindersoldaten, die ein Schusstraining absolvieren - und dabei auf Gefangene des sogenannten Islamischen Staates zielen.

Al-Ghrarabeb al-soud, also Schwarze Krähen, heißt der wohl nächste Quotenhit. Über keine arabische TV-Produktion wurde zuletzt mehr geschrieben und gesprochen, die 30-teilige Serie verpackt ein ernstes Thema in drastische Bilder: Der Titel "Schwarze Krähen" bezieht sich auf die schwarzen Gewänder und Vollschleier, die Frauen im Pseudo-Kalifat tragen müssen, die Hauptfiguren sind weiblich.

Der TV-Konsum während der Fastenzeit liegt im Schnitt bei satten sieben Stunden täglich

"Wir haben die Serie entwickelt, um dem Narrativ etwas entgegenzusetzen, das der IS in den sozialen Netzwerken verbreitet", sagt Mazen Hayek, Sprecher der Sendergruppe MBC. Und zwar, so Hayek, eher aus Idealismus als aus kommerziellen Gründen: Die Werbeblöcke seien bisher äußerst schlecht gebucht - und das, obwohl die Serie zur Primetime beim meistgesehenen arabischen Sender läuft. Mit ihrer als Serie getarnten Gegenpropaganda riskiert der in Dubai ansässige Branchenführer also einiges: "Der Ramadan hat für das arabische Fernsehen ungefähr die Bedeutung, die der Superbowl in den USA hat", sagt Hayek. "Nur, dass es eben 30 Tage Superbowl hintereinander sind."

Dass diese Einschätzung keine Übertreibung eines orientalischen Märchenonkels ist, zeigt ein Blick auf die Zahlen: 310 Millionen Menschen leben in den 22 arabischsprachigen Staaten, davon etwa 220 Millionen im fernsehfähigen Alter. Hinzu kommt ein Teil der etwa 45 Millionen Muslime in anderen Erdteilen. Nach Untersuchungen aus den Golfstaaten liegt der TV-Konsum während der Fastenzeit im Schnitt bei satten sieben Stunden täglich. Tagsüber dämmern viele der Dämmerung entgegen, unter dem Kaltluftschwall der Klimaanlage, berieselt vom Fernseher. Die Arbeitszeiten sind deutlich verkürzt, nachts bleiben die Menschen lange auf, verbringen Zeit im Kreis der Verwandten, gern auch kollektiv vor der Glotze.

Die Quoten im Ramadan entscheiden für arabische TV-Macher maßgeblich darüber, ob das jeweilige Geschäftsjahr ein gutes war. Um das Publikum erst für sich zu gewinnen und dann vor allem zu halten, setzen sie schon lange auf ein Format, das im Westen erst vor einigen Jahren eine Renaissance erlebte: auf Serien, die eine Hauptgeschichte und einige Nebenstränge über mehrere Episoden fortschreiben, deren Charaktere sich in den 30 bis 45 Minuten langen Folgen entwickeln. Alleine 40 neue Serien wurden für den Ramadan 2017 in Ägypten gedreht, insgesamt liegt die Zahl der exklusiv für die Fastenzeit produzierten TV-Sendungen bei fast 500 - etwa 25 bis 30 Prozent der gesamten Fernsehproduktion aus arabischen Staaten. In der arabischen Branche wird vermutet, dass auch Netflix bereits auf den riesigen Fernsehmarkt an Ramadan schielt.

Nach dem Arabischen Frühling thematisierten einige Serien plötzlich auch Themen wie Polizeigewalt

Die ersten "Musalsalat" (arabisch für Serien) entstanden bereits in den Siebzigerjahren in Syrien, erzählt Bettina Gräf, die Leiterin der Forschergruppe Arabische Massenmedien an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ende der Achtziger setzte dann der große Boom ein, inspiriert von den populären Telenovelas aus Südamerika. "Dementsprechend waren auch oft die Handlungen: Dramen, bei denen ein Paar seine Liebe gegen die Einmischung der Familie und bereits arrangierte Ehen verteidigen musste", so Gräf.

Dieses Grundmuster funktioniert noch immer prächtig. Doch schon bald plotteten viele Drehbuchschreiber eine Rahmenhandlung um die Liebesgeschichte, die auf aktuelle Probleme Bezug nimmt: "In den Neunzigern war das etwa die neoliberale Wirtschaftspolitik Hosni Mubaraks in Ägypten, die wenige sehr reich machte und viele andere zurückließ", sagt Gräf. "Hier stand plötzlich nicht mehr nur eine konservative Familie der Liebe im Weg, sondern ökonomische Probleme."

Den syrischen Serien konnte selbst der Bürgerkrieg nicht viel anhaben

Schon vor dem Jahr 2011 fassten die Musalsalat eigentliche Tabuthemen wie Vergewaltigungen und Korruption an, "die Regimes wussten von Beginn an, dass Fernsehen ein wunderbares Ventil sein kann, um die Wut im Volk abzulassen", so Gräf. Nach dem Arabischen Frühling thematisierten einige Serien dann aber plötzlich auch Themen wie Polizeigewalt oder das Zerrbild, das viele Araber von Juden haben. Die Serie Das jüdische Viertel etwa, in der sich eine jüdische Ägypterin und ein muslimischer Offizier - was sonst - verlieben, wurde zum TV-Ereignis 2015. Und das, obwohl der Botschafter des weithin verhassten Israel die Darstellung der jüdischen Charaktere öffentlich lobte.

Ägypten ist neben der Türkei und Syrien einer der Hauptproduzenten für die Musalsalat - seit sich jedoch Abdelfattah el-Sisi zum Präsidenten wählen ließ und die Gesellschaft bis in ihre letzten Verästelungen zu kontrollieren versucht, sind die Inhalte der Ramadan-Serien vom Nil nach Gräfs Beobachtung wieder deutlich apolitischer geworden. Altstar Adel Imam, der früher auch kontroverse Filme drehte, blödelt sich nun wieder durch den Ramadan - und wird mit Die Geister des Adly Allam wohl einen der größeren Hit landen.

Der Marke der immens beliebten syrischen Serien konnte hingegen selbst der Bürgerkrieg nicht viel anhaben: Manche sind, von Investoren abgeworben, mit dem gesamten Team einfach umgesiedelt - sie produzieren weiter im populären syrischen Dialekt, nun eben am Golf. Andere drehen in den Studios von Damaskus weiter, die Produktion Shouq - Nostalgia einer offiziell noch in Syrien angesiedelten Produktionsfirma traut sich sogar die Frage zu stellen, wieso den friedlichen Protesten mit so viel Gewalt begegnet wurde, dass Syrien in den Krieg abrutschte.

Neben Serien sind Shows mit wenig subtilen Streichen der zweite große Quotengarant

Die Schwarzen Krähen sind also nicht die einzige Serie über Tod und Terror, aber die einzige, die sich voll dem IS-Schrecken widmet. Als die Serie im Libanon gedreht wurde, erzählt Mazen Hayek, hätten Anwohner die Armee verständigt - "Set und Kostüme sahen so echt aus, dass sie dachten, der IS wäre nun auch bei ihnen".

Die erschrockenen Libanesen konnten so zumindest im Groben den Schock nachvollziehen, den einige Prominente 2016 erleiden mussten. Denkbar geschmacklos nahm eine Ramadan-Sendung die Bildsprache der Terroristen auf: Für Mini-IS ließ der ägyptische Sender al-Nahar Schauspieler und Musiker von vermeintlichen Dschihadisten entführen und filmte Todesangst mit versteckter Kamera. Shows mit wenig subtilen Streichen sind der zweite große Quotengarant an Ramadan - und jedes Jahr wieder Anlass für Diskussionen. Die Marktführer in diesem Segment, die Moderatoren Ramez Galal und Hani Ramzi, filmten ihre Opfer schon in vermeintlich brennenden Gebäuden oder in von Haien umkreisten Schlauchbooten. Ein Sänger kam bei einem Löwenangriff nur knapp mit dem Leben davon.

Das Medienkomitee des ägyptischen Parlaments hat deshalb vor dem Beginn des diesjährigen Ramadan wieder ein Verbot diskutiert, sich aber zu keinem Entschluss durchringen können. "Nur die Zuschauer können das entscheiden", sagte der Vorsitzende Osama Heikal. "Sie sollten die Shows boykottieren. Dann fallen die Quoten und die Produzenten werden im nächsten Jahr keine neuen Sendungen der Art mehr präsentieren." Eine fromme Hoffnung: Im heiligen Monat Ramadan 2016 verleitete die Sendung Ramez spielt mit dem Feuer einen Jungen dazu, einen der Streiche nachzuspielen. Er kam im Feuer um, die nächste Folge der Show erreichte eine Traumquote von fast 22 Prozent.

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