TV-Ereignis Olympia:Menschen wie Maschinen

Lesezeit: 5 min

Olympioniken sehen im Allgemeinen sehr fit und im Besonderen sehr stark aus. Wir Fernsehzuschauer sind aber "Couch-Potatoes". Wir nehmen die Parade der Schönen ab und schauen hin, wie uns das Fernsehen eine mit Emotionen ausgestattete Menschmaschine in diversen Bauarten präsentiert. Doch gelacht und geweint wird wenig.

Bernd Graff

Bevor wir loslegen und uns alle auf die Plätze begeben, fertig sind wir sowieso und losgelassen haben wir auch, bevor es also derart unolympisch startet, als komplett unbedarfter Konsument der TV-Sportberichterstattung dieses Jahrviertereignisses, hören wir jetzt mal das hier.

Der Amerikaner Trey Hardee feiert in London seine Silbermedaille im Zehnkampf. Wer sich noch an die Zehnkampflegende Jürgen Hingsen erinnert, wundert sich über den Körperbau heutiger Zehnkämpfer. Hingsen war ein Modell-Athlet, eher von einem Bildhauer entworfen als von hartem Training. Heutige Zehnkämpfer sehen dagegen ein wenig aus wie ätherische Wesen. Muskulös, klar, aber zierlicher, feiner proportioniert, schlanker. (Foto: dpa)

Heute wird es um Körper gehen. Olympisch inszenierte Körper. Muskulöse, feingliedrige, durchtrainierte, aber auch uniformierte Körper. Es geht um Sportartenkörper: ausgemergelt wie beim Marathonlauf oder Gehen, voluminös wie beim Kugelstoßen, Gewichtheben und Diskuswerfen, hochgewachsen und langbeinig-sehnig wie beim Hochsprung, Laufen, Basketball. Nass, wie bei den Wassersportarten. Aber auch um dressierte Körper in Uniform wie beim Spring- und Dressurreiten oder beim Einmarsch der Nationen bei der Eröffnungsfeier.

Von all dem hat der gemeine TV-Zuschauer - nichts. Wir, die Normalo-Konsumenten, sehen irgendwie aus, wir weisen keine Muskelpartien auf, die spezialisiert nach Disziplin sehr üppig ausfallen. Nun ist es eine Sache, dass Menschen, die fleißig immer dasselbe trainieren, weil sie in einer Sportart gewinnen wollen, im Allgemeinen sehr fit und im Besonderen sehr stark aussehen. Eine andere ist es, wie diese Körper im Medium Fernsehen gesehen werden sollen und entsprechend inszeniert werden.

Wir aber sind Couch-Potatoes. Wir nehmen die Parade der Schönen und schön Fitten ab, ganz egal, ob sie erfolgreich sind oder nicht. Wir schauen hin, wie uns das Fernsehen eine mit Emotionen ausgestattete Menschmaschine in diversen Bau- und Schauarten präsentiert. Es gibt ja praktisch überall Kameras. Da dürfte uns ja nichts entgehen.

Tatsächlich sind wir ja noch von der Eröffnungsfeier mitgenommen. Da liefen diese Sportspezialisten ein als Kleiderständer ihrer nationalen Ausstatter - oder, wen Sportfunktionäre in höheren Positionen dafür halten. Wir sahen: Sportfunktionärseinheitsfashion, die uns doch arg schockiert hat. Denn diese spezialisierten Körper verlangen nach spezialisierten, auf sie abgestimmten Outfits. Nun aber, wir reden von der deutschen Delegation, sah man diese schönen Menschen verunstaltet in blau und rosa Ski-Anzügen, welche die wohl für zeitlos erachtete Anmutung von 1976 hatten, schön aber nach Geschlechtern getrennt bei Unisex-Strohhütchen. Dieses Bubenblau und Mädchenrosa war schlicht lächerlich.

Und damit die Welt auch erfährt, woher diese geburtsklinikfarbenen Irrtümer kommen, hatte man den Athleten an die Hüte, die nicht zu den Gesichtern, erst recht nicht zu den Altkleiderspenden-Outfits aus Ballonseide passten, ein schwarz-rot-goldenes Hutband mitgegeben. So war gleich zu erkennen, welche Nation diesen verordneten Mode-Unfall verursacht hat. Das war ein schwerer Brocken. Aber gut.

Baywatch-Feeling beim Wasserspringen

Nehmen wir einmal das Springreiten. Die Pferdekörper glänzen. Sie sehen gut aus. Die Damen und Herren Reiter auch. Man hat ihnen wohl einen Besenstiel in die Uniformen genäht. Aber tadellos prima gestriegelt auch sie. Das Ensemble aus Pferd und Reiter hat entsprechend etwas Herrschaftliches. Mit diesen Damen und Herren möchte man Oxford-Englisch parlieren, egal, wo sie herkommen. Und unbedingt auf einem Schloss in Sussex. Da ist allerdings, so die Botschaft dieser feinen, beherrschten Körper, kein Platz für Exaltation, Lässigkeit und Unbeherrschtheit. Man macht wohl einen Jokus, gerne, aber Schenkelklopfer sind nicht zu erwarten. Gepflegtes Understatement der Happy Few.

Ganz anders: Wasserspringerinnen. Sofort kommt Baywatch-Feeling auf. Nicht wegen der Handlung. Sondern: Hochkonzentriert, auch wenn es nicht um die Rettung Ertrinkender geht, haben diese Damen etwas Bodenständiges. Kein Wunder, sie fallen ja auch dauernd von hohen Türmen in die Tiefe. Schön verdreht in bunten Badeanzügen. Auch hier allererste Jogi-Löw-Moral: Äußerste Disziplin und hohe Präzision des gelenkten Sturzes. Wie die deutsche Nationalmannschaft bei der EM. Den Moderatoren indes geht es um Schwierigkeitsgrade und Eintauchphasen, dem Zuschauer wird bei diesem Hochamt aus Konzentration und schnellem Fall sehr schnell langweilig. Die Sportlerinnen, sie reden nicht einmal im Aufwärmbecken, einem Whirlpool, miteinander. Sie blicken leer ins Leere.

Die Moderatoren schwafeln von "Gas geben" - so ein Blödsinn

Umschalten zu den wilden Kerlen: Vierer-Kajak, Zweier-Canadier, so was. Hier fasziniert die heikle Balance aus schierer Kraft und Präzision - und Rhythmus. Sehr gut die Outfits, langärmelige weiße Shirts, darüber die Jerseys mit den Startnummern. Dazu lange Tights, auch mal farbig, auch mal kurz. Es ist faszinierend, diese Männer bei harter Arbeit zu beobachten. Wie sie die Schlagzahl erhöhen, synchron und im Gleichgewicht durch die Wasser stieben. Der menschliche Körper, also, das lernen wir, kann sogar das, wofür er eigentlich nicht gemacht ist, und sieht dabei nicht verkrampft und überfordert, sondern konzentriert aufs Wesentliche aus.

Die Moderatoren schwafeln derweil von "Gas geben" und stümpern damit an der tieferen Ästhetik dieser Abläufe und Vorgänge vorbei. Gas geben. So ein Blödsinn. Vermutlich haben die Schlachtordnungen der Armeen Cäsars auch nur Gas gegeben, als sie Germanien besiegt haben. Banausen!

Zweier-Kajak der Damen: Auch hier wackellose Präzision, Paddel wie Ventilatoren, dazwischen Ein- und Ausatmen, Start-Ziel-Sieg der Damen. Eine unfassbare Leistung. Die Moderatoren: Jetzt nicht nachdenken, 50 Meter vor dem Ziel. Auch hier wird berichterstattet wie auf dem Börsenparkett, als habe die Kommentierung nichts mit dem Sport zu tun, sondern nur mit dem gesichtslosen Ergebnis. Jetzt Zehnkampf.

Wer sich noch an die Zehnkampflegende Jürgen Hingsen erinnern kann, wundert sich über den Körperbau heutiger Zehnkämpfer. Hingsen war ein Modell-Athlet, eher von einem Bildhauer entworfen als von hartem Training. Heutige Zehnkämpfer sehen dagegen ein wenig aus wie ätherische Wesen. Muskulös, klar, aber zierlicher, feiner proportioniert, schlanker. Und darum auch viel hochgewachsener erscheinend. Außerdem, und das fällt bei fast allen Wettkämpfen auf: Man ist in sich gekehrt konzentriert, fast verkniffen, mit meist ausdruckslosem Blick an dem Wettbewerb und den Konkurrenten vorbei. Gelacht und geweint wird erst nach der Entscheidung und bei der Medaillenvergabe. Dann Taekwondo.

Ganz schmale Tänzerfiguren, fast mädchenhaft, treten sich irgendwohin. Eine Mischung aus Football-Uniform und Rollerball, dazu federleichte Hüpfer. Es gibt Punkte und Verwarnungen, der Moderator spricht vom Feuerwerk, das hier abgebrannt wird. Tatsächlich feuerwerkt da nix, man sieht, wie Protestnoten eines Trainers sehr höflich übergeben werden - und das Federn geht einem sehr schnell auf die Nerven. Irgendwer, der sich sehr arrogant benommen hat, holt Gold. Vermutlich, weil er dem anderen ins Gesicht treten konnte. Unästhetisch.

Feldhockey, immer ein schöner Sport! Auf genässtem Geläuf. Gutaussehende Männer, früher hätte man sie für Politikstudenten gehalten, spielen beherrscht den Ball. Das klingt jetzt komisch, aber sie können an ihrem Stick mindestens genauso viel wie die biegsamen Dämchen in der Rhythmischen Sportgymnastik an ihren Reifen und Bällen. Die haben ja etwas vom Pekinger Staatszirkus. Die ins Gesicht gezwungene Grazie und Lieblichkeit erinnert an Eiskunstläuferinnen und Standardtänzerinnen. Die Kostümchen auch. Bis auf das der Österreicherin Caroline Weber. Die kam in einer Art eingelaufenem Oktoberfest-Dirndl. So viel heitere Elastizität bei versteinerter Mühelosigkeits-Miene ist nichts für TV-Touristen der Londoner Spiele. Umschalten zu: Beachvolleyball.

Hier ist die knappe Trikotage der Spielerinnen ja schon oft aufgefallen und mehrfach kommentiert worden. Die Ausrüstung dieser Athletinnen dürfte den geringsten Materialwert überhaupt aufweisen. Die Damen tragen mehr Baumwolle an Baseballkappen auf dem Kopf als sonst am gesamten Körper. Dafür sind sie wohl physiotherapeutisch korrekt lustig beklebt, tragen Sonnenbrillen und Goldkettchen. Also wegen der Verletzungsgefährdung haben sie nicht so wenig an. Weniger noch als die Leichtathletinnen.

Wie ein dumpfer Waller, nur ohne Dackel

1972 hatte Heide Rosendahl einen roten Streifen in Brusthöhe auf dem Unterhemd. Heute tragen sie nur noch den roten Streifen. Das fällt auf, wenn sich die Sportlerinnen vor ihrem Wettkampf aus den verschiedenen Lagen Trainingsanzüge schälen, die sie über ihrem Wettkampfnichts anhaben. Es ist von einem regelrechten Startblockstriptease zu reden. Immer, wenn man denkt, weniger geht nicht, fällt eine weitere Trainingshülle. Vielleicht macht es die Damen ja schneller, vielleicht lässt es die Einschaltquoten der übertragenden Sender nach oben schnellen. Mit Sport hat die inszenierte Fleischbeschau jedenfalls wenig zu tun. Umschalten zu: Fußball. Damenfußball. Na gut, das kennt man. Die Damen sind noch immer schwach im Abschluss.

Jetzt mal Freischwimmen, Damen: Der Kollege Neumaier hat eine Reportage über den Wels, auch Waller, im Blatt veröffentlicht (SZ vom 09.08.2012). Seine Beschreibung der Phänomene an der Wasseroberfläche, wenn der eher dumpfe Waller ab und an mal auftaucht, kommt in den Sinn, wenn man diese Fernsehbilder von vielfach durchpflügtem Wasser sieht. Allein, der Waller in der Reportage taucht auf und frisst einen Dackel. Hier wird nur Wasser verdrängt. Tatsächlich gibt es Nationen-Angeln an den Verpflegungspunkten. Sehr hübsch mit Fläggchen gekennzeichnet. Nein, das sind einfach keine Bilder.

Fazit: Den normalsten Körper aller Athleten hatte jene bis dato unidentifizierte Frau, die sich bei der Eröffnungsfeier unter das einlaufende Team Indiens gemischt hatte. Allein, sie war Aufbauhelferin, keine Sportlerin.

© Süddeutsche.de/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: