TV-Ereignis Olympia:Trauerberichterstattung

Vorsicht, jetzt wird's traurig: Die ersten Wettkämpfe liefen für die deutschen Schwimmer nicht nach Plan, zum Desaster machten sie aber erst die ARD und das ZDF. Mit ihren Schalten aus London trübten sie die Olympiastimmung, bei Zuschauern und Athleten.

Saskia Aleythe

Computerspiele sind für Epileptiker gefährlich, deshalb erscheint vor dem bunt blinkenden Zeitvertreib stets ein Warnhinweis. Einen solchen hätte auch die Olympia-Berichterstattung vom Wochenende vertragen, allerdings mit Rücksicht auf leicht depressive Menschen. "Gucken Sie jetzt weg, wenn Sie schnell traurig werden", hätte da im ZDF und in der ARD angezeigt werden müssen oder ganz einfach: "Vorsicht, schlechte Stimmung."

London 2012 - Schwimmen

Sprachlosigkeit im Schwimmteam - und bei den Medienexperten. Im Bild: Britta Steffen und Daniela Schreiber nach der 4x100m-Freistil-Staffel.

(Foto: dpa)

Wie groß war die Vorfreude auf die Olympischen Spiele in London, das Highlight in jeder Sportlerkarriere. Eine pompöse Eröffnungsfeier läutete das Spektakel ein und dann, gleich am ersten Wetttkampftag, ging es auch für Deutschland richtig los: Im Schwimmen sollten sich deutsche Medaillenhoffnungen erfüllen, weswegen sich das ZDF ganz auf die Wettbewerbe im Aquatics Center konzentrierte.

Weltrekordhalter Paul Biedermann schwamm, erst ziemlich schnell, dann zu langsam und dann gar nicht mehr: Er schied aus im Vorlauf über 400 Meter Freistil und es schien, als hätte das ZDF schon zuvor ordentlich Sand angehäuft, um flugs eins zu erschaffen: Die öffentlich-rechtliche Insel der Trübseligkeit.

Spähen nach Tränen

"Paul, mit der Zeit sind Sie nicht ganz zufrieden, liegen wir da richtig?", fragte der ZDF-Reporter suggestiv. Biedermann bestätigte, sagte, dass er noch nicht wisse, was da schiefgelaufen sei. Die Ratlosigkeit sah man ihm an, bei seinem kurzen Statement blickte er an Kamera und Reporter vorbei, wohl fühlte er sich dort nicht. Das ZDF filmte das offensichtlich gern.

Biedermanns Ausscheiden war noch eine Funzel im Vergleich zu dem Flächenbrand, den das ZDF später präsentierte. Auch die Frauenstaffel über 4x100 Meter Freistil scheiterte im Vorlauf. "Wir sind alle ein bisschen ratlos", stieg der ZDF-Reporter in das Interview mit Britta Steffen und Co. ein. Die blieb gefasst, lediglich Kollegin Daniela Schreiber hatte etwas Mühe, das Zittern in ihrer Stimme zu verbergen. Kopf hoch, Mädchen, mochte man ihr vom Fernsehsessel aus zurufen, denn die Trauerarbeit des ZDF verlief mit der Holzhammermethode. Schlimmer noch: Es war die Suche nach Tränen, ganz nach dem Motto: Warum heult denn da keiner?

Michael Steinbrecher übte sich im Interview mit Lutz Buschkow, Leistungssport-Direktor des Deutschen Schwimmverbandes, in seiner ganz eigenen Disziplin: Wie oft muss man das Wort "Kopfproblem" sagen, um Buschkow und den deutschen Schwimmern ein eben solches einzureden? Mit Buschkow hatte Steinbrecher keinen leichten Gegner. Ein Debakel würde er das frühe Ausscheiden der Deutschen nicht nennen, sagte er und auch die Stimmung in der Mannschaft sei positiv. "Tatsächlich?", fragte Steinbrecher ungläubig und hakte noch einmal nach: "Auch die Schwimmer, die heute nicht im Becken waren, schleppen jetzt einen Rucksack mit schweren Steinen mit sich, wie kriegt man die dicken Steine da jetzt raus?" Buschkow antwortete freundlich: "Indem man nicht an die dicken Steine denkt."

Die Hoffnung, die Buschkow da andeutete, passte nicht ins Programm des ZDF. Und auch wenn da eine Chinesin den Weltrekord knackte, Ryan Lochte gegen seinen amerikanischen Kollegen Michael Phelps triumphierte, im Zweiten gabs nur eins zu sehen: Trauerberichterstattung. Im gefühlten Halbstundentakt schoben die Kollegen von Katrin Müller-Hohenstein einen dreiminütigen Film zum "Schwarzen Tag der deutschen Schwimmer" ein. Der Olympia-Gucker hatte es schwer, nicht einigermaßen geknickt ins Bett zu gehen. Und die ARD sprang am Sonntag gerne wieder auf, auf die Insel der Trübseligkeit.

"Nur siebter Rang, indiskutabel"

Mit langem Gesicht saß Expertin Franziska van Almsick vor der Kamera und hielt das Mikrofon starr wie eine brennende Kerze, bei der jede Schieflage ein Wachsdesaster zur Folge hätte. Sie gab sich wortkarg, was zum Dauergequassel von Tom Bartels einen angenehmen Gegenpol bildete. Mit seinen Kommentaren machte Bartels jeden Lauf zur Zitterpartie, stets wies er darauf hin, wie wichtig es sei "nicht zu verkrampfen", so wie es bei Biedermann am Vortag der Fall gewesen war.

Nur einmal, da verschlug es Bartels die Sprache: Nach dem Interview seines Kollegen mit Jenny Mensing, die als amtierende Europameisterin über 100 Meter Rücken im Vorlauf ausschied. "Ich habe mein Bestes gegeben. Der Anschlag hat nicht gepasst, was soll man machen", sagte Mensing und lächelte in die Kamera. Es war eine schnippische Antwort, aber vor allem schien sie nicht das zu sein, was man bei der ARD hören wollte. Da sei er jetzt sprachlos, sagte Bartels und wies darauf hin, wie schlecht Mensings Zeit sei. "Der Start, ich will nicht sagen erbärmlich, aber da liegt sie schon weit zurück", hatte er ihren Lauf zuvor kommentiert, "meine Güte, was ist los, Jenny Mensing. So wird das nichts, meine Güte. Siebter Rang nur, indiskutabel."

Und plötzlich, als sich der deprimierte ARD-Zuschauer schon vom Olympia-Geschehen zurückziehen und einen Last-Minute-Urlaub zur seelischen Erholung buchen wollte, kam die große Versöhnung: Biedermann gewann seinen Halbfinallauf über 200 Meter Freistil. Das Rennen war eigentlich schon vorbei, als Bartels noch sagte: "Biedermann liegt voll im Zeitplan, aber das lag er über 400 Meter auch. So viel kann er doch gar nicht einbrechen. Wir haben nicht mehr daran geglaubt, er ist wieder da. Wie hat er das auf einmal gemacht?" Und Bartels fing sich gar nicht wieder. Minuten später holte er zu einem Seufzer aus: "Ach, ist das herrlich, vielleicht wird doch noch alles gut."

Zusammen mit dem Finaleinzug von Helge Meeuw über 100 Meter Rücken und dem bereits am Nachmittag geschwommenen deutschen Rekord der 4x100-Meter-Freistil-Staffel der Herren war sie nun endlich da, die "Wiederauferstehung des deutschen Sports", wie Moderator Ralf Scholt betonte. Das war selbst der ehemaligen "Goldfranzi" zu bunt, so würde sie das nicht nennen, sagte sie. Eine Wiederauferstehung war es in der Tat nicht. Aber es war ein Happy End, wie es sich in einer Traumschiff-Folge nicht triefender hätte ereignen können. Das inszenierte Happy End einer aufgebauschten Fernseh-Dramaturgie.

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